
Dass – und wie – sich die Koalition auf eine Neufassung der Vorratsdatenspeicherung geeinigt hat, ist gut. Und die Einigung war überfällig. Denn in der mit fast schon religiösem Eifer geführten Diskussion darüber, welche unserer Kommunikationsspuren erfasst und (zeitlich begrenzt) archiviert werden dürfen, drohte der Blick auf die tatsächlichen Gefahren komplett verloren zu gehen.
Nicht der deutsche Staat ist seines Bürgers Feind und Bedrohung. Bei aller diktatorischen Vergangenheit des deutschen Staatswesens und trotz aller gelegentlich zweifeldhaften Entscheide der bundesdeutschen Rechtsprechung hat unsere Republik im 66. Jahr ihres Bestehens längst bewiesen, dass sie und ihr Prinzip der Gewaltenteilung funktioniert. Und, dass sie in der Lage ist, sich wandelnden Bedrohungsszenarien und Sicherheitsbedürfnissen ihrer Bürgerinnen und Bürger anzupassen.
Vorratsdatenspeicherung – seit Jahren ein Zankapfel
Telekommunikationsunternehmen in Europa sollen bestimmte Daten von Bürgern auf Vorrat speichern – für den Fall, dass Terrorfahnder oder Polizei sie später einmal brauchen. Basis dafür ist eine EU-Richtlinie (2006/24/EG). Sie verpflichtet die Mitglieder, dafür zu sorgen, dass Telekom-Unternehmen ohne Anfangsverdacht oder konkrete Gefahr Verbindungsdaten von Privatleuten über Telefonate und E-Mails festhalten. Gesprächsinhalte sind nicht betroffen.
In Deutschland ist die Vorratsdatenspeicherung gesetzlich noch nicht geregelt. Zwar trat im Januar 2008 ein Gesetz in Kraft, das die Speicherung der Verbindungsdaten von Telefon oder Internet für sechs Monate vorsah. Im März 2010 erklärte das Bundesverfassungsgericht die Regelung allerdings für verfassungswidrig – bis dahin gesammelte Daten mussten gelöscht werden. Die EU-Richtlinie selbst stellten die Richter nicht infrage, sie sprachen sich für eine Neufassung des deutschen Gesetzes aus.
In der schwarz-gelben Koalition (2009-2013) sperrte sich die FDP gegen die Vorratsdatenspeicherung - allen voran die damalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Vehement plädierte sie dafür, vor einer Wiedereinführung die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über die EU-Richtlinie abzuwarten.
Im Koalitionsvertrag von Union und SPD heißt es nun: „Wir werden die EU-Richtlinie (...) umsetzen. (...) Dabei soll ein Zugriff auf die gespeicherten Daten nur bei schweren Straftaten und nach Genehmigung durch einen Richter sowie zur Abwehr akuter Gefahren für Leib und Leben erfolgen. (...) Auf EU-Ebene werden wir auf eine Verkürzung der Speicherfrist auf drei Monate hinwirken.“
Das war schon bei der Wiederbewaffnung 1955 so, bei der Verabschiedung der Notstandsgesetze 1968 ebenfalls. Und auch die Einführung der Rasterfahndung 1980 hat zwar zu einer heftigen gesellschaftlichen und politischen Debatte geführt – aber eben nicht das Ende der bürgerlichen Freiheiten in (West) Deutschland besiegelt.
In der Diskussion über die Vorratsdatenspeicherung wird der Zielkonflikt fassbar, dass Freiheit und Sicherheit miteinander in Einklang gebracht werden wollen, so sehr das eine auch das andere mitunter einschränkt. Doch Freiheit bedeutet nicht nur das Recht auf Freiheit von anlassloser Überwachung, sondern eben auch das Recht der Menschen auf Freiheit von existenzieller Bedrohung.
Deutschland
Die durch den jetzt verabschiedeten Kompromiss mögliche und zeitlich eng begrenzte Speicherung ausgewählter wird – weil die Informationen ja nur ex-post analysiert werden dürfen – keinen Anschlag, keinen Mord, kein Kapitalverbrechen als solches verhindern. Aber es wird die Aufklärung von Taten und möglicherweise auch die Beziehungen zwischen aktuellen und möglichen künftigen Tätern sichtbar(er) machen.
Denn – bei allem Geschrei der VDS-Gegner – letztere sind es, die uns Bürger wirklich bedrohen. Und darum ist es gut, dass der Speicher-Kompromiss die Werkzeuge der Verfolger im Zeitalter digitaler Kommunikation denen der Täter zumindest wieder etwas mehr annähern.