Regierung Wie die GroKo die Wirtschaft zahlen lässt

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Vor allem fehlt Verlässlichkeit

Auch deshalb gibt es in der Union Kritik am Wird-schon-gutgehen-Kurs der Kanzlerin. So fordert der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer seine Partei auf, wieder Ordnungspolitik zu betreiben: Es sei „zurzeit nur verschwommen zu erkennen, woher eigentlich Wirtschaftswachstum kommen soll oder wie Arbeitsplätze entstehen“. Ähnlich sieht es der Chef der Jungen Union, Paul Ziemiak: „Wir haben im Koalitionsvertrag bei der Wirtschaft auf alles einen Rechtsanspruch eingeführt, aber nicht auf eine gute Konjunktur.“

Zwar bezweifelt Ziemiak, dass alle teuren Vereinbarungen des Koalitionsvertrages umgesetzt werden können. Aber der Einfluss der SPD sei groß und der Sozialflügel der Union mächtig. Es war bezeichnenderweise CSU-Mann Horst Seehofer, der in dieser Woche betonte, die große Koalition werde eine „soziale Regierung“ sein.

Was den Unternehmern aber vor allem fehlt: Verlässlichkeit. Die war mal ein Markenzeichen der deutschen Politik. Und wäre auch heute noch das zentrale Kriterium für Investitionen. Wäre. Michael Christoph wäre schon dankbar, wenn sich die nächsten Schritte der Regierung wenigstens halbwegs vorhersagen ließen. Als Ingenieur mag er Klarheit, seinen Arbeitsplatz zeigt er am liebsten von oben. Besonders stolz ist er auf das neue Rohstofflager, einen Turm von knapp 50 Metern, fast fertig ausgebaut, von dem man das Betriebsgelände von Crespel & Deiters überblicken kann.

Die GroKo ist alles andere als wirtschaftsfreundlich

Als Prokurist und Bereichsleiter ist Christoph für Produktion und Technik bei dem Familienunternehmen im Münsterland verantwortlich. Er kann alles in seinem Betrieb perfekt erklären: Wie sie aus Weizen Klebstoffe für Pappe gewinnen. Wie sich die Produktion mit dem neuen Rohstofflager vereinfachen lässt. Wie sie die Anfahrt der Lieferanten neu organisieren wollen. Nur eines kann er nicht erklären: Warum die Politik heute hü sagt und morgen hott.

Crespel & Deiters, 140 Millionen Euro Jahresumsatz, ist das, was man ein energieintensives Unternehmen nennt. Um das Weizenmehl zu verarbeiten, wird es mit Wasser vermischt, geknetet, in seine Bestandteile zerlegt – und schließlich getrocknet. Die dazu benötigte Wärme liefert eine Gasturbine. Weil daraus auch der Strom für den gesamten Betrieb ausgekoppelt wird, spricht man von Kraft-Wärme-Kopplung, kurz KWK.

Eigentlich, erinnert sich Christoph, seien sie ein Gewinner der Energiewende gewesen. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) habe schließlich den Ausbau von KWK fördern wollen. Dann aber kam der Tag, an dem Christoph und sein Team schnell reagieren mussten und der ihn heute sagen lässt: „Mit Planungssicherheit hat die Energiepolitik der letzten Jahre nichts zu tun.“

Im Oktober 2016 stellte die Regierung eine Gesetzesänderung für die KWK vor. Bis dahin war Crespel & Deiters von der EEG-Umlage befreit, die Turbinen genossen Bestandsschutz. Das neue Gesetz sah 20 Prozent EEG-Umlage ab 2018 vor, wenn eine alte Anlage modernisiert würde. Christoph blieb also ein Jahr, um die Gasturbinen zu erneuern und damit weiter wettbewerbsfähig zu bleiben. Ein Jahr ist nicht viel, um Genehmigungen einzuholen und einen Hersteller zu finden, der in kurzer Zeit eine neue Gasturbine liefert. 5,5 Millionen Euro musste die Firma investieren. „Das Geld muss man erst einmal haben“, sagt er.

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