Rechtsextremismus in Ostdeutschland Bundesregierung nimmt „völkische Siedler“ in den Blick

Experten halten die „völkischen Siedler“ für ein „Riesen-Problem“, die Politik hat die rechte Bewegung dagegen nicht ernsthaft im Blick. Bis jetzt. Nun nimmt sich die Bundesregierung dem Phänomen an.

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Eine neues Rechts-Phänomen ruft die Bundesregierung auf den Plan - die sogenannten völkischen Siedler. Die Bewegung „strotzt in Wahrheit nur so vor nationalsozialistischer völkischer Ideologie“, meint Iris Gleicke, die Ost-Beauftragte der Regierung. Quelle: dpa

Berlin In ihrem Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit warnte jüngst die Ost-Beauftragte der Bundesregierung, Iris Gleicke (SPD), dass „Fremdenfeindlichkeit, Rechtsextremismus und Intoleranz eine große Gefahr für die gesellschaftliche, aber auch die wirtschaftliche Entwicklung der neuen Länder“ darstelle. Dass Rassismus also vor allem eine Gefahr für Ostdeutschland sei. Ein typisches rechtes Phänomen im Osten taucht in dem Bericht jedoch nicht auf, die sogenannten völkischen Siedler.

Experten halten sie für Neonazis, die vor allem in Mecklenburg-Vorpommern siedeln. Um deren Gefährlichkeit besser einschätzen zu können, will die Ost-Beauftragte die rechte Bewegung nun mittels einer wissenschaftlichen Untersuchung näher in den Fokus nehmen.

„Ein Blick auf die einschlägigen Straftatenstatistiken genügt, um festzustellen, dass die Entwicklung und Verbreitung rechtsextremistischer, fremdenfeindlicher und rassistischer Einstellungen und Ideologien in ihren zahlreichen Spielarten weitreichende und zunehmend schlimme Auswirkungen haben“, sagte Gleicke dem Handelsblatt. „Vor diesem Hintergrund soll die geplante Studie mit dem Arbeitstitel „Völkische Siedlungen in Ostdeutschland“ einen weiteren wissenschaftlichen Beitrag zur Aufhellung dieser Phänomene und ihrer Ursachen leisten.“

Bei den völkischen Siedlern handle es sich um eine „Bewegung, die in den strukturschwachen, ländlichen Regionen Ostdeutschlands Fuß zu fassen versucht“, erläuterte die SPD-Politikerin. „Das kommt scheinbar unpolitisch, bieder und harmlos daher und strotzt in Wahrheit nur so vor nationalsozialistischer völkischer Ideologie.“ Zu diesem Thema gebe es schon „sehr gute“ Vorarbeiten, vor allem auch von deutschen NGOs.

Die neue Untersuchung soll nun aber die von Gleicke bereits Anfang dieses Jahres in Auftrag gegebene Studie „Ursachen und Hintergründe für Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und fremdenfeindlich motivierte Übergriffe in Ostdeutschland, sowie die Ballung in einzelnen ostdeutschen Regionen“ um einen weiteren wichtigen Aspekt ergänzen.

Das Bundesinnenministerium sieht die rechten Siedler als Teil eines Problems, dem sich die neuen Bundesländer schon länger ausgesetzt sehen - nämlich, dass offenbar insbesondere Ostdeutschland eine besondere Anziehungskraft auf Rechtsextreme ausstrahlt.


„Nirgends siedeln so viele Neonazis wie in Mecklenburg-Vorpommern“

Die Einschätzung geht auf Erkenntnisse zurück, die das Ministerium auf eine Anfrage der Linksfraktion kürzlich preisgegeben hat. „Schwerpunkte von Rechtsextremisten in ländlichen Regionen liegen vor allem in Ostdeutschland, aber auch in einigen wenigen Regionen der westlichen Länder“, heißt es in der Antwort.

Teilweise kann demnach sogar das Phänomen beobachtet werden, „dass es Orte gibt, in denen ein zahlenmäßig erhöhtes rechtsextremistisches Personenpotenzial lebt“, konstatiert das Ministerium. „Lokal konzentrierte Ansiedlungen von Personen, die dem rechtsextremistischen Spektrum zugerechnet werden können, sind der Bundesregierung in der Ortschaft Jamel und dem Landkreis Güstrow in Mecklenburg-Vorpommern bekannt.“

Das Ministerium erwähnt in diesem Zusammenhang auch die sogenannten „völkischen Siedler“, nach denen die Linksfraktion explizit gefragt hat. Allerdings betont das Ministerium, dass die völkische Siedlerbewegung kein Beobachtungsobjekt des Bundesverfassungsschutzes sei und derzeit auch „keine Erkenntnisse zu einer gezielten Strategie von Rechtsextremisten zu ländlicher Siedlertätigkeit“ vorlägen.

Die Autorin und Rechtsextremismus-Expertin Andrea Röpke erkannte mit ihren Recherchen indes schon vor über einem Jahr, dass Mecklenburg-Vorpommern ein Zentrum für braune Siedler ist. „Nirgends siedeln so viele Neonazis wie in Mecklenburg-Vorpommern“, schrieb Röpke in ihrem neuen Buch „Gefährlich verankert“, das sie im Auftrag der Schweriner SPD-Landtagsfraktion geschrieben hat.

Dazu gehörten Mitglieder der Arier-Sekte „Artgemeinschaft“, die Bewegung der „Neo-Artamanen“, NPD-Anhänger aus den Ballungsgebieten oder völkische Rechte, die die eigene Scholle bewirtschaften wollten, etwa im Raum um Güstrow.

In einem Interview mit der „Hamburger Morgenpost“ vom Juli dieses Jahres beschrieb Röpke die Absichten der bisher offenbar von der Politik weitgehend unterschätzten Bewegung. „Das Ziel ist eine homogene „Volksgemeinschaft“ nahe am Ideal des Dritten Reiches“, sagte die Politikwissenschaftlerin. „Sie wollen bestimmen, wem es erlaubt ist, in dieser Gemeinschaft zu leben.“ Behinderte, Ausländer oder politisch Andersdenkende gehörten nicht dazu.

Nach ihrer Beobachtung feiern die Siedler NS-Brauchtumsfeiern, erziehen die Kinder nach altem Vorbild soldatisch und autoritär oder führen „Arbeitseinsätze“ durch. In der Lüneburger Heide seien etwa im Sommer junge Männer zusammengekommen, um gemeinsam landwirtschaftliche Arbeiten zu verrichten oder Holz zu hacken. „Zum Essen wird mit der Fanfare geblasen und abends sitzt man zusammen am Lagerfeuer“, schilderte Röpke die Aktion.


Verbindungen zur AfD

Im Zusammenhang mit den Siedlern ist immer wieder auch von Verbindungen zur Partei Alternative für Deutschland (AfD) die Rede. Röpke nennt hier die „Neo-Artamanen“ - eine kleine Gruppe aus dem Raum Güstrow, die, wie sie sagt, „einerseits völkischen Werten anhängen, die auch schon Heinrich Himmler verehrte“. Andererseits seien sie „gut vernetzt von der AfD bis hin zur Kindererziehungsorganisation Der Sturmvogel, in dessen Reihen die Kinder strammstehen müssen“.

Laut Recherchen von NDR und „Süddeutscher Zeitung“ hat die Nordost-AfD einen „völkischen Siedler“ in ihren Reihen: Sascha Jung. Der Jurist durfte dem Bericht zufolge wegen seiner rechtsextremistischen Aktivitäten nicht in den bayerischen Staatsdienst. Die Burschenschaft, der er angehöre, werde zudem von Bayerns Verfassungsschutz beobachtet. Jung, so die Recherchen, sei sogenannter Neusiedler mit Anschluss ins völkische Spektrum der „Neo-Artamanen“.

Die Innenexpertin der Linken im Bundestag, Ulla Jelpke, kritisiert, dass die Bundesregierung sowohl bei den „Neo-Artamanen“ als auch bei anderen Siedlergruppen wie „Sturmvogel“, „Freibund“ und „Jungbund Pommern“, wie es in der Antwort des Innenministeriums heißt, „keine hinreichend gewichtigen Erkenntnisse für rechtsextremistische Bestrebungen“ sehe.

Die Erklärung liefert das Ministerium gleich mit, indem es konstatiert, dass diese Gemeinschaften „ihre Überzeugungen ohne Anspruch auf eine politisch-gesellschaftliche Umgestaltung“ auslebten, was „nicht als verfassungsfeindliche Bestrebung“ gelte. Jelpke findet indes, dass damit unterschätzt werde, „dass dort immerhin jedenfalls die Kinder einer Art faschistischer Gehirnwäsche unterzogen werden“.


Kubitschek-Anwesen als „Mekka dieser neurechten Burgenromantik“

Die Politikwissenschaftlerin Röpke wertet das Treiben der „völkischen Siedler“ als rechtsextreme „Graswurzelarbeit“. Als Vordenker gelten etwa der Publizist Götz Kubitschek und seine Frau Ellen Kositza. Deren Rittergut Schnellroda in Sachsen-Anhalt, das die Wochenzeitung „Die Zeit“ kürzlich als „Mekka dieser neurechten Burgenromantik“ bezeichnete, dient den beiden mit ihren sieben Kindern nicht nur als Lebensmittelpunkt. Dort ist auch der Kubitschek‘sche Rechtsaußen-Verlag Antaios und seine Zeitschrift Sezession ansässig.

Zudem fungiert das Anwesen auch als Zentrale des sogenannten „Instituts für Staatspolitik“, bei dem der Chefredakteur des nationalkonservativen Magazins „Compact“, Jürgen Elsässer, die AfD-Landeschefs Björn Höcke (Thüringen) und André Poggenburg (Sachsen-Anhalt), der Chef der rechtsextremen „Identitären Bewegung“ in Österreich, Martin Sellner, und diverse weitere Protagonisten der neuvölkischen Bewegung des Öfteren zu Gast sind.

Die Linksfraktionsabgeordnete Jelpke kritisiert, dass die Bundesregierung das Problem nicht ernst genug nehme. „Diese Siedlerprojekte sind mögliche Brutstätten des Naziterrors“, sagte Jelpke. „Ich erwarte von der Bundesregierung, sich genauere Kenntnisse über diese Bewegung zu verschaffen und der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen.“

Die Ost-Beauftragte der Regierung, Iris Gleicke, geht nun diesen Weg. Doch bis die von ihr in Auftrag gegebene Expertise vorliegt, vergeht noch einige Zeit. Die Studie soll laut Gleicke voraussichtlich Ende 2017 veröffentlicht werden.

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