
Berlin Christian Bäumler ist beunruhigt. Der vereinzelte Einzug rechter Gruppierungen in Betriebsräte bereitet dem Vizevorsitzenden der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA) große Sorgen. Vor allem, dass dabei auch mächtige Konzerne wie der Autobauer Daimler immer stärker ins Visier zu geraten scheinen.
„Das Auftreten AfD-naher Betriebsratslisten zeigt, dass sich selbst bei Daimler Arbeitnehmer ausgegrenzt und abgehängt fühlen“, sagt Bäumler dem Handelsblatt.
Bei der Betriebsratswahl im Daimler-Werk Untertürkheim Anfang März kam die rechte Gruppierung „Zentrum Automobil“ auf 13,2 Prozent – und gewann sechs statt bisher vier Mandate im 47 Personen starken Betriebsrat. Mit 1.844 Stimmen wurde das „Zentrum“ in Untertürkheim zweitstärkste Kraft nach der IG Metall.
„Wir verfolgen diese Entwicklung mit Sorge“, bekannte Daimler-Chef Dieter Zetsche vor den Wahlen. Auch jetzt, erklärt der Konzern, beobachte man die Entwicklung des Zentrums genau. Die Ausrichtung der Gruppe widerspreche Daimler-Werten wie „Vielfalt, Toleranz und Internationalität“.
Der CDA-Vize Bäumler führt den wachsenden Einfluss rechter Gruppierungen in den Belegschaften auf Versäumnisse der etablierten Parteien zurück. Die Sorgen der Arbeitnehmer müssten wegen der Globalisierung und der Digitalisierung ernst genommen werden, sagt er und sieht dabei vor allem seine Partei, die CDU, angesprochen. „Sie darf sich nicht als verlängerter Arm der Konzerne positionieren“, warnt Bäumler.
Der CDU-Politiker hat auch gleich ein Rezept parat, wie rechten Arbeitnehmervertretern Paroli geboten werden kann. Bäumler verweist auf die im Koalitionsvertrag vereinbarte paritätische Finanzierung der Krankenversicherung, die jetzt „so schnell wie möglich“ wiedereingeführt werden müsse. Außerdem fordert er, die Befristung von Arbeitsverträgen einzuschränken sowie die Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte im Digitalisierungsprozess zu stärken.
Ob solche politischen Maßnahmen ein wirksames Mittel sein können, um selbsternannte rechte Arbeiterführer zurückzudrängen? Zweifel sind durchaus angebracht. Denn die rechte Szene und in ihrem Fahrwasser die AfD versuche seit Längerem, „ihr Aktionsfeld auszuweiten und insbesondere auch im Arbeitermilieu verstärkt Fuß zu fassen“, beschreibt Lothar Probst von der Universität Bremen die Lage.
Vorbild sei hier vor allem die FPÖ, die es in Österreich geschafft habe, zur stärksten Partei unter den Arbeitern zu werden, erläuterte der Politikwissenschaftler. Ähnliches könnte auch in Deutschland gelingen, sofern die Strategie stimmt.
Bei Daimler ist es den rechten Arbeitnehmervertretern gelungen, in der Gunst der Beschäftigten zu steigen – wenn auch auf niedrigem Niveau. Und mit einem denkbar einfachen Konzept: Mit einer gezielten Betriebsarbeit unter so unverdächtigem Namen wie „Zentrum Automobil“ wirbt die rechte Szene bei Arbeitern um Unterstützung“, sagt Probst.
Zu den langfristigen Erfolgschancen wagt er keine endgültige Prognose. Er warnt aber, das Phänomen klein zu reden, nur weil die Betriebsräte dieser Gruppierungen eine Minderheit seien. „Man sollte die Wirkung ihrer nationalistischen Propaganda unter Arbeitern nicht unterschätzen“, sagte der Politik-Professor. „Arbeiter sind durchaus anfällig für ausländerfeindliche und nationale Töne.“
Von diesem Effekt profitiert auch die AfD. Denn bei der letzten Bundestagswahl haben 15 Prozent der Gewerkschafter die Alternative für Deutschland gewählt - 2,4 Prozentpunkte mehr als bei den Wählern insgesamt. Zumindest indirekt kann die AfD damit auch Einfluss auf die rechten Betriebsräte nehmen – mit womöglich negativen Wirkungen auf Betriebe.
Denn die „nationalistischen Positionen“ solcher Gruppierungen wie dem „Zentrum Automobil“ seien „extrem schädlich für international agierende Unternehmen und deren Beschäftigte“, gibt Politikwissenschaftler Probst zu bedenken. Zumal Unternehmen wie Daimler sehr exportabhängig seien und vom internationalen freien Handel profitierten. Außerdem seien große Konzerne, aber auch mittelständische Unternehmen auf Zuwanderung angewiesen, um erfolgreich am Markt zu sein.
Beim DGB warnt man vor einer Dramatisierung, wenn bei 180.000 zu besetzenden Betriebsratsmandaten auch ein paar rechte Kandidaten Erfolg haben. Gewerkschaftschef Reiner Hoffmann kann aber nicht ausschließen, dass Bewerber auf dem Ticket einer der acht DGB-Mitgliedsgewerkschaften in Betriebsräte einziehen, die mit der AfD sympathisieren oder gar Parteimitglied sind.
Matthias Quent, Direktor des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) in Jena, hält das jedoch für keine ganz neue Entwicklung mehr. „Rassismus und Rechtsextremismus gab es auch in Arbeitnehmervertretungen und -organisationen schon immer – wie in der gesamten Gesellschaft“, sagt der Populismus-Forscher dem Handelsblatt. Nur träten die Rechten jetzt mit größerer Geschlossenheit auf, wie sich etwa im Erfolg einzelner rechter Listen bei den Betriebsratswahlen zeige.
Als Reaktion empfiehlt Probst, „offen, aber ohne Stigmatisierung, über fremdenfeindliche Positionen in den Belegschaften“ zu diskutieren. „Auch die Konzernspitzen selber müssen hier vorbildlich sein und Mitverantwortung für eine demokratische Kultur in der Belegschaft tragen.“
Ähnlich sieht es Quent. In Gremien, Betriebsräten und am Arbeitsplatz sollten Antisemitismus und Rassismus erkannt und verurteilt werden. Und: Wenn es eine Nachfrage nach radikaler sozialer Politik gebe, wie sie sich in Südeuropa oder im Erfolg von Jeremy Corbyn in Großbritannien zeige, „dann sollte das Angebot nicht von demokratiefernen, nationalistischen Parteien kommen“.