Regierung Wie die GroKo die Wirtschaft zahlen lässt

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"Im Koalitionsvertrag hat die Wirtschaft 1:10 verloren"

Noch kaschieren die globale Nachfrage und die niedrigen Zinsen die Antireformpolitik der vergangenen Jahre. Doch es macht sich bereits Kritik breit. Es sei „irritierend“, dass die neue Regierung auf die wachsende globale Konkurrenz und steigende Unsicherheiten mit Belastungen der Betriebe und Unternehmen reagiere, verkünden die Spitzenverbände von Handwerk, Industrie und Arbeitgebern. Michael Eilfort von der Stiftung Marktwirtschaft wird noch deutlicher: „Im Koalitionsvertrag hat die Wirtschaft 1:10 verloren.“ Zwei Milliarden Euro Entlastung bei der steuerlichen Forschungsförderung stünden in der nächsten Legislaturperiode 20 Milliarden Mehrkosten für die Rückkehr zur paritätischen Finanzierung der Krankenversicherung gegenüber. Der Ökonom warnt, die Wettbewerbsfähigkeit habe sich deutlich verschlechtert. Deutschland sei fast wieder auf dem Niveau von 2003, als es der „kranke Mann Europas“ war.

Für Eilfort gibt es eine Verantwortliche für den schleichenden Niedergang: Angela Merkel. Seit sie die Geschicke des Landes lenke, würde die Wirtschaft mit immer neuen Verschlimmbesserungen und Unterlassungen traktiert, etwa mit Compliance-Pflichten, der ausbleibenden Anpassung von steuerlichen Freibeträgen oder steigenden Renten- und Pflegeleistungen. Eilfort: „Diese Politik der Nadelstiche macht der Wirtschaft zu schaffen.“

Viele Unternehmer sehen das genauso. Wie Michael Schmidt in Naumburg an der Saale. Weinberge umgeben sein Hotel, in dem bis Mitte des 20. Jahrhunderts noch Bier gebraut wurde. Vor 13 Jahren, mit Anfang 30, machte Schmidt das, was sich Politiker wünschen: Er traute sich was, eröffnete das Gasthaus zur Henne, verschaffte 40 Mitarbeitern und Auszubildenden einen Job. Nur seine Arbeit geht ihm nicht mehr so leicht von der Hand wie früher. Durch die gesetzlichen Änderungen der vergangenen Jahre sei er immer mehr vom Gastgeber-Chef zu seiner eigenen Bürokraft geworden. All die Vorschriften, sagt Schmidt, würden den Bedürfnissen und Ansprüchen der modernen Gesellschaft nicht gerecht: „Es gibt so viele Regulierungen, dass ich als Unternehmer immer mit einem Fuß im Gefängnis stehe.“ Es sei schlicht unmöglich, sich immer vollkommen korrekt zu verhalten.

Was Merkels Ex-Minister werden könnten
Am Mittwoch wurde Angela Merkel zum vierten Mal als Bundeskanzlerin vereidigt. Quelle: dpa
Kabinettsitzung Quelle: imago images
Außenminister Gabriel zu Besuch in Serbien Quelle: dpa
SPD-Regionalkonferenz mit Sigmar Gabriel Quelle: dpa
Thomas de Maizière (Innenminister a. D.) Quelle: AP
Thomas de Maiziere Quelle: dpa
Barbara Hendricks (Umweltministerin a. D.) Quelle: REUTERS

Als besonders belastend empfindet er das Arbeitszeitgesetz, das die Arbeitszeit auf maximal zwölf Stunden pro Tag begrenzt. In anderen EU-Ländern ist nur eine maximale Arbeitszeit von 48 Stunden pro Woche vorgeschrieben. Die Begrenzung pro Tag hat der deutsche Gesetzgeber eingeführt. „Das zeigt, dass die Bundespolitiker keinen Bezug zu unserer Arbeit haben“, so Schmidt. Jeder, der mal auf einer Hochzeit gewesen sei, wisse doch, dass die Gäste nicht pünktlich nach Hause gingen. Ein Schichtwechsel mitten in der Nacht sei „schlicht utopisch“. An den Schreibtisch fesselt Schmidt auch eine andere Vorschrift, die von der großen Koalition 2015 beschlossen wurde: die Dokumentationspflicht zur Einhaltung des Mindestlohns. Jeder Mitarbeiter muss seine Arbeitszeit minutengenau festhalten. Schmidt rechnet das nach und überträgt die Zeiten in eine Excel-Tabelle; manchmal nimmt das ganze Tage in Anspruch: „Seit Jahren verspricht die Politik Bürokratieabbau, stattdessen setzt sie immer noch einen obendrauf.“

Noch läuft Schmidts Geschäft – auch weil das Geld derzeit bei vielen Deutschen recht locker sitzt. Selbst den MiNoch läuft Schmidts Geschäft – auch weil das Geld derzeit bei vielen Deutschen recht locker sitzt. Selbst den Mindestlohn konnte er so abfedern. Doch schon jetzt steht fest, dass die Mindestvergütung 2019 steigen wird – wahrscheinlich von 8,84 auf 9,19 Euro, ein Plus von vier Prozent. Das führe natürlich dazu, dass die Gastronomie die Preise anheben müsse, erklärt Schmidt. Die Frage, die Hoteliers wie ihn, aber auch Friseure und andere Dienstleister umtreibt: Werden die Kunden die höheren Preise zahlen – oder werden sie ausbleiben? Schmidt schwant: Sobald es wirtschaftlich abwärtsgeht, drohen leere Betten, sinkender Umsatz, Entlassungen.ndestlohn konnte er so abfedern. Doch schon jetzt steht fest, dass die Mindestvergütung 2019 steigen wird – wahrscheinlich von 8,84 auf 9,19 Euro, ein Plus von vier Prozent. Das führe natürlich dazu, dass die Gastronomie die Preise anheben müsse, erklärt Schmidt. Die Frage, die Hoteliers wie ihn, aber auch Friseure und andere Dienstleister umtreibt: Werden die Kunden die höheren Preise zahlen – oder werden sie ausbleiben? Schmidt schwant: Sobald es wirtschaftlich abwärtsgeht, drohen leere Betten, sinkender Umsatz, Entlassungen.

Dass irgendwann ein Abschwung kommt, ist klar. Ein normaler Konjunkturzyklus dauert vier bis sechs Jahre; die deutsche Wirtschaft wächst bereits seit mehr als acht Jahren. Viele fürchten: Der nächste Einbruch wird nicht nur offenlegen, wie saturiert und selbstgewiss Deutschland zurzeit ist. Sondern er könnte auch sich selbst verstärkende Wirkungsketten erzeugen – etwa weil viele Unternehmer auf einmal merken, dass es der Belastungen längst zu viele gibt.

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