
Horst Köhler wirkte euphorisiert: Deutschland habe nun „eine Regierung, die für ihr Programm auf solide Mehrheiten im Deutschen Bundestag rechnen kann und die eng und vertrauensvoll zusammenzuarbeiten verspricht“, jubelte der Bundespräsident. Und fuhr fort: „Das ist ein wertvoller Faktor für politische Stabilität und tatkräftiges Regieren.“ Die so Gelobten, das versammelte Bundeskabinett mit Kanzlerin Angela Merkel an der Spitze, schaute stolz und freudig. Alles atmete Aufbruch.
Das war vor rund 100 Tagen, und das Staatsoberhaupt muss sich inzwischen als naiver Träumer vorkommen. Die ersten drei Monate verbrachten die selbst ernannten Wunschpartner mit kleinkarierten Streitereien. Die Pepita-Koalition regiert, verheddert sich zwischen liberalem Steuermantra und Vertriebenenpräsidentin Erika Steinbach. Die grobe Richtung ist zwar ähnlich, die Gangart aber doch recht unterschiedlich. Während die FDP möglichst schnell möglichst viele deutliche Änderungen vorweisen möchte – nicht nur im Steuerrecht –, agiert die CDU unter ihrer Vorsitzenden Angela Merkel lieber behutsam. „Das Wichtigste ist der Zusammenhalt im Land“, hatte die Kanzlerin schon im Wahlwerbespot versprochen. Und auch nach der Wahl verkündete sie den reformlechzenden Mittelständlern der Union, die große Klammer um Arm und Reich, links und rechts sei „eine der großen Herausforderungen der nächsten Jahre“. Politische Kuschelpädagogik statt Reformen.
„Es ist eine große Erwartung entstanden, weil es in der großen Koalition einen Stau von Entscheidungen gegeben hat“, spricht Friedhelm Loh für viele Sympathisanten des bürgerlichen Duos, gerade in der Wirtschaft. Der Präsident des ZVEI – Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie hatte selbst auch auf flotte Resultate vertraut. „Jeder hatte die Hoffnung, dass diese beiden Partner reibungslos regieren. Sie tun es aber noch nicht so richtig.“
Hoffnung geweckt
Die Protagonisten der Koalition waren selbst überrascht über ihren Stolperstart. Denn mit den Vertragsverhandlungen in Rekordzeit hatte Schwarz-Gelb selbst Hoffnungen auf einen reibungslosen Regierungsalltag geweckt. Die Lücken im 133-Seiten-Werk zeigten sich schon nach ein paar Wochen, doch sind die Unterhändler auch rückwirkend sicher: Ohne den Poker-Spurt hätte zum 1. Januar gar nichts im Gesetzblatt gestanden – weder die Entlastung der Familien noch die Korrektur bei Unternehmen- und Erbschaftsteuer (und nicht einmal die umstrittene Milliarden-Entlastung der Hoteliers).
Das Wachstumsbeschleunigungsgesetz kam dann zwar gerade noch rechtzeitig durch den Bundesrat, nachdem die gleichfarbige CDU/FDP-Koalition in Schleswig-Holstein mit finanziellen Versprechen ruhiggestellt worden war. Doch statt eines psychologisch wichtigen Entlastungsimpulses blieben nur Gezänk und Hakelei in Erinnerung.
Kritiker beklagen Zögern der Koalition
Die schlimme Folge: keine Aufbruchstimmung. Statt der Bevölkerung die Entlastung um immerhin 24 Milliarden Euro täglich in Erinnerung zu rufen und zum Einkaufen anzufeuern, beharkten sich die neuen Partner aufs Heftigste über die Mehrwertsteuer-Entlastung der Hoteliers und ob die nächste Steuerreform 2011 oder 2012 kommt – statt erst mal die aktuelle wirken zu lassen. „Was man bei einer so massiven Entlastung falsch machen kann, haben wir beherzt ausgenutzt“, stöhnt einer der drei Generalsekretäre. Steuerentlastung mit Wachstumseffekt ist prima. Steuerentlastung zerredet durch kleinliches Gezänk ist rausgeschmissenes Geld.
Unzufriedenheit allerorten. Kritiker beklagen, die neue Koalition zögere bei echten Veränderungen. „Das ist bisher eine Reparaturregierung, keine Reformregierung“, moniert Marie-Christine Ostermann, Bundesvorsitzende des Verbandes Die Jungen Unternehmer (BJU). „Die Koalition bastelt an vielen Stellen ein wenig herum, aber sie löst die Probleme nicht von Grund auf. Wir hätten uns gewünscht, die neue Regierung würde klarer und konsequenter handeln.“ Zwar gebe es im Bereich Erbschaftsteuer einige Verbesserungen. Aber bei der Gewerbesteuer werde immer noch Substanz angegriffen. „Das ist für viele Unternehmen krisenverschärfend. Und von einer grundlegenden Steuerstrukturreform sind wir noch meilenweit entfernt.“