Reaktionen „Menetekel eines Verfalls des politischen Systems“ – So reagieren führende Ökonomen auf die Einigung der Union

Der DIW-Präsident fürchtet Unsicherheit für die Wirtschaft. Eine koordinierte Asylpolitik in Europa habe aber ökonomisch Vorteile, sagt ein Experte.

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Berlin Nach langem Ringen haben CDU und CSU eine Einigung im Asylstreit erzielt, der wochenlang für Zündstoff in der Regierung gesorgt und auch die Finanzmärkte nervös gemacht hatte. Hier dazu erste Stimmen von Volkswirten und Wirtschaftsverbänden:

Marcel Fratzscher, DIW-Präsident:

„Ein Auseinanderbrechen der deutschen Regierung, knapp 100 Tage nach ihrem Amtsantritt, wurde zwar fürs Erste verhindert, aber die Spannungen innerhalb des Regierungslagers sind damit keineswegs aus dem Weg. Dies schadet Deutschland nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich. Diese Spannungen schädigen die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung - und dies gerade in Zeiten, in denen diese viele wichtige Entscheidungen treffen muss.

Die Krise schafft eine enorme Unsicherheit für die Wirtschaft, was bereits jetzt zu einem Rückgang der Investitionen und des Wirtschaftswachstums beiträgt. Die Spannungen zwischen den Regierungsparteien schaden nicht nur Deutschland, sondern auch Europa, da die Glaubwürdigkeit der deutschen Regierung und der Bundeskanzlerin dadurch beschädigt wird. Die Gefahr ist groß, dass ein politisches Vakuum in Europa entsteht und der Nationalismus weiter voranschreitet, obwohl wir in vielen Fragen europäische Lösungen brauchen.“

Gustav Horn, Leiter des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung:

„Aus wirtschaftlicher Sicht ist es zunächst erfreulich, dass die Regierungskrise überwunden scheint. Doch es bleibt erschreckend, wie wenig an inhaltlicher Substanz dazu gehört, eine derartige Krise auszulösen. All dies sind Menetekel eines Verfalls des politischen Systems, wie wir es kennen. Insofern bleibt die Unsicherheit trotz lautstarker Kompromissverkündung letztlich bestehen. Deutschland und Europa gehen ungewissen Zeiten entgegen.“

Friedrich Heinemann, ZEW Institut:

„Eine europäisch koordinierte Asylpolitik hat ökonomische Vorteile. Im Konflikt um die deutsche Asylpolitik stand die Frage im Mittelpunkt der politischen Debatte, ob das Land die Ziele seiner Asylpolitik auch im nationalen Alleingang erreichen könnte. Abgesehen von den Kosten von Grenzkontrollen im Binnenmarkt, trägt eine funktionierende europäische Flüchtlingsaufnahme zur Stabilisierung überlasteter Staaten wie Libanon und Jordanien bei. Diese Stabilisierung ist auch von erheblichem ökonomischen Nutzen für Europa. Hinzu kommt, dass ein europäischer Ansatz den EU-Mitgliedstaaten eine Versicherung gegen hohe Kosten zukünftiger neuer Flüchtlingskrisen bieten kann.“

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