Prognos-Studie Die Ungleichheit in Deutschland wird zunehmen

Ungleichheit in Deutschland wird zunehmen Quelle: imago images

Nicht nur das Wohlstandsgefälle von Ost nach West, sondern auch das von Nord nach Süd wird in einigen Jahren wieder zunehmen. Das ist ein Ergebnis des Prognos-Deutschland-Reports.

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Das politische Ziel der Angleichung der Lebensverhältnisse in Deutschland wird mittelfristig nicht erreicht werden. Die neuen Länder haben zwar in jüngerer Zeit wirtschaftlich aufgeholt, werden aber bald wieder zurückfallen. Das ist ein Ergebnis des Prognos-Deutschland-Reports, der einen Ausblick bis zum Jahr 2045 wagt. Gründe dafür seien Abwanderung und geringe Geburtenzahlen. Allerdings werde es dabei nicht nur ein West-Ost-Gefälle geben, sondern auch ein Süd-Nord-Gefälle.

Die Wirtschaftsleistung pro Kopf im Osten einschließlich Berlins liegt heute bei rund drei Vierteln des Westniveaus. Bis 2045 werde sie relativ auf weniger als zwei Drittel und damit sogar unter den Wert aus dem Jahr 2000 sinken. „Bei einer Fortsetzung der bisherigen Politik werden sich die (materiellen) Lebensverhältnisse zwischen Ost und West nicht angleichen“, warnen die Autoren.

Deutschlands Wirtschaft wächst – noch

Deutschlands Bruttoinlandsprodukt insgesamt wächst – zumindest noch in den nächsten Jahren. „Hinter dem gesamtwirtschaftlichen Wachstum stehen zwei Entwicklungen: Zum einen geht aufgrund des demografischen Wandels die Anzahl der Personen im Erwerbsalter zurück und bremst das Wachstum“, heißt es in der Studie. Andererseits erwartet Prognos ein deutliches Produktivitätswachstum: 2045 werde jeder Erwerbstätige rund 100.000 Euro, das sind rund zwei Drittel mehr als 2016, erwirtschaften. Deutschland insgesamt kann nach der Studie mit einem Wirtschaftswachstum von jährlich 1,3 Prozent rechnen.

Bald wird die Einwohnerzahl aber sinken – wenn auch weniger schnell als lange angenommen. „Die Migrationsbewegungen der letzten Jahre tragen dazu bei, dass lediglich mit einem Rückgang um 2,5 Prozent zu rechnen ist.“ Das bedeutet: Auch in 27 Jahren werden noch gut 80 Millionen Menschen in Deutschland leben. Heute sind es knapp 83 Millionen.

Städte und der Süden prosperieren ökonomisch
Prognos erwartet, dass Länder wie Hamburg, Bayern, Hessen, Baden-Württemberg und Berlin ihre Wirtschaftsleistung bis 2045 um mehr als die Hälfte steigern werden, dagegen dürfte das Bruttoinlandsprodukt in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern kaum zulegen. Sachsen-Anhalt jedoch verliere demnach gut jeden fünften Einwohner, Mecklenburg-Vorpommern und das Saarland jeden siebten. Berlin dagegen erreicht vier Millionen Einwohner. Immer mehr Menschen zieht es auch in den Großraum München. „Mehr Köpfe bedeuten in der Regel auch mehr Arbeitskräfte und Wirtschaftsleistung“, schreiben sie.
Die Arbeitslosigkeit sinkt
Die jüngsten Tiefstände der Arbeitslosigkeit werden noch unterboten, wie die Studie annimmt. In zwölf Jahren liege die Arbeitslosenquote bundesweit bei 4,6 Prozent. Was sich demnach nicht ändert: Bremen behält die rote Laterne, Bayern und Baden-Württemberg liegen auch 2030 vorn. Weniger Menschen werden in der Industrie arbeiten, wegen Digitalisierung und Alterung dafür mehr in Dienstleitungen.

Deutschlands Bevölkerung wird noch älter
Dieser Trend ist bekannt: Die geburtenstarken Jahrgänge der 1950er und 1960er Jahre gehen in Rente, die Lebenserwartung steigt. Das mittlere Alter (Median) der Deutschen liegt heute bei 45,8 Jahren, 2045 werden es 49,5 Jahre sein, glauben die Wissenschaftler. Die Folge: Außer in den Stadtstaaten Hamburg und Berlin sinkt bundesweit die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter.
Das Rentensystem muss erneuert werden
Es ist keine neue Erkenntnis: Ein Topf, in den immer weniger Leute einzahlen, aber aus dem immer mehr Leute etwas bekommen, leert sich. Dazu kommt, dass die Digitalisierung die Arbeitswelt wandelt, das klassische Angestelltenverhältnis seltener wird und mehr Leute selbstständig und auf Abruf einzelne Aufträge abarbeiten. Denn noch füllen vor allem Abzüge von Lohn und Gehalt der Arbeiter und Angestellten die Sozialkassen.

„Die sozialen Sicherungssysteme sind für die klassischen Arbeitsverhältnisse der Industriegesellschaft des 20. Jahrhunderts konzipiert“, heißt es in der Studie. „Schwankende Einnahmen, häufige Jobwechsel, internationale Mobilität werden nicht adäquat berücksichtigt. Unter dem Strich wird damit die Finanzierung schwieriger. Die Beitragssätze werden steigen, zugleich verändert sich die Bemessungsgrundlage.“
„Der Sozialstaat braucht ein Update“, stellen die Autoren fest. Denkbar sind aus Sicht des Instituts andere Finanzierungen wie etwa eine Erwerbstätigenversicherung, in die auch Minijobber, Selbstständige und Beamte einzahlen, oder eine Wertschöpfungsabgabe, um Kapitaleinkommen stärker heranzuziehen.

Klimaanpassung statt Klimaschutz
Ein international abgestimmtes Vorgehen zum Klimaschutz sei in weite Ferne gerückt. Neben dem Klimaschutz werde deshalb die Anpassung an den Klimawandel wichtiger. Deutschland sei dabei, seine Vorreiterrolle im Klimaschutz einzubüßen. Entsprechende Technologie werde zukünftig verstärkt in China entwickelt.

Langfristige Prognosen sind natürlich sehr unsicher. Die Bevölkerungs- und Abwanderungsprognosen von Prognos sind zwar ähnlich wie andere, etwa vom Institut der deutschen Wirtschaft. Allerdings ist die weit verbreitete These „wachsende und junge Bevölkerung führt zu mehr Wirtschaftswachstum“ jüngst auch in Kritik geraten. Daron Acemoglu (MIT) und Pascual Restrepo (Boston University) konnten in einer vielbeachteten Studie („Secular Stagnation? The Effect of Aging on Economic Growth in the Age of Automation“, American Economic Review 2017) auf Basis von empirischen Daten aus einer großen Zahl von Ländern überhaupt keinen negativen Zusammenhang zwischen Alterung und Wirtschaftswachstum pro Kopf feststellen. Denn: Manche stark alternde Gesellschaften, etwa Japan, investierten in moderne Produktionsweisen, ersetzten also menschliche Arbeitskraft schneller als andere durch Roboter und Künstliche Intelligenz. So könnte die Bremswirkung der Alterung mehr als wettgemacht werden.

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