Rechtsextremismus-Debatte „Die AfD läuft der NPD den Rang ab“

Der zunehmende Fremdenhass in Ostdeutschland wird in der jüdischen Gemeinde in Deutschland mit Sorge gesehen. Die Holocaust-Überlebende Charlotte Knobloch sieht dabei auch den Aufstieg der AfD kritisch.

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Eine Rechtsdrift ist in vielen Bundesländern zu beobachten – politisch aufgefangen durch die AfD, die mittlerweile in zehn Landesparlamenten vertreten ist. In Berlin ist ein Neu-Parlamentarier durch menschenverachtende Facebook-Postings aufgefallen, darunter auch solche, die NS-Verbrechen verharmlosen oder die NS-Zeit verherrlichen. Quelle: AFP

Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, hat der Politik schwere Versäumnisse im Kampf gegen Rechtsextremismus vorgeworfen. Allein Bayern gehe entschlossen gegen den Rechtsextremismus vor. „Bundesweit betrachtet und gerade in Ostdeutschland offenbaren sich hingegen unglaubliche Fehleinschätzungen, Bagatellisierung und konsequente Verharmlosung der extremistischen Vorgänge“, sagte Knobloch dem Handelsblatt. „Ich hatte gehofft, mit der Aufdeckung des NSU würde hier ein Umdenken stattfinden, aber das war anscheinend ein Irrtum.“

Insofern sei das „unzumutbar verschleppte Verbot der NPD natürlich ein trauriges Versagen des wehrhaften demokratischen Staates“, sagte Knobloch weiter. „Inzwischen läuft die AfD der NPD den Rang ab.“ Aber es stehe außer Zweifel, dass das Verbot der NPD Bestandteil einer „effektiven systematischen Strategie gegen rechts“ sein müsse. Die NPD habe über Jahre neonazistische Strukturen geschaffen und vertieft und damit einen „organisatorischen Rahmen für die nationalsozialistische Ideologie in der Gegenwart“ geschaffen. „Das Verbot der NPD löst das Problem nicht, aber es wäre ein unverzichtbares Signal, dass hierzulande dieses Gedankengut nicht in Parteiform gegossen und staatlich gefördert werden darf.“

Knobloch reagierte auf Einschätzungen der Bundesregierung. Der zunehmende Rechtsextremismus in Ostdeutschland stelle eine sehr ernste Bedrohung für die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung der Region dar, sagte die Bundesbeauftragte für die neuen Bundesländer, Iris Gleicke (SPD), am Dienstag in Berlin bei der Vorstellung des Jahresberichts zur Deutschen Einheit. Im Ausland werde sie überall darauf angesprochen. Sie erwarte nun ein entschlossenes Handeln von Politik und Zivilgesellschaft. Gleicke betonte, die Mehrheit der Ostdeutschen sei nicht fremdenfeindlich oder rechtsextrem. Sie würde sich wünschen, dass diese Mehrheit lauter und deutlicher Stellung beziehe.

Der Chef des Münchner Ifo-Instituts, Clemens Fuest, gibt Gleicke recht, dass Fremdenfeindlichkeit auch in Ostdeutschland nur von einer Minderheit ausgehe. „Aber es besteht die Gefahr, dass diese Minderheit die wirtschaftlichen Perspektiven ganzer ostdeutscher Regionen beeinträchtigt“, sagte Fuest dem Handelsblatt. „Sowohl Touristen als auch Investoren werden durch Fremdenfeindlichkeit abgeschreckt.“ DIW-Präsident Marcel Fratzscher betont, wie wichtig Weltoffenheit als Wirtschaftsfaktor geworden ist. „Die zunehmende Radikalisierung und Intoleranz wird manche Teile Ostdeutschlands wirtschaftlich massiv schwächen“, sagte er dem Handelsblatt. Nicht nur Ausländer wollten nicht in fremdenfeindlichen Regionen leben, auch gut qualifizierte Bürger und Unternehmen „werden diesen Regionen den Rücken kehren“, warnte Fratzscher.

Rechtsruck in Mecklenburg-Vorpommern


Eine Rechtsdrift ist in vielen Bundesländern zu beobachten – politisch aufgefangen durch die AfD, die mittlerweile in zehn Landesparlamenten vertreten ist. In Berlin ist der Neu-Parlamentarier Kay Nerstheimer durch menschenverachtende Facebook-Postings aufgefallen, darunter auch solche, die NS-Verbrechen verharmlosen oder die NS-Zeit verherrlichen. Auch in der Flüchtlingsdebatte ergriff der AfD-Mann des Öfteren das Wort. So bezeichnete er laut Recherchen der "Süddeutschen Zeitung" Flüchtlinge aus Syrien als „einfach widerliches Gewürm“ (2015) und Schwarze als „Bimbos“ (2013). Asylbewerber nannte er „Parasiten, die sich von den Lebenssäften des deutschen Volkes ernähren“ (2016).

Aus Sicht der Reisebranche hat vor allem die Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern Anfang September ein bedenkliches Ergebnis gebracht. Dabei geht es nicht vornehmlich um die Sorge, dass die AfD landesweit 20,8 Prozent der Stimmen eingefahren hat. Viel kritischer wird der Umstand gesehen, dass nirgendwo sonst mehr Wähler ihr Kreuz bei AfD und NPD gemacht haben als auf der Ferieninsel Usedom. In Peenemünde beispielsweise kommen beide Parteien zusammen auf 52,4 Prozent der Zweitstimmen. Andernorts auf der Insel schnitten AfD und NPD ebenfalls stark ab.

Der Deutsche Reiseverband (DRV) befürchtet deshalb schon Nachteile für die Tourismuswirtschaft in dem Bundesland. „Die Reisebranche steht für ein weltoffenes und gastfreundliches Deutschland. Tourismus und Fremdenfeindlichkeit passen nicht zusammen“, sagte DRV-Präsident Norbert Fiebig kürzlich dem Handelsblatt. Vielmehr gehe es darum, Brücken zu bauen. „Wir wollen im Ausland willkommen sein, das Gleiche sollte daher auch für alle gelten, die hierher kommen.“

Die AfD verzeichnete in Usedom ihr bestes Ergebnis der Landtagswahl. Und zwar im Wahlkreis Vorpommern-Greifswald III. Dazu gehört der östliche Teil des Landkreises Vorpommern-Greifswald mit der Stadt Wolgast und der Ferieninsel Usedom. Fast jeder Dritte dort (32,3 Prozent) gab der AfD seine Stimme. Zum Vergleich: In einem Rostocker Innenstadt-Wahlkreis brachte die Partei es nur auf 12,2 Prozent.

In dem Wahlkreis holte der AfD-Kandidat Ralph Weber mit 35,3 Prozent eines von drei Direktmandaten für seine Partei. Die SPD erzielte dort nur 17,8, die CDU 19 und die Linke 17,9 Prozent. Weber arbeitet seit 2009 als Rechtsprofessor an der Universität Greifswald. Dort ist er umstritten. So war er mit dem Tragen von Thor-Steinar-Kleidung, die auch in rechtsextremen Kreisen beliebt ist, in die Kritik geraten.

Wie die „Welt am Sonntag“ jüngst berichtete, soll Weber zudem einen ausgewiesenen Neonazi promoviert und schon 2010 mit dem damaligen NPD-Chef Udo Voigt über die Gründung einer rechten Partei gesprochen haben. Erst vor kurzem soll zudem ein Vertreter der rechtsextremen „Reichsbürger“ im Rahmen von Webers Vorlesung an der Uni Greifswald einen Vortrag gehalten haben.

In dem Jahresbericht zur Deutschen Einheit, den das Kabinett heute in Berlin beschloss, heißt es ausdrücklich, die neuen Bundesländer hätten nur als weltoffene Region gute Entwicklungschancen. 2015 habe die Wirtschaftskraft je Einwohner um 27,5 Prozent unter dem Niveau der westdeutschen Länder gelegen. Als bemerkenswert stuft die Bundesregierung zudem ein, dass Ostdeutschland mit Ausnahme von Berlin nach wie vor von einem sehr niedrigen Ausländeranteil geprägt sei.

Politik soll „konsequenter und schärfer“ gegen Rechte vorgehen


Charlotte Knobloch sieht nunmehr die politisch Verantwortlichen sowie die Sicherheitsbehörden in der Pflicht, „konsequenter und schärfer“ der wachsenden Gefahr von rechts zu begegnen. Dazu gehörten nicht nur „politische Ehrlichkeit, mehr Projekte gegen Rechtsextremismus, mehr attraktive Angebote für junge Menschen“, sagte Knobloch. Nötig sei auch eine „bessere Wissensvermittlung hinsichtlich der Vorteile der Demokratie, mehr Aufklärung über die rechtsextreme Szene, ein nachhaltiges Aufräumen in den Behörden, eine bessere Ausstattung der Polizei, ein mit beiden Augen und Ohren wachsamer Verfassungsschutz und mehr politischer und gesellschaftlicher Wille.“

Großer Handlungsdruck besteht aus Knoblochs Sicht schon deshalb, weil es in den neuen Bundesländern schon seit Jahren ein hohes Potenzial an rassistischer und rechtsextremer Gewalt gebe. Rechtsextreme Einstellungen seien weit verbreitet. „In manchen Ortschaften oder Regionen haben Neonazis und rechtsextremistische Gruppierungen regelrecht eine Art Parallelstruktur errichtet“, sagte Knobloch. „Sie gerieren sich als Macht und Gewaltmonopol, unterdrücken die restliche Bevölkerung und bauen mit ihren Einschüchterungsmethoden ihren Geltungsanspruch aus.“ Natürlich gebe es auch in Westdeutschland eine „besorgniserregende Zunahme“ rechtsextremer Strukturen, fügte Knobloch hinzu. Die Szene mobilisiere und militarisiere sich. Sie werde aggressiver und gewaltbereiter. „Mit Pegida und Co. hat das Problem eine neue Dimension bekommen, weil der schmutzige rechte Rand der Gesellschaft immer weiter in die Mitte geschoben wird“, gibt die frühere Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland zu bedenken. „Das Phänomen der Feierabend-Extremisten grassiert: Die rechten Gewalttaten nehmen in ungeahntem, schockierendem Ausmaß neue Rekordwerte an.“ Insofern sei der Rechtsextremismus ein überregionales Problem.

Aber es wäre ein Fehler, die ostdeutschen Besonderheiten aus den Augen zu verlieren, warnte Knobloch. „Wie beim Antisemitismus auch, der viele Gesichter und Formen hat, bedarf es beim Kampf gegen Rechtsextremismus jeweils spezifischer, realistischer Gegenstrategien.“ In Ostdeutschland, so scheine es, sei die Parteien- und mithin die Demokratieverdrossenheit besonders groß. „Ob zu Recht oder zu Unrecht fühlen sich die Menschen abgehängt, unverstanden und ungehört“, sagte Knobloch. Hinzu kämen diffuse Ängste vor sozialem Abstieg bis hin zu Überfremdung.

„Offenbar ist es nicht gelungen, die positiven Errungenschaften von Freiheit und Demokratie zu vermitteln oder spürbar zu machen“, stellt Knobloch fest. Dass betreffe auch Regionen und Bevölkerungsteile in Westdeutschland, wie die Wahlergebnisse der AfD belegten. „Aber in den neuen Bundesländern ist die mangelnde Demokratiebegeisterung noch signifikanter“, fügte Knobloch hinzu. „So basiert der ostdeutsche Rechtsextremismus auf einer Kumulation aus politischer Ermutigungsstruktur und hoher Gewaltbereitschaft.“

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