Rechtspopulisten

Geschenke für die AfD

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Parteien müssen sich AfD argumentativ stellen

Deshalb ist es auch falsch, die „AfD“ gewohnheitsmäßig als „rechtspopulistische AfD“ einzuführen. Das Attribut steht ihr zweifellos zu, aber die anderen Parteien (und wir Journalisten) müssen dem Rechtspopulismus Argument für Argument, Beleg für Beleg, Zitat für Zitat, wieder und wieder nachweisen, damit nicht vor aller Diskussion der fatale Eindruck entsteht, nichts von dem, was ein AfD-Politiker sagt, könne richtig sein, nur weil ein AfD-Poltiiker es sagt. Tatsächlich sind viele Politiker und Journalisten in diese Falle längst gelaufen. Der starke Zulauf zur AfD hat sehr viel damit zu tun, dass die AfD (als einzige Partei) bereits vor Monaten eine Asylpolitik gefordert hat, für deren Grundzüge sich heute im Bundestag spielend leicht Mehrheiten finden.

Grenzen schließen! Beschleunigte Verfahren! Sach- statt Geldleistungen! Einschränkung des Asylrechts! 1000 Ausweisungen täglich! Residenzpflicht für anerkannte Asylbewerber! Den Familiennachzug aussetzen! Kompensation von EU-Ländern, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen! – vieles wird heute diskutiert und manches ist längst Politik geworden, was die AfD in ihrem „Thesenpapier Asyl“ bereits im September 2015 vorschlug.

Damals diskutierte man, ob es Benutzern des Wortes „Flüchtlingsstrom“ an Empathie für das Schicksal der Flüchtlinge mangele. Solche Sachen. Heute zuckt nicht mal mehr die linke Politikerin Katja Kipping, wenn der bayerische Finanzminister Markus Söder (CSU) in einer Talk-Show vor sich hinbollert, dass „deutsche Frauen sich wieder sicher fühlen“ müssen.

Dennoch hängt das Erstarken der AfD weniger damit zusammen, dass die CSU ihr seit Wochen nacheifert: Die Christsozialen machen den Rechtspopulismus hoffähig und stärken damit das Original, so der gängige Vorwurf. Schwerer wiegt vielmehr, dass die formelhafte Abgrenzung von Politikern der Union, SPD und Grünen zur AfD („Rechtspopulisten“) desto formelhafter, also zunehmend entlarvend wirkt, je ununterscheidbarer die Asylpolitiken aller Parteien werden.

Ausgerechnet Bundeskanzlerin Angela Merkel hat dabei in den vergangenen Wochen eine besonders unselige Rolle gespielt. Sie hat einerseits den Raum zwischen „Wir schaffen das“ (Merkel) und „Wir wollen das gar nicht schaffen“ (AfD) systematisch eng gemacht. Hat keinen Diskurs geduldet, der jenseits ihres Mantras von der „europäischen Lösung“ und der „Bekämpfung der Fluchtursachen“ politische Horizonte eröffnet hätte für nachdenkliche Zweifel („Wir schaffen das?“) und programmatisch unterlegte Zuversicht („Wir schaffen das, wenn…“).

Und sie hat andererseits eine planlos-situative, paradox-populistische Politik der willkommenen Abschreckungskultur und abschreckenden Willkommenskultur initiiert, an deren Ende das Land zwei bis drei Millionen Migranten aufgenommen haben wird, bevor es zum status quo ante zurückkehrt: zu einer europäischen Flüchtlingspolitik mit Zentren und Zäunen, Polizisten und Patrouillen in Griechenland und Italien (plus eventuell eine bilaterale Kontingentlösung mit der Türkei). 

Es wird daher höchste Zeit, dass Union, SPD und Grüne sich mit Blick auf die prekäre politische Stimmung in Deutschland Denk- und Argumentationsräume zurückerobern, jenseits des regierungsamtlichen Positivismus und jenseits einer formelhaft-taktischen oder dumm-denunziatorischen Auseinandersetzung mit der AfD. Es wird Zeit, dass sie gewillt sind, die AfD argumentativ zu stellen. Dass sie die völkische Sprache und xenophoben Töne einiger ihrer Sprecher und Anhänger seziert („Das Überleben des eigenen Volkes sichern“, „1000 Jahre Deutschland“, „Das Schicksal des deutschen Volkes“ etc.). Dass sie ihre zersetzende Propaganda („Lügenpresse“) als zersetzende Propaganda entlarvt.

Und dass sie deutlich macht, die anfallenden politischen Probleme, ganz im Gegensatz zur AfD, nicht nach Maßgabe von Ideologie und Opportunität behandeln zu wollen, sondern moralisch integer, jederzeit solide und sachorientiert. Eine solche Politik, die sich selbst unbequem ist, weil sie das Demagogische ablehnt, das Taktische meidet und ins Faktische verliebt ist, muss sich vor den Wählern nicht angstvoll verstecken. Sie wüsste jederzeit 95 Prozent der Deutschen hinter sich.

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