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„Prozess wird Jahre dauern“ Merkel schließt Turbo-Rettung für den Euro aus

Eine schnelle Euro-Rettung fällt aus. Merkel dämpfte in einer Regierungserklärung Erwartungen einer raschen Lösung. Die Opposition reagierte mit Spott und erklärte die Kanzlerin zum Stabilitätsrisiko für Europa.

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Angela Merkel (CDU). Quelle: dpa

Berlin Bundeskanzlerin Angela Merkel rechnet nicht mit einer raschen Lösung der Schuldenkrise. „Es gibt keine einfachen und schnellen Lösungen“, sagte Merkel am Freitag im Bundestag in ihrer Regierungserklärung zum EU-Gipfel in der kommenden Woche. Einen Befreiungsschlag oder Paukenschlag werde es nicht geben. Sie rechne mit einem langen Prozess. „Dieser Prozess wird Jahre dauern“, sagte Merkel.

Die Kanzlerin bekräftigte das Ziel, die Wirtschafts- und Währungsunion zu stärken. Auf der Tagungsordnung stehe jetzt eine Stabilitätsunion. Die Notwendigkeit einer Fiskalunion sei inzwischen weitgehend anerkannt. „Wir reden nicht nur über eine Stabilitätsunion, sondern wir fangen an, sie schaffen.“ Dies sei gar nicht hoch genug einzuschätzen. Notwendig sei eine „neue europäische Schuldenbremse für Mitglieder der Eurozone“, sagte Merkel. Zudem sei die Notwendigkeit einer Fiskalunion inzwischen weitgehend anerkannt, fügte sie hinzu. Die Autorität der europäischen Institutionen müsse so gestärkt werden, dass für sie auch glaubwürdige Durchgriffsrechte möglich seien.

Merkel betonte, sie fahre mit dem Ziel von Vertragsänderungen für verbindliche Stabilitätsregeln zum EU-Gipfel. Der zweitbeste Weg zu mehr Stabilität seien Verträge zwischen Euro-Staaten.

Der deutsche Aktienmarkt reagierte positiv auf die Merkel-Rede. Der Leitindex Dax gewann im frühen Handel 1,81 Prozent auf 6145 Punkte und ist damit auf Wochensicht auf bestem Wege, ein Plus von rund zwölf Prozent zu erzielen. Der MDax stieg um 1,57 Prozent auf 9044 Punkte und der TecDax rückte um 1,10 Prozent auf 704 Punkte vor. „Frau Merkel hat die Erwartungen an den Euro-Gipfel Ende der nächsten Woche noch etwas hochgeschraubt“, sagte Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse der Baader Bank. Die Hoffnung, dass die Bundeskanzlerin auf dem EU-Gipfel mehr Lösungsansätze für die Euro-Krise auflisten werde als bisher, wachse zunehmend. „Frau Merkel muss es schaffen, gemeinsam mit ihren Amtskollegen die Finanzmärkte mit einer frohen Botschaft in die Weihnachtspause zu schicken.“

Merkel und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy wollen an diesem Montag in Paris ein Konzept für eine Reform der Währungsunion vorlegen. Angestrebt wird eine sogenannte Stabilitätsunion der 17 Euro-Länder mit schärferen Sanktionen gegen Haushaltssünder und einer strengeren Aufsicht über die Etatpläne einzelner Euro-Länder. Dazu sollen nach dem Willen Berlins die europäischen Verträge geändert werden.

Ende nächster Woche beraten die EU-Staats- und Regierungschefs Maßnahmen zur Lösung der Euro-Schuldenkrise.

Die klaren Vorstellungen Deutschlands für eine Stabilitätsunion hätten nichts damit zu tun, dass die Bundesrepublik Europa dominieren wolle, betonte Merkel. „Das ist abwegig.“ Die deutsche und die europäische Einigung „waren und sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Und das werden wir nie vergessen.“


Merkel: Spaltung Europas verhindern

Merkel lehnte ein stärkeres Eingreifen der Europäischen Zentralbank (EZB) ab. „Die Aufgabe der Europäischen Zentralbank ist eine andere als die der Fed der Vereinigten Staaten von Amerika oder der Bank of England“, sagte Merkel. Sie werde Entscheidungen der EZB nicht kommentieren und ihr auch keine Ratschläge erteilten.

Viele Experten fordern eine aktivere Rolle der EZB bei der Lösung der Schuldenkrise - etwa durch verstärkte Ankäufe von Staatsanleihen, wie es die Fed und die Bank of England tun.

Die Kanzlerin sprach stattdessen für eine Änderung der EU-Verträge aus, um die Schuldenkrise in den Griff zu bekommen und Wiederholungen zu verhindern. „Es führt kein Weg vorbei, die europäischen Verträge zu ändern“, sagte Merkel. Der zweitbeste Weg wären neue Verträge. Eine Spaltung der Europäischen Union müsse dabei verhindert werden. Jedem der zehn EU-Mitglieder, die nicht der Währungsunion beigetreten sind, müsse es freistehen, sich den geplanten härteren Haushaltsregeln für die Euro-Länder anzuschließen.

Merkel sprach sich dafür aus, den Euro-Rettungsschirm ESM zu stärken. Er müsse zu einem schlagkräftigen Instrument für Notsituationen ausgebaut werden. Euro-Bonds lehnte die Bundeskanzlerin erneut ab.

SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier zerriss Merkels Rede und warf ihr vor, selbst ein Stabilitätsrisiko für Europa zu sein. Merkel habe in ihrer Regierungserklärung am Kern der Sache vorbeigeredet, hielt Steinmeier der Regierungschefin vor. „Keiner, Frau Merkel, wirft ihnen vor, dass es die Krise gibt. Aber wie sie mit ihr umgehen, das geht auf keine Kuhhaut.“ Merkel trage mit Wankelmütigkeit und Entscheidungslosigkeit Mitverantwortung dafür, dass nichts stabiler geworden sei. „Ihr Taktieren macht die Lage in Europa nicht stabil“, bemängelte er. Das Gegenteil sei der Fall.


SPD spricht Merkel Glaubwürdigkeit ab

Der SPD-Politiker kritisierte, Merkel habe bislang alle Bastionen geräumt, die sie einmal in der europäischen Diskussion über die Beilegung der Krise eingenommen habe. Daher fehle es ihr an jeder Glaubwürdigkeit. Der SPD-Fraktionschef warb für Einigkeit in Europa. „Europa kann sich aus diesem Schlamassel nur gemeinsam wieder herauskämpfen.“

Merkel scheue in der Krisenbekämpfung Verantwortung und schiebe diese letztlich der EZB zu, sagte Steinmeier. In den hellen Tagesstunden kritisiere die Kanzlerin die anderen Europäer, die in der EZB die letzte Instanz für die Lösung der Krise sähen, „und wenn es dunkel wird, beten sie dafür, dass die EZB weiter Anleihen kauft“. Dieses Handeln der EZB kritisiere er nicht. Es sei aber nichts anderes als eine Form gemeinsamer Haftung in Europa. „Sie findet statt, durch Anleihenkäufe der EZB.“ Das sei wohl unvermeidbar, man dürfe das aber auch nicht leugnen, wie es die Regierung tue.

FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle hielt der der Opposition in der Europa-Frage Fahrlässigkeit vor. „Sie stellen Parteitaktik über das Schicksal Europas“, sagte Brüderle. „Sie benehmen sich europapolitisch wie Ackergäule“, sagte Brüderle an die Adresse der SPD. Kanzlerin Merkel „kämpft engagiert für Europa, und wir stehen hinter ihr“, betonte der FDP-Politiker.

Wie Merkel lehnt auch Brüderle stärkere Anleihenkäufe durch die EZB ab. Grenzenlose Ankäufe wären „fatal und falsch“, sagte er. Die EZB sei der Preisstabilität verpflichtet. „Das ist das Erbgut der Deutschen Bundesbank.“ In dem gegen eine Deflation kämpfenden Japan lasse sich beobachten, wohin eine ausufernde Vermehrung der Geldmenge führe. Auch die USA kämen nicht auf die Beine, obwohl ihre Notenbank die Märkte mit billigem Geld geflutet habe.

Brüderle begrüßte die Pläne von Merkel und Frankreichs Präsident Sarkozy, härtere Haushaltsregeln in den EU-Verträgen durchzusetzen und Verstöße stärker zu bestrafen. „Sie müssen das reparieren, was andere deutsche und französische Regierungen leichtfertig beschädigt haben“, sagte der Liberale. Er versuchte, Sorgen im Ausland über eine deutsche Dominanz zu dämpfen. „Es geht nicht darum, ein deutsches Europa zu schaffen, sondern ein gutes Europa zu schaffen“, sagte Brüderle.

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