Reaktionen zum TV-Duell „So nicht noch einmal!“

Nach dem TV-Duell zwischen Kanzlerkandidat Martin Schulz und Bundeskanzlerin Angela Merkel melden sich etliche Stimmen zu Wort: Lob überquert kaum eine Parteigrenze, Kritik hagelt es dafür nicht nur aus der Politik.

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Der Journalistik-Professor Bernd Gäbler übte Kritik an den vier Moderatoren des Abends: Sandra Maischberger (r-l, ARD), Claus Strunz (ProSieben/SAT.1), Maybrit Illner (ZDF) und Peter Kloeppel (RTL). Quelle: dpa

Berlin/Dresden/Schwerin/Mainz/Hamburg/Kiel/München Das Format des TV-Duells im Bundestagswahlkampf ist aus Sicht des Medienwissenschaftlers Bernd Gäbler in seiner jetzigen Form überholt. „Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass das Format „TV-Duell“ an Haupt und Gliedern reformiert werden muss, dann wurde er in diesem Jahr endgültig geliefert: Die Sendung war leblos und frei von jeder Überraschung“, sagte der Professor für Journalistik aus Bielefeld. Fast alle wichtigen Zukunftsfragen, vor denen Deutschland stehe, seien ausgeklammert worden.

„Die Sendung war mehr Parallelslalom als Duell“, so Gäbler. „In diesem Nebeneinander demonstrierten die Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr Herausforderer Martin Schulz inhaltlich eigentlich nur, dass eine große Koalition jederzeit wieder möglich ist.“

Der Journalistik-Professor kritisierte auch die Moderatoren der vier Sender ARD, ZDF, RTL und Sat.1: „Die viel zu zahlreichen Moderatoren traten in einen Überbietungswettbewerb, beide Politiker ausschließlich mit Fragen zu traktieren, wie sie von rechts gestellt werden. Der Wähler, um den es ja angeblich gehen soll, schaute im wahrsten Sinne des Wortes in die Röhre.“ Er sei in die Rolle eines ungefragten Zuschauers gedrängt gewesen. „Der Appell an die übertragenden Sender kann nur lauten: So nicht noch einmal!“

Kritisiert wurde aber nicht nur Format und Ausführung des TV-Duells. Enttäuscht zeigten sich vor allem Vertreter kleinerer Parteien. Man habe „ein Trauerspiel gemeinsamer Ideenlosigkeit gesehen“, sagte Linke-Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn am Abend nach der Debatte im ZDF.

Grünen-Geschäftsführer Michael Kellner sprach von „zwei Umweltversagern“. Auch „völkischer Hass“ in der Gesellschaft, der zum Teil von einer Partei rechtsaußen geprägt werde, sei nicht thematisiert worden, sagte er mit Blick auf die AfD.

FDP-Generalsekretärin Nicola Beer kritisierte, über Digitalisierung und Bildung sei nicht gesprochen worden. FDP-Chef Christian Lindner zeigte sich ebenfalls enttäuscht: „Das Duell erinnerte an Szenen einer alten Ehe, in der es mal knirscht, aber beide Seiten wissen, dass man auch künftig miteinander muss“, sagte Lindner der Deutschen Presse-Agentur. „Das war mehr Vergangenheitsbewältigung als eine Debatte über die Zukunft unseres Landes. Kein Wort über die großen Herausforderungen unseres Landes wie Bildung, Digitalisierung, Euro und Innovation.“

Lindner fügte hinzu: „Jeder weiß, dass Frau Merkel Kanzlerin bleibt, das Rennen um die Plätze eins und zwei ist gelaufen. Das Rennen um Platz drei gewinnt dadurch weiter an Bedeutung.“ Denn die drittstärkste Kraft werde entweder ein besonderes Gewicht bei Koalitionsgesprächen haben. Oder die dritte Kraft werde der Oppositionsführer gegen die nächste große Koalition sein. „Das Duell hat nochmals gezeigt, dass eine Opposition mit mehr Esprit und Dynamik dringend nötig ist“, argumentierte der FDP-Chef.

AfD-Vorstandsmitglied Georg Pazderski sagte, es seien keine Lösungen für Probleme angeboten worden. AfD-Chefin Frauke Petry kritisierte das TV-Duell als belanglos. „Ich habe trotz überraschend kritischer Fragen der Journalisten noch nie in 90 Minuten so viele Plattitüden und Phrasen auf einen Haufen gehört, so viel Oberflächliches und Belangloses am Stück“, sagte die Bundes- und sächsische Landesvorsitzende nach dem Aufeinandertreffen. „Für Deutschlands Zukunft verheißt das nichts Gutes. Am besten gefiel mir Merkels Satz - ausgerechnet von ihr zu hören: 'Es zählt nur, was Parteien als Ganzes beschließen.'“

Der SPD-Landesvorsitzende Ralf Stegner twitterte, „bei Erdogan und der Türkei ist Martin Schulz mit klaren Worten, Frau Merkel mit abwiegelnden Formulierungen unterwegs“. Das TV-Duell zeige glasklar: „Merkel will wenig anders, nichts besser und das meiste am liebsten gar nicht machen“, fügte Stegner hinzu. „Klare Ansagen von Martin Schulz zum Thema soziale Gerechtigkeit bei Arbeit, Bildung, Familie, Mieten, Rente. Merkel schwurbelt.“

Einen kräftigen Schub für den Endspurt im SPD-Wahlkampf erwartet die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD). „Ich bin sehr zufrieden mit unserem Spitzenkandidaten Martin Schulz, er war sehr klar in allen Fragen“, sagte Dreyer. „Die Bürger konnten so den Eindruck gewinnen, dass Martin Schulz die Durchsetzungskraft und die Kompetenzen hat, Kanzler zu werden.“ Dreyer hatte im vergangenen Jahr einen monatelangen CDU-Vorsprung in den Umfragen in den letzten Tagen vor der Landtagswahl in Rheinland-Pfalz noch umkehren können.

Dreyer hielt Bundeskanzlerin Angela Merkel vor, sich im TV-Duell zweimal von Ministern der eigenen Partei distanziert zu haben - bei der Rente mit 70 von Finanzminister Wolfgang Schäuble und beim Familiennachzug für Flüchtlinge von Innenminister Thomas de Maizière. Schulz habe deutlich gemacht, „dass wir eine humane Flüchtlingspolitik und das Menschliche im Blick behalten müssen“.

Auf die Frage, warum Schulz bei der Frage nach einer Koalition mit der Linken so ausweichend gewesen sei, antwortete Dreyer: „Ich kann gut verstehen, dass er sich nicht reduzieren lassen will auf die Koalitionsfrage“, antwortete Dreyer. „Er kämpft darum, dass die SPD stärkste Partei wird, alles andere kommt danach.“

Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) lobte den Auftritt des Kanzlerkandidaten ihrer Partei. „Martin Schulz hat seine Chance genutzt“, urteilte sie. Er habe Klartext geredet und konkret gesagt, wofür die SPD stehe: für Investitionen in Bildung und kostenlose Kitas, für mehr Gerechtigkeit und für europäische Solidarität. Schwesigs Fazit des eineinhalbstündigen TV-Duells mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU): „Martin Schulz hat gezeigt, dass er Kanzler kann.“

Auch Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz stellte Schulz ein gutes Zeugnis aus. Schulz habe kompetent, präzise und überlegt deutlich gemacht, vor welchen Herausforderungen Deutschland stehe, und wie er sie angehen wolle, sagte Scholz. „Deutschland muss gerechter werden und gleichzeitig auf dem Wachstumspfad bleiben. Wir brauchen höhere Löhne und eine auskömmliche Rente.“


Im Netz macht der Hashtag #fragendiefehlen die Runde

Die Berliner CDU fühlte sich nach dem Duell im Bundestagswahlkampf bestätigt. „Die Bundeskanzlerin hat wieder einmal gezeigt, warum die überwiegende Mehrheit der Deutschen ihr vertraut und die Zukunft unseres Landes in bewährten Händen lassen will“, sagte CDU-Fraktionschef Florian Graf. „Ihre Kompetenz, ihre Verlässlichkeit und ihre Souveränität, Eigenschaften, die sie auch in der Diskussion mit ihrem Herausforderer unter Beweis gestellt hat, machen Sie zu der besten Kanzlerin für unser Land“, fügte Graf hinzu.

Für den CDU-Landesvorsitzenden Vincent Kokert ist Merkel als klare Siegerin hervorgegangen. „Merkel hat mit ihren Argumenten klar gewonnen und sicher viele Menschen überzeugt“, sagte Kokert. Schulz sei bei vielen Themen nicht sattelfest gewesen und habe keine ernsthaften Alternativen aufgezeigt. Kokert warnte seine Partei davor, sich siegesgewiss zurückzulehnen. „Wir wissen: Diese Wahl ist noch nicht entschieden“, sagte er. „Darum werden wir die nächsten drei Wochen intensiv nutzen und für jede Stimme kämpfen.“

CSU-Politiker Karl-Theodor zu Guttenberg wertete Schulz' Auftritt als Bewerbung für das Amt des Außenministers. „Wir haben heute, wenn man es etwas flapsig sehen kann, eine Bewerbungsrede eines künftigen Außenministers vor den Augen der Nation gesehen - bei der künftigen Chefin im Zweifelsfall“, sagte Guttenberg in der ARD-Sendung „Anne Will“ und fügte hinzu: „Wobei ich auch hoffe, dass die nächste Konstellation keine Große Koalition ist.“

Der Vorsitzende der Mittelstandsvereinigung von CDU und CSU, Carsten Linnemann, sagte der Deutschen Presse-Agentur, die Debatte sei grundsätzlich spannend gewesen mit einem streitlustigen Kontrahenten. „Schulz ist rhetorisch geschickt, ein Meister der markigen Worte. Sein Problem ist aber, dass seine Einwände nicht auf fruchtbaren Boden fielen. Schließlich hat die SPD im Bundestag die Entscheidungen der Großen Koalition immer mitgetragen.“

Merkel habe sich einmal mehr als Politikerin mit kühlem Kopf und Besonnenheit gezeigt, gepaart mit hoher Sachkenntnis, sagte Linnemann. Zudem habe sie in ihrem Schlussstatement klar erkennen lassen, dass sie die zentralen Herausforderungen der Zukunft, wie die Digitalisierung, angehen wolle.

Aus Sicht der saarländischen Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) lag Martin Schulz (SPD) beim TV-Duell in einigen Fragen falsch. „Mich hat an der ein oder anderen Stelle gewundert, dass Martin Schulz nicht ganz faktensicher war“, sagte Kramp-Karrenbauer. „Etwa beim Thema Abschaffung der Kita-Gebühren in Hessen.“ In außenpolitischen Fragen sei ihr Eindruck, dass Schulz' Position nicht abgestimmt war mit der SPD. Der Spitzenkandidat hatte den Abbruch der EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei gefordert.

Die Generalsekretäre von CDU und SPD, Peter Tauber und Hubertus Heil, hoben die Stärken ihrer jeweiligen Spitzenkandidaten im TV-Duell hervor. Tauber sagte am Sonntagabend im ZDF, die Menschen hätten Kanzlerin Angela Merkel (CDU) „besonnen, ruhig und bodenständig“ erlebt. Heil sagte, SPD-Herausforderer Martin Schulz habe „Kanzlerformat“ gezeigt und deutlich gemacht, dass er gestalten wolle, statt nur die Gegenwart zu verwalten.

Nach Ansicht des schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Daniel Günther hat Merkel das Fernsehduell eindeutig gegen ihren Herausforderer Martin Schulz gewonnen. „Angela Merkel war stark und überzeugend“, sagte der CDU-Politiker. „Ich fand sie deutlich souveräner als ihn.“ Schulz sei nach seinem Eindruck sehr aggressiv aufgetreten.

Merkel habe auf alle Fragen gut reagiert und sich nicht überraschen lassen, auch nicht, als Schulz in der Türkei-Frage eine überraschende Position bezogen habe, sagte Günther. Dies bezog sich auf das Plädoyer von Schulz für einen Stopp der EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara. „Ich fand ihn erstaunlich nervös“, sagte der Kieler Regierungschef über den SPD-Kanzlerkandidaten. Die Chance, die ein solches TV-Duell biete, habe er nicht genutzt. In der Sendung seien die Probleme in Deutschland zu kurz gekommen, sagte Günther. Es sei nicht langweilig gewesen, sondern es hätten sich durchaus Unterschiede offenbart.

„Dass es kein Unterhaltungsfeuerwerk werden würde, habe ich gewusst“, sagte Moderator Thomas Gottschalk in der ARD. „Aber es war ja nichtmal ein Feuerwerk.“ Der Satiriker Jan Böhmermann twitterte: „Das #TVduell ist geeignet, Menschen dazu zu animieren, sich aus der Politik zurückzuziehen, selbst wenn sie gar nicht in der Politik sind.“

Das Netz zeigte sich vor allem von der Themenauswahl des Duells enttäuscht. Unter dem Hashtag #fragendiefehlen schrieben Menschen auf Twitter am Sonntagabend, was sie die Kontrahenten stattdessen gefragt hätten. Viele vermissten zum Beispiel Fragen zu sozialer Gerechtigkeit oder Digitalisierung. Eine Nutzerin fragte in Richtung Martin Schulz: „Wann wird Bildung in Deutschland wieder unabhängig vom sozialen Status?“ An die Kanzlerin gerichtet fragte ein anderer: „Frau Merkel, in ihrer Regierungszeit ist die Ungleichheit immer größer geworden. Wie ändern sie das?“

Inklusion, Video-Überwachung, Klima und Tierschutz waren einige der weiteren Themen, zu denen Fragen formuliert wurden. Zeitweise war der Hashtag einer der meistgenutzten im Zusammenhang mit dem TV-Duell.

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