
Ausgerechnet der Novize im Kreis der Spitzenkoalitionäre sperrte sich. Horst Seehofer, frischgekürter CSU-Vorsitzender, blieb bei Oma ihr klein Häuschen, das am Starnberger See schon mal locker die Millionen-Euro-Grenze überspringt, hart. Und so forderte der einstige Sozialpolitiker („Ich bin der letzte Blümianer“) im Bundeskanzleramt kess eine Freigrenze von zwei Millionen Euro, falls Immobilien an Ehegatten oder Kinder vererbt werden.
Den beteiligten Sozialdemokraten Franz Müntefering und Frank-Walter Steinmeier entwich bei der Millionen-Forderung vorübergehend die Farbe aus dem Gesicht, und Bundeskanzlerin Angela Merkel musste mit Engelszungen auf Seehofer einreden.
Um 20 Uhr am vergangenen Donnerstag, Merkel musste zum nächsten Termin, einigte sich die Spitzenrunde. Selbst genutztes Wohneigentum soll an Ehepartner steuerfrei vererbt werden können, an Kinder zumindest bis 200 Quadratmeter. Seehofer hat sich mit seinen Starnberger Erben durchgesetzt.
Doch auch wenn sich die Parteibosse geeinigt haben, in trockenen Tüchern ist die Zangengeburt damit noch nicht. Hitzige Beratungen im Bundestag sind programmiert. Den Schweinsgalopp, mit dem die Koalitionsspitzen die Reform noch in dieser Woche durchpeitschen wollten, werde die Unions-Fraktion nicht mitmachen, sagt der CDU/CSU-Berichterstatter Christian v. Stetten: „Jetzt wird im Detail geprüft.“ Und das kann bei dem mehr als 80 Seiten dicken Konvolut dauern.
v. Stetten hat mittels Modellrechnungen schon in den vergangenen Monaten Problemfälle thematisiert und Parteifreunde mobilisiert. Im Reformteil zur Unternehmensnachfolge wurden daraufhin Haltefristen und Lohnsummen verringert, um das betriebliche Vermögen zu begünstigen.
Die Union tut sich furchtbar schwer. Das Vererben, weiß Seehofer um die Sensibilität des Themas, „ist ein zentraler Baustein im Denken und Leben für bürgerliche Wähler“. Mehrere Unions-Organisationen lehnen „die Neidsteuer aus gesellschaftspolitischen Gründen“ komplett ab, so Junge Union und CDU/CSU-Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung in einer gemeinsamen Erklärung.
Selbst Vertreter des Arbeitnehmerflügels sind dagegen. Franz Romer, Mechaniker und CDU-Abgeordneter aus Biberach, hält es für „völlig sinnlos, die Erbschaftsteuer fortzuführen“. Romer befürchtet, dass Familienunternehmen Mitarbeiter entlassen müssen, wenn Erbschaftsteuer anfällt.
Auch von 15 auf 7 Jahre verkürzte Haltefristen, worauf sich die Spitzenkoalitionäre verständigten, damit Unternehmensvermögen weitgehend verschont bleibt, hält Romer für weltfremd. „Bei den Automobilzulieferern sehen wir doch gerade“, sagt der frühere Betriebsratsvorsitzende einer solchen Firma, „wie unvorhersehbar Marktentwicklungen seien.“
Von ihrer Parteichefin Merkel unverstanden, erhalten die Unions-Renegaten von der FDP Unterstützung. In Berlin zwar nur Opposition, kämpfen die Liberalen via München mit, wo sie als Koalitionspartner dem CSU-Vorsitzenden und Ministerpräsidenten Seehofer den Rücken stärken. Dessen liberaler Wirtschaftsminister Martin Zeil hält es „für Deutschland insgesamt und gerade für Bayern als attraktiver Investitions- und Kapitalanlagestandort für angebracht, auf die Erhebung der Erbschaftsteuer ganz zu verzichten“.
Zeil verlangt nun, dass „Steuersätze und Freibeträge der Erbschaftsteuer wenigstens regionalisiert werden müssen“. Natürlich mit dem Hintergedanken, in Bayern die Erbschaftsteuer faktisch abzuschaffen und so andere Bundesländer unter Zugzwang zu setzen. Dies wiederum ist für Sozialdemokraten und auch manche CDU-Länderregierungschefs eine Zumutung, die mit der Erbschaftsteuer Kasse machen wollen. Nicht nur im Bundestag, sondern auch im Bundesrat sind noch leidenschaftliche Verhandlungstage programmiert.
Lustvoll nutzt die FDP ihre Chance, um, so deren Finanzexperte Hermann Otto Solms, „den Bürgern eine Heimat zu bieten, für die wir unbeirrt die soziale Marktwirtschaft vertreten“. Parteichef Guido Westerwelle zieht durch die Industrie- und Handelskammerbezirke, wo er für „Alles, was am Ende des Lebens besteuert wird, ist im Laufe des Lebens längst versteuert worden“ begeistert gefeiert wird. Die Familienunternehmer, die (einst) treuen Wähler der Union, laufen in Scharen zur FDP über.