Pulverfass Sahel „Wenn wir das jetzt nicht herunterkühlen, fliegt uns die Lage bald richtig um die Ohren“

Eine Bundeswehrsoldatin der Minusma-Mission in Mali.  Quelle: imago images

Auf der Münchner Sicherheitskonferenz steht der Systemkonflikt mit Russland und China im Vordergrund. Verteidigungsexperte Fabian Knörzer fordert, eine andere Großkrise nicht aus den Augen zu verlieren.

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Fabian Knörzer ist Experte für die Sahel-Region am Haus Rissen in Hamburg. Er bildet in dieser Funktion Bundeswehrsoldatinnen und -Soldaten für ihren Einsatz vor Ort aus. Mit der WirtschaftsWoche sprach er über die Folgen des Abzugs der Truppe aus Mali und über das Pulverfass Sahel, das außer Kontrolle zu geraten droht. 

WirtschaftsWoche: Herr Knörzer, die Bundeswehr zieht aus Mali ab. Ihre Meinung dazu?
Fabian Knörzer: Der Abzug aus Mali ist sinnvoll. Die Blockade der Militärjunta macht es für die Bundeswehr unmöglich, ihren Auftrag im Rahmen der UN-Mission Minusma durchzuführen, geschweige denn die eigenen Leute effektiv zu schützen. Trotzdem können wir uns einen Abzug aus der gesamten Sahelregion leider nicht leisten. Dies hätte mittelfristig katastrophale Folgen für die Sicherheit der Region, Afrikas und schlussendlich Europas. Natürlich müssen wir uns aktuell auf die Landes- und Bündnisverteidigung konzentrieren, da sind wir uns alle einig. Aber wir dürfen uns auf keinen Fall aus solchen Stabilisierungsmissionen komplett zurückziehen. Oder sogar die Fähigkeiten abbauen, um in Zukunft daran teilzunehmen. 

Solche Missionen kosten viel, sind politisch schwer zu vermitteln, in Mali und zuvor in Afghanistan hatten sie kaum Erfolg. Gibt es jetzt nicht einfach andere, wichtigere Aufgaben für die Bundeswehr?
Als Antwort gebe ich Ihnen eine Metapher. In der Sicherheitspolitik ist es ein wenig so, als würde man auf mehreren Herdplatten gleichzeitig kochen. Wenn Sie sich nur auf einen Topf konzentrieren, wird der andere zwangsläufig überkochen. Wenn Sie nicht mehrere Dinge gleichzeitig im Auge behalten, bekommen Sie eine schreckliche Schweinerei.

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Und der Topf in Mali droht überzukochen?
Der Sahel ist eine Konfliktregion, die uns als Europäer direkt betrifft. Sie ist unser geografischer Vorhof. Malis Nachbar Algerien grenzt direkt an die EU. Weil die Instabilität vor Ort zunimmt, laufen seit Jahren zahlreiche Routen für den organisierten Menschen- und Drogenhandel durch die beiden Staaten und direkt nach Europa. Dazu kommen Fluchtbewegungen und wachsende Rückzugsorte für den internationalen Terrorismus. Mali ist dabei das Epizentrum. Je instabiler die Lage dort, desto instabiler wird die Lage in Westafrika und auf dem gesamten Kontinent. Wenn wir das jetzt nicht mit der richtigen Entwicklungspolitik und mit den richtigen militärischen Mitteln herunterkühlen, fliegt uns die Lage bald richtig um die Ohren. 

Afghanistan all over again?
Schlimmer. Ich spreche von einem sich über mehrere Staaten ausbreitenden Krisengebiet, mindestens dreimal größer als Afghanistan, wirtschaftlich relevanter und direkt vor unserer Haustüre. Und wenn es erst einmal so weit gekommen ist, werden wir mit kleinen Einsatzkontingenten von 1400 Soldatinnen und Soldaten nicht mehr viel gutmachen können. Die Dimensionen werden dann ganz andere sein, mit katastrophalen humanitären Folgen für die Zivilbevölkerung.

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Aber die Regierung in Mali will selbst keine UN-Truppen mehr im Land haben. Stattdessen gibt es zunehmend dubiose Kooperationen mit russischen Söldnern...
Söldner, die erstens auf brutalste Weise gegen Zivilisten vorgehen und es zweitens qualitativ nicht schaffen, die Terrorgruppen vor Ort zu bekämpfen. Es stimmt, dass sich in Mali ein Regime an die Macht geputscht hat, das die UN nicht mehr haben will. Die Franzosen sind schon weg, die Engländer auch, jetzt die Deutschen. Die mehrheitlich afrikanischen Blauhelme, die bleiben, sind wesentlich schlechter ausgebildet und ausgerüstet. Trotzdem war der Abzug – aus Sicht des Auftrags sowie zur Sicherheit der Truppe vor Ort – richtig. Umso wichtiger wird es jetzt sein, die militärische Präsenz in den Nachbarländern zu erhöhen. Wir müssen das sich ausbreitende Chaos eindämmen.

Die Bundesregierung hat durchaus versprochen, den Sahel weiter zu unterstützen. Die Bundeswehr soll dauerhaft in Niger stationiert werden.
Es ist schwer zu sagen, ob das wirklich ausreicht. Gerade in Niger passiert politisch gerade unheimlich viel. Auch dort nehmen etwa prorussische und Anti-UN-Kampagnen zu. Genauso war es damals in Mali, bevor Wagner anrückte. Wie der zukünftige Bundeswehreinsatz genau aussehen wird, weiß aktuell niemand. Es gibt Spekulationen über einen Ausbau der Ausbildungsmission, aber auch über zusätzliche Soldatinnen und Soldaten zur Stabilisierung vor Ort. Fakt bleibt: Wir müssen in der Region im Vergleich zu den vergangenen zehn Jahren entwicklungspolitisch und militärisch viel mehr machen. 

Hätten Sie ein Beispiel?
Frankreich hat sich aus Mali zurückgezogen, aber die französische Mission zur Bekämpfung von Dschihadisten im Sahel läuft noch immer. Deutschland könnte prominent einsteigen, logistisch unterstützen und aktiv mitkämpfen. Bisher gab es kein wirkliches Mandat dazu. Ein Grund dafür, dass sich der Terror ausbreiten konnte. 

Klingt nach einem Kampf gegen Windmühlen...
Ich sage nicht, dass militärischer Einsatz ein Wunderheilmittel ist. Er muss Teil eines Gesamtpakets sein. Aber ich gebe Ihnen ein Beispiel: Die nigrische Grenze ist relativ gut gesichert zu Mali hin, dank der Ausbildung und Ausrüstung nigrischer Streitkräfte durch die Bundeswehr und ihrer Verbündeten im Rahmen der EU-Mission Operation Gazelle. Trotzdem bleibt der IS im Dreieck Mali, Niger, Burkina Faso äußerst aktiv. Im Frühjahr 2022 führte er regelmäßig Offensiven auf der malischen Seite durch. Die Kämpfer wussten genau, dass die Regierung in Bamako nicht in der Lage ist, etwas dagegen zu tun. Das alles bedeutet unendliches Leid für die Zivilbevölkerung, das sich ohne die robuste Grenzsicherung noch weiter auch auf die Nachbarstaaten ausbreiten würde.

Das Geld der Bundeswehr reicht schon jetzt nicht, ist eine Mission zur Sicherung des Sahels realistisch?
Wir müssen ja nicht wie die US-Amerikaner in den Hochzeiten des Afghanistan-Einsatzes mit 100.000 Soldatinnen und Soldaten vor Ort sein. Aber wir müssen kleine schlagkräftige Kontingente in Kooperation mit unseren internationalen Partnern in Betracht ziehen. Letztere haben vor Ort übrigens wesentlich bessere militärische Infrastruktur als Deutschland. Noch einmal, es gilt jetzt die Probleme zu bekämpfen, die uns sonst in zehn bis zwanzig Jahren in Europa massiv heimsuchen werden.

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Das ist mir bewusst. Mir ist auch bewusst, dass mit Russlands Krieg gerade andere Dinge Priorität haben. Aber jetzt nicht zu handeln, ist genauso, als ob Sie die Symptome einer Krankheit ignorieren. Am Ende landen Sie in der Notaufnahme. Jetzt hilft eine Behandlung noch, in zehn Jahren wahrscheinlich nicht mehr. Das muss die Politik einsehen und den Leuten erklären, auch wenn es kein Wahlthema ist. Andernfalls werden wir in naher Zukunft von der nächsten globalen Katastrophe „überrascht“.

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