Anstatt diese Großtat weiter wirken zu lassen, wird sie kurzfristig konterkariert. „Wer mit 63 ohne die sonst üblichen Abschläge in den Ruhestand gehen kann, wird das überwiegend auch tun“, bilanziert der Rentenexperte Alfred Boss vom Kieler Institut für Weltwirtschaft. „Angesichts unserer demografischen Aussichten ist das eine Katastrophe.“
Die anfallenden Aufräumarbeiten werden Manager wie Hans-Jürgen Credé bewältigen müssen. Sein Unternehmen steht beispielhaft für jene, die besonders herausgefordert werden: mit Angestellten, die schon Jahrzehnte im Unternehmen sind; mit Facharbeitern, die als 15-, 16-Jährige ihre Ausbildung als Schlosser oder Mechaniker angefangen haben und die 45-Jahres-Grenze mit Anfang 60 erreicht haben.
Credé macht sich keine Illusionen. „Die meisten unserer erfahrenen Leute werden die vorgezogene Rente in Anspruch nehmen.“ Warum auch nicht? Abschlagsfrei heißt eben auch zuschlagsfrei. Wer also noch nicht aufhört, bekommt zwar weiter seinen normalen Lohn, nur für die Rente zahlt es sich nicht mehr zusätzlich aus, bis 65 oder 67 weiterzumachen. Ohne jegliche Beschränkung bei der Arbeitslosigkeits-Anrechnung könnte jeder dritte Neurentner die 63er-Regel erfüllen, heißt es in einer Stellungnahme aus Nahles’ Ressort für die Grünen. Und die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände beziffert den Kreis der Begünstigten im engeren Sinne des Gesetzentwurfs immerhin noch „auf etwa jeden Vierten“.
Möglichkeiten, die Anreize zum Frühausstieg zu verhindern, gäbe es durchaus. So könnte sich die Koalition darauf verständigen, zumindest den Alg-I-Bezug direkt vor Eintritt in die Rente nicht mitzuzählen, um die goldenen Brücken zu verhindern. Denkbar wäre ebenfalls, statt Arbeitslosengeld alle Zeiten der Arbeitslosigkeit zu werten, dann aber die Anrechnung bei fünf Jahren zu deckeln. Das sei am Ende der Koalitionsverhandlungen eigentlich Konsens der Parteichefs gewesen, heißt es aus der Koalition. Außerdem wäre es möglich, die Erstattungspflicht für Arbeitslosengeld wieder einzuführen. Bis 2006 mussten Arbeitgeber der Arbeitsagentur die Kosten für Entlassungen Älterer ersetzen. Das hätte der DGB gerne.
Es sei „nicht unsere politische Absicht, Leute vor dem 63. Lebensjahr über welche Brücken auch immer“ ausscheiden zu lassen, verspricht Nahles. Doch wenn sie an ihren Plänen nichts ändert, wird die Rente mit 63 Personalabbau mindestens da erleichtern, wo er ohnehin geplant ist.
Zu denkbaren Mitnahmeeffekten mag sich zwar kein Unternehmen äußern. In der Bau- und Baudienstleistungsbranche aber streichen in diesem Jahr Hochtief und Bilfinger jeweils rund 800 Arbeitsplätze, in der Energiewirtschaft baut RWE allein in Deutschland 4700 Stellen ab und E.On ähnlich viele. Das würde viel leichter und auch billiger, wenn einige 100 Betroffene via Frühverrentung ausscheiden. Die Folge: Die gesetzliche Rentenversicherung entlastet die Strommultis.