Die Wirtschaftsweisen erwarten im kommenden Jahr vor allem wegen der Energiekrise einen leichten Rückgang der Wirtschaftsleistung in Deutschland. Der Sachverständigenrat rechnet in seinem am Mittwoch vorgelegten Jahresgutachten damit, dass das Bruttoinlandsprodukt um 0,2 Prozent schrumpft. Die Ökonomen sind damit etwas optimistischer als die Bundesregierung. Für 2022 rechnen die Wirtschaftsweisen mit einem Wachstum um 1,7 Prozent.
Eine spürbare Entlastung bei den Verbraucherpreisen erwartet der Rat vorerst nicht: Laut Prognose liegt die Inflationsrate bei 8 Prozent in diesem Jahr und 7,4 Prozent im kommenden Jahr.
Die Energiekrise und die Inflation belasteten die Haushalte und die Unternehmen schwer, schrieb der Sachverständigenrat, der die Bundesregierung berät. Seit Mitte des Jahres führten die stark gestiegenen Energie- und Lebensmittelpreise zu immer stärkeren Kaufkraftverlusten und dämpften den privaten Konsum. Gleichzeitig belaste die Energiekrise die Produktion, insbesondere in den energieintensiven Industriezweigen. Die globale Abkühlung schwäche die Exportnachfrage.
Schneller schlau: Inflation
Wenn die Preise für Dienstleistungen und Waren allgemein steigen – und nicht nur einzelne Produktpreise – so bezeichnet man dies als Inflation. Es bedeutet, dass Verbraucher sich heute für zehn Euro nur noch weniger kaufen können als gestern noch. Kurz gesagt: Der Wert des Geldes sinkt mit der Zeit.
Die Inflationsrate, auch Teuerungsrate genannt, gibt Auskunft darüber, wie hoch oder niedrig die Inflation derzeit ist.
Um die Inflationsrate zu bestimmen, werden sämtliche Waren und Dienstleistungen herangezogen, die von privaten Haushalten konsumiert bzw. genutzt werden. Die Europäische Zentralbank (EZB) beschreibt das wie folgt: „Zur Berechnung der Inflation wird ein fiktiver Warenkorb zusammengestellt. Dieser Warenkorb enthält alle Waren und Dienstleistungen, die private Haushalte während eines Jahres konsumieren bzw. in Anspruch nehmen. Jedes Produkt in diesem Warenkorb hat einen Preis. Dieser kann sich mit der Zeit ändern. Die jährliche Inflationsrate ist der Preis des gesamten Warenkorbs in einem bestimmten Monat im Vergleich zum Preis des Warenkorbs im selben Monat des Vorjahrs.“
Eine Inflationsrate von unter zwei Prozent gilt vielen Experten als „schlecht“, da sie ein Zeichen für schwaches Wirtschaftswachstum sein kann. Auch für Sparer sind diese niedrigen Zinsen ein Problem. Die EZB strebt mittelfristig eine Inflation von zwei Prozent an.
Deutlich gestiegene Preise belasten Verbraucherinnen und Verbraucher. Sie können sich für ihr Geld weniger leisten. Der Privatkonsum ist jedoch eine wichtige Stütze der Konjunktur. Sinken die Konsumausgaben, schwächelt auch die Konjunkturentwicklung.
Von Disinflation spricht man, wenn die Geschwindigkeit der Preissteigerungen abnimmt – gemeint ist also eine Verminderung der Inflation, nicht aber ein sinkendes Preis-Niveau.
Wirtschaftsweise schlagen Energie-Solidaritätszuschlag vor
Einkommensstarke Haushalte sollen aus Sicht der Wirtschaftsweisen stärker an der Finanzierung von Entlastungen in der Energiekrise beteiligt werden. Das könnte streng befristet über einen Energie-Solidaritätszuschlag oder eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes geschehen, geht aus dem Jahresgutachten des Sachverständigenrats hervor. Dies würde die öffentlichen Haushalte entlasten. Der Vorschlag war zuvor bekanntgeworden und hat eine breite Debatte ausgelöst.
Im Gutachten der Wirtschaftsweisen heißt es, Entlastungen wie Tankrabatt, 9-Euro-Ticket oder Energiepreispauschalen hätten auch Haushalte begünstigt, welche die Preise eigentlich schultern könnten. „Dadurch fallen die fiskalische Belastung sowie inflationstreibende Nachfrageimpulse höher als notwendig aus.”
Vor diesem Hintergrund sollte auch der von der Bundesregierung geplante Abbau der sogenannten kalten Progression verschoben werden. Vor allem Finanzminister Christian Lindner setzt sich dafür ein, ab 2023 die kalte Progression - quasi eine inflationsbedingte heimliche Steuererhöhung - auszugleichen.
Der Ausgleich der kalten Progression sei steuersystematisch zwar grundsätzlich geboten, erklärte der Wirtschaftsweise Achim Truger. „Aktuell geht es aber um eine zielgenaue Entlastung unterer und mittlerer Einkommensgruppen, und die öffentlichen Haushalte sollten nicht überstrapaziert werden.”
Wie geht es mit der Schuldenbremse weiter?
Die konjunkturellen Schockwellen des Ukraine-Krieges könnten den Wirtschaftsweisen zufolge ein erneutes Aussetzen der Schuldenbremse im nächsten Jahr rechtfertigen. Der Bundeshaushalt 2023 könne aus heutiger Sicht durch die Nutzung der allgemeinen Rücklage in Höhe von etwa 40 Milliarden Euro die Regelgrenzen der Schuldenbremse zwar einhalten, erklärte der Sachverständigenrat.
„Wenn diese Rücklage im Jahr 2023 genutzt wird, steht sie jedoch im Jahr 2024 nicht mehr zur Verfügung“, warnen die fünf Experten um die Münchner Ökonomin Monika Schnitzer. Die Einhaltung der Regelgrenzen ohne die Möglichkeit, in stärkerem Umfang auf Rücklagen zurückgreifen zu können, könnte dann zu „einem hohen Konsolidierungsdruck und einem entsprechend stark negativen fiskalischen Impuls führen“.
Die Bundesregierung will die Schuldenbremse 2023 erstmals seit 2019 wieder einhalten. Darauf beharrt insbesondere Finanzminister Christian Lindner (FDP). Der Etatentwurf soll in der Nacht auf Freitag abschließend vom Haushaltsausschuss des Bundestages beraten werden. Auch unter Einhaltung der Schuldenbremse können bis zu 45 Milliarden Euro an neuen Schulden aufgenommen werden. Zehn Milliarden Euro davon will Lindner für den Aufbau einer Aktienrente verwenden. Zudem soll eine Rücklage von rund 48 Milliarden Euro nahezu aufgezehrt werden, die sich vor allem durch Reserven für die Flüchtlingspolitik unter der großen Koalition aufgetürmt hatte.
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