Angela Merkel versucht den Befreiungsschlag. Mit Jens Spahn bindet die CDU-Chefin einen ihrer größten internen Kritiker ins Kabinett ein. Mit Annegret Kramp-Karrenbauer wird eine erfolgreiche und in der Partei beliebte Ministerpräsidentin Generalsekretärin. Und als künftige Bildungsministerin präsentiert die Kanzlerin am Sonntag die 46 Jahre alte Anja Karliczek. Vor allem jünger und weiblicher sollten Regierungsmannschaft und Partei werden, hatten die Kritiker von der Kanzlerin nach dem Desaster bei der Bundestagswahl verlangt. Merkel hat geliefert.
„Ich glaube, damit haben wir ein tatkräftiges, ein auf die Zukunft ausgerichtetes Team aufgestellt“, zeigt sich die Kanzlerin zufrieden. Die Ministerliste stößt auch beim Unions-Wirtschaftsflügel auf Zuspruch. „Die Debatten der letzten Wochen zeigen erste Erfolge. Es ist gelungen, ein überzeugendes Team aus erfahrenen Köpfen und neuen Impulsgebern zu präsentieren und damit zugleich die Breite der Volkspartei CDU darzustellen“, sagte der Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung von CDU und CSU, Carsten Linnemann, dem Handelsblatt.
Nach der personellen verlangt Linnemann nun auch eine inhaltliche Erneuerung der Union. „Jetzt wird es auch darauf ankommen, inhaltlich neue Akzente zu setzen und klares Profil zu zeigen, damit die Union wieder erkennbar wird und sich in einer Großen Koalition gut behaupten kann“, sagte der CDU-Politiker. Das inhaltliche Vorankommen könnte aber durch zwei Personalien ins Stocken geraten. Kramp-Karrenbauer und Spahn gelten als potentielle Merkel-Nachfolger. Zeichnet sich deshalb nun ein jahrelanger Machtkampf ab? Sie gilt als Kronprinzessin, er für etliche als Reservekanzler. Hört man sich in der CDU um, gibt es unterschiedliche Einschätzungen. Manche glauben, dass es sich der als ungeduldig geltende Spahn kaum verkneifen werde, immer wieder mal ein profilbildendes Gerangel mit der neuen Parteimanagerin zu suchen. Andere halten ihn für klug genug, sich mit Querschüssen zurückzuhalten – schließlich unterliege er nun der Kabinettsdisziplin.
Merkel setzt auf neues Ministerteam
Die Kanzlerin selbst gibt sich mit Blick auf Spahn gelassen. Beim Gespräch um dessen Ministerposten habe man außer über die fachliche Dimension natürlich auch über die Erwartung gesprochen, „was bedeutet Zusammenarbeit in einem Kabinett“, berichtet sie. „Aber das ist mit jedem so, da brauchte ich keine besondere Gesprächsführung zu betreiben.“ Es sei ja okay, dass es mal kritische Anmerkungen gebe. Trotzdem gebe es auch den Auftrag, für Deutschland etwas Gutes zu bewegen, sagt Merkel. „Und das, glaube ich, will er. Genauso wie alle anderen Kabinettsmitglieder auch.“
Dass Merkel bei der Berufung Spahns zudem einen großen Schritt auf die Partei zugegangen sei und sich für konservativere Positionen öffne, sieht die CDU-Chefin allerdings nicht so. Darauf angesprochen antwortet sie trocken. Sie würde sich „den Terminus“ nicht zu eigen machen, dass sie einen Schritt auf die Partei zugegangen sei.
Die als Bildungsministerin vorgesehene Karliczek stammt wie Spahn aus Nordrhein-Westfalen. Sie ist bisher Parlamentarische Geschäftsführerin in der Unions-Fraktion. Bei ihrer Entscheidung für die weitgehend unbekannte gelernte Hotelfachfrau und Bundestagsabgeordnete als Bildungs- und Forschungsministerin orientierte sich Merkel wohl vorrangig daran, eine junge Frau zur Ressortchefin zu machen. Dabei war vor der Verkündung noch zu hören, es stehe ein großer Wurf an, der die Entscheidung der Kanzlerin für Spahn aus den Montags-Schlagzeilen verdrängen werde. Das ist dann doch nicht so gekommen.
Als Merkel am Abend gefragt wird, ob es ein Manko sei, dass sie keine ausgewiesene Wissenschaftsexpertin für das Bildungsressort habe präsentieren können, antwortet sie recht entspannt: Als sie als junge Frau Umweltministerin im damaligen Kabinett Kohl wurde, habe es auch große Zweifel gegeben. Es gehe aber darum, dass ein Minister charakterlich geeignet sei und die Fähigkeit habe, Neues aufzunehmen. So wie ein Verteidigungsminister nicht erst alle soldatischen Laufbahnen durchlaufen müsse, müsse eben auch „eine Wissenschaftsministerin ein offenes Herz für die Wissenschaft haben, aber sie muss nicht selber Wissenschaftlerin gewesen sein“.
Für Günter Krings, Chef der NRW-Landesgruppe in der CDU-Fraktion des Deutschen Bundestages, sind die Ernennungen der Parteichefin eine Überraschung. „Ich freue mich, dass NRW zwei Minister stellen soll. Aber das Ausscheiden von Gröhe ist ein menschlicher und fachlicher Verlust“, so Krings. Hermann Gröhe war bisher als Gesundheitsminister tätig, musste nun aber an seinem 57. Geburtstag zur Kenntnis nehmen, dass er im nächsten Kabinett Merkel nicht mehr vertreten sein wird. Der bedauert sein Ausscheiden aus der Bundesregierung, verabschiedet sich aber nicht aus der Politik. „Natürlich hätte ich diese Arbeit gerne fortgesetzt. Aber ein Ministeramt ist ein Amt auf Zeit“, sagte der CDU-Politiker.
Über seinen designierten Nachfolger Spahn sagte Gröhe: „Er kann es, und er hat meine guten Wünsche.“ Dies sei nun „kein Abschied, aber natürlich auch nicht etwas, was man sich einfach nur aus der Jacke wischt“. Der Ex-CDU-Generalsekretär galt lange als Vertrauter der Kanzlerin. Seinen Abschied – aber auch den von Thomas de Maizière – bezeichnet die Kanzlerin deshalb als „schmerzlich“.
Jüngere Generation erhält Vertrauen, sich zu beweisen
Vor allem die Konzentration auf eine Verjüngung der Regierungsmannschaft kommt bei den meisten gut an. Zwar bleiben Merkel mit Ursula von der Leyen (Verteidigung) und Peter Altmaier (Wirtschaft) zwei bewährte Stützen. Mit der Berufung von Karliczek, Spahn, Julia Klöckner und Helge Braun bekommen laut CDU-Landeschef Mike Mohring „gleich vier durchsetzungsstarke Vertreter der jüngeren Generation das Vertrauen, sich fachlich zu beweisen.“ Mit dem vorgestellten Personaltableau würden die unterschiedlichen Positionen in der Partei so auch durch unterschiedliche Köpfe repräsentiert. „Das war die Erwartung der Parteibasis und diese wurde erfüllt. Angela Merkel ist am Beginn ihrer vierten Amtszeit freier denn je“, erklärte Mohring am Rande der Bundesvorstandssitzung in Berlin.
Der Landeschef forderte darüber hinaus allerdings, dass auch in der neuen Wahlperiode ein Beauftragter für die Neuen Länder in der Bundesregierung berufen wird. Es sei aus dem Selbstbewusstsein der neuen Länder heraus und aufgrund der besonderen Problemlage im Osten die Forderung gewesen, dass ein Fachminister von dort im Kabinett sitze, sagte Mohring. Es sei die Entscheidung von CDU-Chefin Angela Merkel, dass dies nun nicht so sei. „Ich glaube, jetzt nach dieser Entscheidung ist klar, dass der Ostbeauftragte weiter berufen sein muss.“ Merkel rechtfertigte ihre Entscheidung, keinen Minister aus den neuen Bundesländern zu ernennen. Sie stamme selbst aus Mecklenburg-Vorpommern. „Ich möchte eigentlich ungern aus meiner Heimat vertrieben werden und bitte die definierte Hoheit auch auf die Bundeskanzlerin anzuwenden“, sagte die Kanzlerin.
Weitere Kritik wurde aus dem Lager der Grünen laut. „Auch wenn es neue Gesichter im Kabinett gibt, kann das nicht darüber hinwegtäuschen, dass der möglichen großen Koalition jegliches Aufbruchssignal bei den wichtigen Zukunftsherausforderungen fehlt“, kommentiert Fraktionschef Anton Hofreiter scharf.
Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther ist wiederum voll des Lobes. „Das ist das starke Paket, das ich mir immer gewünscht habe“, sagte der CDU-Politiker der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (Montag). Über die Hälfte der Kabinettsposten würden durch Frauen besetzt. Klöckner und Spahn stünden zudem auch für einen deutlich konservativeren Kurs der Union. Der Ministerpräsident betonte, die personelle Dynamik sei besonders wichtig, da die jetzt kommende Große Koalition eher für Kontinuität stehe. Sein Fazit: „Dies ist Angela Merkel hervorragend gelungen.“
Nun hängt alles vom Mitgliedervotum der SPD ab. Aber auch wenn dieses scheitern und keine große Koalition zustande kommen sollte: Merkel hat mit der Liste nach Ansicht aus Unionskreisen klargemacht, dass die „Neuen“ auf jeden Fall zur CDU-Führungsriege aufschließen sollen. Und sie hat mit zwei Ministerposten für Nordrhein-Westfalen, einer Ministerin und einem Staatsminister für Niedersachsen sowie der Kombination Staatsministerin und CDU/CSU-Fraktionschef für Baden-Württemberg versucht, die Ansprüche der großen CDU-Landesverbände zu befriedigen. Auf die Frage, ob sie nun als Plan B bereit sei, im Falle eines Scheiterns des Mitgliederentscheids der Sozialdemokraten auch eine Minderheitsregierung anzuführen, gibt sich allerdings Merkel schmallippig: „Nein, bin ich nicht.“ Sie setze darauf, dass die intensive Werbung der SPD-Spitze für eine große Koalition erfolgreich sein werde. Punkt.