Razzia im Flüchtlingsheim „Wir werden nicht mehr zuschauen“

Schlägereien, Diebstahl, Asylbetrug – eine Gruppe junger Männer aus Algerien sorgt seit Monaten für Chaos im Flüchtlingsheim im baden-württembergischen Ellwangen. Den Behörden reicht es jetzt.

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In einer Polizeiaktion wurde die Landeserstaufnahmeeinrichtung Ellwangen (Baden-Württemberg) durchsucht und Flüchtlinge überprüft. Quelle: dpa

Ellwangen Sie rücken noch vor dem Morgengrauen an, um 6.30 Uhr, in vielen blauen und grünen Polizeibussen, und stellen die Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge (Lea) in Ellwangen für einen halben Tag auf den Kopf: Mit zwei Hundertschaften der Polizei geht das Regierungspräsidium Stuttgart am Donnerstag gegen illegale und kriminelle Flüchtlinge vor.

In der Unterkunft im Ostalbkreis machen Gewalt, Schlägereien und Verbrechen Schlagzeilen, seit Monaten schon. Und den Ärger macht nach Ansicht der Behörden immer wieder dieselbe Gruppe: ein paar Dutzend junge Männer aus Algerien.

Überraschend schlugen die Behörden nun zurück: 40 junge Männer aus Nordafrika wurden am Donnerstag kontrolliert, registriert – und nach Stuttgart abtransportiert. „Wir werden nicht mehr zuschauen“, sagt Lea-Leiter Berthold Weiß.

Von einer Razzia will die Polizei bei dieser „konzentrierten Aktion“, der ersten ihrer Art, nicht sprechen. „Razzia ist ein Sammelbegriff der Medien für alles, wo viel Polizei ist“, sagt Sprecher Bernhard Kohn.

Dabei sieht der Einsatz schon sehr nach Razzia aus: Die Bereitschaftspolizisten durchsuchen Zelte und Hallen, stellen Diebesgut sicher, forcieren stundenlang die Registrierung der nordafrikanischen Flüchtlinge, nehmen mehrere Asylbewerber fest. Auch Verbindungsbeamte aus Frankreich helfen mit.

Seit der Öffnung der Erstaufnahme im April 2015 habe es Probleme mit Algeriern gegeben, berichtet Weiß. Nun sei man sich aber sicher, dass es sich um eine eingegrenzte Personengruppe handele.

„Das ist ein kleiner Personenkreis, der die ganze Stimmung kaputtmacht.“ Mit der Gleichbehandlung etwa zwischen Syrern und Algeriern sei nun Schluss. „Wir müssen mit dieser Zielgruppe anders umgehen“, sagt Weiß.

Im Gang des Verwaltungstrakts herrscht noch mittags reges Treiben, Polizisten in gelben Warnwesten stehen im Flur, in den kleinen Zimmern reihen sich Beamte um Flüchtlinge und stellen Fragen. Fingerabdrücke werden genommen, Porträtfotos gemacht, Namen erfasst, mit Händen und Füßen wird übersetzt.

Vor allem bei der Registrierung tanzten die Nordafrikaner den Behörden bislang auf der Nase herum: Zwar meldeten sich die Nordafrikaner bei der Lea-Verwaltung an, um Taschengeld von bis zu 143 Euro pro Woche zu kassieren, berichtet Weiß.


„98 Prozent werden abgelehnt“

Aber um die richtige Registrierung und den Asylantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge drückten sich viele. „Allein gestern haben elf Algerier den Termin beim Gesundheitsamt verpasst“, erzählt er. Syrer hingegen stünden teils stundenlang Schlange für den Termin.

Bei der Registrierung werden Fingerabdrücke elektronisch mit bundesweiten Daten abgeglichen. Dann kommt mitunter heraus, dass die Flüchtlinge für Straftaten gesucht werden oder bereits woanders einen Asylantrag gestellt haben. Die Chancen auf Bleibe sind für Algerier mehr als mager: „98 Prozent werden abgelehnt“, sagt Weiß.

Der Lea-Leiter ist sich sicher: „Da waren teilweise kriminelle Elemente dabei, die gar keine Flüchtlinge sind.“ Der Verdacht der Behörden bestätigt sich: Zwei Nordafrikaner werden wegen eines schweren Raubs vor wenigen Tagen verhaftet. Bei einem weiteren finden die Beamten geklaute Handys, Elektrogeräte, teure Kleidung, ein anderer hat Drogen am Körper versteckt – beide werden festgenommen.

Sieben Algerier führten doppelte Identitäten. Vier Männer werden für Straftaten in Frankreich gesucht. Fünf hatten bereits in anderen europäischen Ländern Asyl beantragt. „Das ist ein ordentliches Ergebnis“, sagt Polizeisprecher Bernhard Kohn.

In der Halle 101 wird für die algerischen Flüchtlinge ein provisorischer Wartebereich eingerichtet. Es ist 13.19 Uhr, ein halbes Dutzend Flüchtlinge wartet gerade auf Holzbänken, sie essen Wurstbrötchen, schauen bedrückt.

„Die wissen ja gar nicht, was hier passiert“, sagt eine Mitarbeiterin der Lea. Ein Übersetzer schreibt gerade ihre Namen auf ein Blatt Papier, damit sie registriert werden können. Ein Dutzend Polizisten kontrolliert den Eingang der Halle.

Vor der Halle warten die ersten Asylbewerber im Reisebus auf den Abtransport. Die Männer drücken ihre Gesichter an die Busscheiben, sie sehen erschöpft aus, besorgt. Bis zum Abend sollen alle nordafrikanischen Flüchtlinge ins Reitstadion nach Stuttgart verlegt werden – dort warten 30 Landsleute, die bereits vor zwei Wochen wegen Schlägereien aus Ellwangen verlegt wurden.

Refat Khabour ist erleichtert. „Wir sind sehr glücklich heute“, sagt er. Seit 25 Tagen lebt der Syrer mit Frau und vier Kindern in Ellwangen. Immer wieder habe es Probleme mit den Algeriern gegeben.

„Sie kommen hier einzeln ohne Familie, sie tun, was sie wollen, können sich leicht bewegen. Sie trinken sehr viel. Ihnen fehlt der Respekt“, schimpft der 54-Jährige. Refat Khabour hofft nun auf ruhigere Zeiten in der Lea.

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