Prozessauftakt Corona-Test-Betrug – Millionensumme kassiert?

Ein Geschwisterpaar soll in Berlin durch den Betrug mit Corona-Testzentren mehr als 12 Millionen Euro erschlichen haben. Nun stehen sie vor Gericht. Quelle: dpa

Als Corona-Teststationen wie Pilze aus dem Boden schossen, zeichneten sich bald Risiken des Modells ab. Zahlreiche Betrugsverfahren sind inzwischen anhängig. In Berlin steht nun ein Geschwisterpaar vor Gericht.

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Ein Spätkauf-Betreiber und seine Schwester sollen sich in Berlin insgesamt mehr als 12 Millionen Euro durch den Betrug mit Corona-Testzentren erschlichen haben – innerhalb von nur zehn Monaten. Ein mutmaßlicher Schwindel, der laut Ermittlungen über 18 Teststationen gelaufen sein soll. Viereinhalb Monate nach der Festnahme der Geschwister ist es einer der Verteidiger, der zu Prozessbeginn am Montag vor dem Landgericht Berlin das Wort ergreift, für den 46 Jahre alten Geschäftsmann die Anklage zurückweist und dem Staat ein „ganz erhebliches Versagen“ vorwirft.

Es ist das für die Hauptstadt bisher größte Strafverfahren wegen Verdachts auf Betrugs bei der Abrechnung von Corona-Bürgertests. „Selbstständig“ gibt der 46-Jährige nur als berufliche Tätigkeit an. In der Anklage heißt es, er habe „zahlreiche Spätkäufe und weitere Gewerbe betrieben“. Die Verlesung der Anklage verfolgt der Geschäftsmann mit verschränkten Armen.

67 Fälle werden ihm zur Last gelegt – die Staatsanwaltschaft geht von besonders schwerem Betrug aus. Seiner 44-jährigen Schwester wird Beihilfe vorgeworfen. Die Geschwister waren Ende März 2022 bei Durchsuchungen von Wohnungen und Teststationen in Berlin festgenommen worden. Der Geschäftsmann sitzt seitdem in Untersuchungshaft, seine Schwester seit Juni nicht mehr.

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Die Angeklagten sollen zwischen Mai 2021 und Februar 2022 bei der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin Corona-Tests abgerechnet haben, die gar nicht oder nicht in der angegebenen Anzahl erbracht worden seien. Der Mann soll laut Anklage rund 9,7 Millionen Euro erschwindelt haben, die Frau etwa 2,5 Millionen Euro. Mehr als 6,6 Millionen Euro habe der 46-Jährige auf ein Konto in die Türkei weitergeleitet, so die Anklage.

Der Geschäftsmann weist in einer Erklärung, die sein Verteidiger Thomas Baumeyer für ihn verliest, den Vorwurf zurück, er habe gegenüber Behörden zur Verschleierung seiner Verantwortung andere Personen als angebliche Betreiber von Teststationen genannt. Die Behauptung der Anklage werde „mit Nachdruck bestritten“. Zudem habe der 46-Jährige lediglich zwei Testzentren betrieben – zuletzt sei es im Februar sogar nur noch eins gewesen.

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Anwalt Baumeyer sagt am Rande, sein Mandant habe „keinen Betrug begangen und kein Geld rechtswidrig erlangt“. Es liege im Zusammenhang mit Corona-Testzentren allerdings ein „staatliches Versagen“ vor. Es habe an Kontrolle und Überwachung gefehlt.

Die Anklage wirft dem 46-Jährige vor, er habe „zur Verschleierung seiner faktisch bestehenden operativen Verantwortlichkeit“ auch seine Schwester und zwei gesondert verfolgte Komplizen gegenüber den behördlichen Stellen als Betreiber genannt. Die Schwester habe die Taten des 46-Jährigen befördert, indem sie unter anderem die Verwendung ihrer Personalien für die Registrierung und Abrechnung von Testzentren gestattet habe, so die Anklage.

von Christian Schlesiger, Jürgen Salz

Vergleichbare Fälle beschäftigen auch die Justiz in anderen Bundesländern, etwa in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg. In Bochum war ein Unternehmer zu sechs Jahren Haft verurteilt worden, der gestanden hatte, deutlich mehr sogenannte Bürgertests abgerechnet zu haben, als tatsächlich durchgeführt worden waren. 24,5 Millionen Euro Schaden sei dem Bund entstanden. Im Mai hatte das Amtsgericht Freiburg einen Mann zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, weil er rund 5,7 Millionen Euro für ein nie betriebenes Testzentrum kassiert hatte.

Nachdem sich Verdachtsfälle zu Abrechnungsbetrügereien bundesweit gehäuft hatten, war die Testverordnung mehrfach angepasst worden. Es folgten Stichprobenprüfungen und strengere Vorgaben dazu, welche Angaben plausibel sind. Allein in der Hauptstadt gab es nach Angaben der Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit zu Spitzenzeiten (8. Juni 2021) 1656 gewerbliche Teststellen. Diese wurden laut Senat nur „sporadisch“ kontrolliert. Die für die Hauptstadt angenommene Schadenssumme sollte schon vor Monaten mindestens 24 Millionen Euro betragen.

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Für den Prozess sind bislang 13 weitere Prozesstage bis 24. Oktober terminiert. Er soll an diesem Mittwoch fortgesetzt werden.

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