
In Deutschland herrscht Reformstau. Doch weil die Wirtschaft in Deutschland gut läuft, fordert niemand öffentlich Reformen – auch wenn die Diskussion über eine neue Agenda langsam lauter wird. Generell ist eine konservative Stimmung in Deutschland entstanden, die die Reduktion der Politik auf Zurückhaltung stützt. Es soll alles so weiter gehen wie bisher. Progressive Reformen gelten als riskant und werden schnell öffentlich zerredet. Doch das ist gefährlich für Wohlstand und soziale Gerechtigkeit. Wie progressive Reformen im Rahmen einer Agenda 2030 aussehen könnten:
Bildungsausgaben erhöhen und damit mehr Gerechtigkeit schaffen und das Wachstum fördern
Chancengleichheit und soziale Mobilität in Deutschland sind gering. Das liegt vor allem an den unterschiedlichen Bildungschancen der Bürger. Die Bildung entscheidet aber nicht nur über mehr soziale Gerechtigkeit, sondern auch über die wirtschaftliche Zukunft dieses Landes. Durch strukturelle Veränderungen in der Wirtschaft wird der Bedarf nach Wissensarbeitern in Deutschland rasant zunehmen. Die Bildungsinvestitionen werden sich daher wirtschaftlich lohnen, wie es auch eine Studie der Bertelsmann-Stiftung zeigt. Denn je schneller man heute eine große Bildungsreform durchführen würde, desto deutlicher würde das Bruttoinlandsprodukt in der Zukunft steigen, hat die Stiftung schon 2009 festgestellt. Mehr Bildung schafft demnach auch mehr Wachstum.
Es ist also Zeit, nicht nur über mehr Bildung zu reden, sondern tatsächlich mehr zu investieren.
Wie sich die Hochschulfinanzierung zusammensetzt
Einen Großteil der Hochschulfinanzierung übernehmen die Bundesländer. Sie tragen rund 80 Prozent der sogenannten Grundfinanzierung der Hochschulen.
Gut zehn Prozent steuert der Bund über die Finanzierung von Forschungsprojekten zum Unihaushalt bei. Da wären unter anderem die Exzellenzinitiative oder der Hochschulpakt. So kommen letztlich 90 Prozent der Gelder für die Hochschulen von der öffentlichen Hand.
Die verbliebenen zehn Prozent kommen aus privaten Quellen: Studienbeiträge der Studenten, Förderung durch die Wirtschaft und Auftragsforschung.
Zwischen 1995 und 2008 haben sich die Bildungsausgaben anteilig am Bruttoinlandsprodukt jedoch verringert. Und nach der Bildungsstudie der OECD „Bildung auf einen Blick 2012“ haben sich die Bildungsausgaben in den Jahren danach anteilig am BIP lediglich auf 5,3 Prozent erhöht. Das muss sich ändern. Das Ziel sollte es sein, den Anteil für Bildung und Forschung bis 2030 von heute fünf Prozent am Bruttoinlandsprodukt auf mindestens zwölf Prozent am Bruttoinlandsprodukt zu steigern. Und dabei sollte nicht die nationale Statistik herangezogen werden – in der sich die Bundesregierung die Bildungsausgaben hoch rechnet –, sondern die OECD-Berechnungen. Folgt man den OECD-Berechnungen dann ist Deutschland von dem verabredeten Ziel auf dem „Bildungsgipfel“ 2008 in Dresden bis 2015 zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Bildungsausgaben aufzuwenden, weit entfernt.
Industriewende 4.0 meistern
Eine der großen Herausforderungen der Zukunft wird die Digitalisierung der Wirtschaft beziehungsweise die Industriewende 4.0 sein. Das Potenzial von Industrie 4.0 ist groß – wie Studien von der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften und dem High-Tech Verband BITKOM zeigen, aber diese Potenziale müssen geschöpft werden. Hierzu ist der Staat in einer zentralen Rolle, wie auch der Präsident der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften Henning Kagermann – zuvor SAP-Chef – bekennt. Und Kagermann steht nicht im Verdacht ein Etatist zu sein. In Wirtschaftskreisen wächst langsam die Einsicht, dass der Staat zurückkommen muss, um die Evolution der Wirtschaft zu einer vernetzten und automatisierten Produktion zu beschleunigen.
Der Staat muss vor allem als Netzwerker agieren und zusätzlich deutlich mehr Forschungsgelder für Grundlagenforschung bereitstellen, sowie steuerliche Anreizsysteme für privatunternehmerische Forschung und Entwicklung setzen.
Stufen der industriellen Entwicklung
Die erste industrielle Revolution datiert man auf das Ende des 18. Jahrhunderts. Gekennzeichnet war sie durch die Einführung mechanischer Produktionsanlagen, die durch Wasser- und Dampfkraft angetrieben wurden. In dieser Zeit wurde auch der erste mechanische Webstuhl entwickelt.
Quelle: Deutsche Bank Research Industrie 4.0 - Upgrade des Industriestandorts Deutschland steht bevor, Stand: Februar 2014
Die Erfindung erster Fließbänder in Schlachthöfen in den USA ist Symptom der zweiten industriellen Revolution. Die Verfügbarkeit elektrischer Energie für Produktionszwecke bedingte ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Einführung arbeitsteiliger Massenproduktion.
In den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts automatisierte sich die Produktion weiter. Von diesem Zeitraum an wurde nicht mehr nur Arbeitsteilung betrieben, sondern ganze Arbeitsschritte wurden von Maschinen übernommen. Die Grundlage für diese Entwicklung war der Einsatz von Elektronik und IT.
Die Industrie 4.0 soll die vierte industrielle Revolution werden. In der "intelligenten Fabrik" sollen Menschen, Maschinen und Ressourcen miteinander kommunizieren. Das jeweilige Produkt soll, gefüttert mit Informationen über sich selbst, seinen eigenen Fertigungsprozess optimieren können.
Bis 2030 sollen mindestens 25 Milliarden Euro an Forschungsgeldern für Industrie 4.0 vom Staat bereitgestellt werden. Im Sinne vorwettbewerblicher Forschung wird es zwingend notwendig sein, dass sich der Staat hier engagiert, denn der Aufbau einer smart factory ist noch nicht wirtschaftlich rentabel. Außerdem sind viele Fragen der technischen Realisierung offen und müssen durch vorwettbewerbliche Leuchtturmprojekte erprobt werden. Um den Forschungsbedarf behördlich zu organisieren, ist ein Superministerium aus Wirtschaft, Energie und digitaler Forschung zu schaffen.