Pro-Erdogan-Kundgebung in Köln Türken-Großdemo beunruhigt deutsche Politik

Zehntausende Deutschtürken wollen am Sonntag für den türkischen Präsidenten Erdogan auf die Straße gehen. In der deutschen Politik ist man besorgt, dass die Großdemonstration in Gewalt umschlagen könnte.

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Köln ist oft Schauplatz türkischer Kundgebungen, wie hier am 24.05.2014 in der Lanxess-Arena. Allein in Nordrhein-Westfalen leben eine Million Menschen mit türkischen Wurzeln, die meisten im Ruhrgebiet. Quelle: dpa

„Irrsinn“, „Skandal“, „Missbrauch“ - so wettern Leserbriefschreiber in Köln seit Tagen gegen eine für Sonntag geplante Pro-Erdogan-Demonstration.

Mehr als 15.000 Teilnehmer will die Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) dafür zusammen mit anderen türkischen Gruppen mobilisieren. Nach Einschätzung der Kölner Polizei könnten sogar bis zu 30.000 Menschen teilnehmen Die UETD gilt als verlängerter Arm der AKP, der Partei des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan. Das Thema der Kundgebung lautet „Ja zur Demokratie. Nein zum Staatsstreich“. Mitte Juli war in dem Land ein Umsturzversuch von Teilen der Streitkräfte gescheitert.

In der deutschen Politik wird die Großdemonstration mit Sorge gesehen. Zum einen, weil sie in Gewalt umschlagen könnte und zum anderen, weil sie eine gigantische Propaganda-Veranstaltung für Erdogan werden könnte.

Der migrationspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagfraktion, Volker Beck, rief denn auch Veranstalter und Teilnehmer zu einem klaren Bekenntnis zur Demokratie auf. „Die UETD muss sagen, für welche Demokratie sie auf die Straße geht, will sie als Organisation Türkischer Demokraten in Deutschland ernst genommen werden“, sagte Beck dem Handelsblatt. „Die UETD muss die Angriffe auf Pressefreiheit und unabhängige Justiz durch Erdogan zurückweisen. Sonst ist ihr Ja zur Demokratie unwahrhaftig und in Wirklichkeit ein Ja zur Erdokratur.“

Aus Becks Sicht wirke der Demonstrationsaufruf der UETD wie ein „bedingungsloses Ja zum Staatsstreich“ des türkischen Präsidenten gegen die türkische Demokratie nach dem Putschversuch des Militärs. „Für die Integration in Deutschland ist das ein fatales Signal.“

Beck erwartet daher eine klare Positionierung der UETD zu Berichten von Amnesty International über Folter und Vergewaltigung im türkischen Gewahrsam, zur Verhaftung oder Entlassung von Tausenden Richtern und Staatsanwälten und zu den Anschlägen auf die Pressefreiheit vor und nach dem Putschversuch. „Ohne Distanzierung von Erdogans willkürlichen Repressalien wird die Demonstration am Sonntag als Demonstration für eine Diktatur Erdogans in der Türkei verstanden werden“, sagte der Grünen-Politiker.

Laut Kölner Polizei sind schon 2000 Polizisten zum Sonntagsdienst eingeteilt. Für ein Verbot der Demonstration - wie es von einigen Politikern ins Spiel gebracht worden ist - gibt es nach Einschätzung der Polizei keine Grundlage. Das sei nur bei schwerwiegenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit denkbar.

NRW-Präsidentin Kraft mahnt zur Besonnenheit

Die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) rief türkischstämmige Bürger zu Besonnenheit auf. „Tragen Sie einen innenpolitischen Konflikt der Türkei nicht in ihre Wahlheimat Nordrhein-Westfalen, in ihre Familien, ihre Freundeskreise und auch nicht in ihre Herzen“, sagte Kraft in einer am Mittwoch veröffentlichten Videobotschaft. Jeder habe das Recht, für seine Überzeugungen zu demonstrieren. „Aber bitte bleiben Sie besonnen, und bleiben Sie vor allem friedlich. Denn Ausgrenzung, Hass und Gewalt gegen andere dürfen und werden wir in keinerlei Weise tolerieren.“

NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) warnte Veranstalter und Teilnehmer eindringlich vor Aufrufen zur Gewalt. „Sollte diese Kundgebung für Gewaltaufrufe missbraucht werden, wird die NRW-Polizei rigoros einschreiten“, sagte Jäger am Donnerstag in Düsseldorf. Die Kurdische Gemeinde Deutschland kritisierte die für Sonntag angemeldete Kundgebung scharf, verzichtete aber zugleich auf eine eigene Gegendemonstration.

Zur Begründung erklärte die Kurdische Gemeinde in Gießen, sie wolle die zu der Großkundgebung erwarteten Erdogan-Anhänger durch eine Gegendemonstration „nicht aufwerten“. Weiter hieß es: „Zum anderen möchten wir nicht, dass Deutsch-Kurden im Zusammenhang mit Gewalt erwähnt werden.“

Köln ist oft Schauplatz türkischer Kundgebungen, weil es dafür günstig liegt. Allein in Nordrhein-Westfalen leben eine Million Menschen mit türkischen Wurzeln, die meisten im Ruhrgebiet. Fast alle türkischen und muslimischen Verbände haben in Köln ihren Sitz, darunter die Ditib, die direkt der türkischen Religionsbehörde untersteht. „Köln ist quasi die Hauptstadt der Türkeistämmigen in Westdeutschland“, erklärt Yunus Ulusoy vom Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung der Universität Duisburg-Essen.

Warum verspüren Menschen, die schon in zweiter oder dritter Generation in Deutschland leben, ausgerechnet jetzt das Bedürfnis, für Erdogan auf die Straße zu gehen? UETD-Generalsekretär Bülent Bilgi sagt, es gehe letztlich gar nicht um Erdogan, sondern um den vereitelten Putsch. Viele Migranten seien verärgert darüber, wie die deutschen Medien darüber berichteten. „Man sagt, ok, es gab einen Putsch, es sind 264 Menschen gestorben, aber das wischt man sofort beiseite und tut so, als wäre das eine Nebensächlichkeit.“

Rechte Gruppen mobilisieren für Gegendemonstration

Ludwig Schulz, Türkeiforscher am Deutschen Orient-Institut Berlin, bestätigt, dass viele Deutschtürken die Vereitelung des Putsches vor allem als Erfolg der türkischen Gesellschaft und Demokratie sähen. Die Begeisterung für Erdogan habe vielerlei Gründe: Viele Türkischstämmige informierten sich überwiegend aus regierungstreuen türkischen Medien. Dazu kämen türkischer Nationalstolz und ein Gefühl von Ablehnung durch die deutsche Mehrheitsgesellschaft. „Es ist wohl eine Mischung aus berechtigter Kritik an unserem einseitigen Türkeibild und einer umgekehrt geschönten Sicht vieler Türkischstämmiger auf die Türkei“, meint Schulz.

Dabei seien jedoch lang nicht alle Deutschtürken Erdogan-Anhänger, erläutert der Türkei-Experte Roy Karadag von der Universität Bremen. „Unter den Deutschtürken gibt es zunehmend Konflikte darüber, wer hier eigentlich in ihrem Namen sprechen, agieren und mobilisieren kann“, sagt der Politikwissenschaftler. 2013 seien zum ersten Mal Deutschtürken nach Istanbul geflogen, um dort gegen die Regierung Erdogan zu protestieren. „Deswegen demonstriert die UETD jetzt in Köln - sie will damit zeigen, dass die meisten Deutschtürken für Erdogan sind.“

Nach neuen Polizeiangaben wurde die Versammlung nicht explizit von der Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) angemeldet. Vielmehr habe der Anmelder, eine Privatperson, „uns gegenüber deutlich gemacht, dass er für eine Vielzahl türkischer Vereine spricht“, sagte Kölns Polizeipräsident Jürgen Mathies.

Gegen die Großkundgebung wurden laut Kölner Polizei für Sonntag vier Gegendemonstrationen angemeldet. Dazu zählt auch eine Kundgebung der rechten Partei Pro NRW. Auch bei der Gruppierung „Hooligans gegen Salafisten“ (Hogesa) gebe es Mobilisierungsaufrufe, sagte Mathies.

Die Anmelderin der Rechten-Kundgebung rechnet nach Angaben des Kölner Polizeipräsidenten mit rund 400 Teilnehmern. Mathies wollte jedoch nicht ausschließen, dass die Teilnehmerzahl auf bis zu tausend ansteigen könnte. Weitere Gegendemonstrationen wurden aus dem linken Spektrum und von Jugendorganisationen deutscher Parteien angemeldet.

Kölns Polizeipräsident Mathies kündigte ein unnachgiebiges Vorgehen der Polizei bei Gesetzesverstößen im Umfeld der Demonstrationen an. Die Polizei wird demnach 2300 Beamte in den Einsatz schicken, darunter elf Hundertschaften aus Nordrhein-Westfalen und jeweils eine Hundertschaft aus Rheinland-Pfalz und Hessen. Zudem werden Mathies zufolge acht Wasserwerfer für einen Einsatz bereit stehen.

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