Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt will, dass Autos vor Schulen und Kindertagesstätten langsamer fahren müssen. Zumindest während der Öffnungszeit soll „Tempo 30“ gelten. Dagegen ist nichts einzuwenden, aber viel verändern wird das ohnehin nicht. Denn vor unseren Schulen verstopfen ohnehin allmorgendlich Eltern mit ihren Wagen die Straßen.
Schulpolizisten klagen darüber, dass eilig ein- und ausparkende Mütter und Väter eine besonders häufige Ursache von Unfällen vor Schulen seien. Der Verkehrsclub Deutschland und das deutsche Kinderhilfswerk haben schon seit zehn Jahren den 22. September zum Aktionstag „Zu Fuß zur Schule“ ausgerufen.
Den schönen Anblick aus früheren Zeiten von Kindern, die in Grüppchen den Schulen zustreben, gibt es kaum noch. Der Schulweg – früher eine ganz besonders wichtige soziale Alltagsphase für Kinder als Pufferzeit zwischen Familien- und Schulleben – ist abgeschafft. Selbst Viertklässler (9 oder 10 Jahre alt) werden von Vati oder Mutti an der Hand gebracht oder öfter noch: mit dem Auto chauffiert. Wo die Kinder früher meist ihre Schulkameraden trafen und den vor oder hinter ihnen liegenden Tag besprachen, Schabernack ausheckten, sich vielleicht sogar mal rauften, sitzen sie jetzt in Muttis Auto.
Der Verlust des Schulwegs ist ein Teil des Phänomens der so genannten „Helikoptereltern“. Gemeint sind Eltern, die ihre Kinder vor allen erdenklichen Gefahren des Alltags zu bewahren versuchen.
Was Raser wissen müssen
Deutschlandweit gibt es 4231 Blitzer. Weltweit liegt Deutschland damit auf Platz fünf der Blitzer-Staaten: Platz vier belegen die USA mit 5647 Starenkästen, Großbritannien folgt mit 5754 Blitzern auf Platz drei. Der zweite Platz geht an Italien mit 6884 Blitzern und der erste Platz an Brasilien mit stolzen 14.395 Starenkästen.
Die meisten Radarfallen gibt es in Berlin: In der Hauptstadt stehen 22 festinstallierte Blitzer. Hinzu kommen 100 mobile Geschwindigkeitskontrollen. Zweitplatzierter ist Düsseldorf mit 37 stationären und mobilen Radarfallen. Danach kommt Hamburg mit 34 Blitzern, Stuttgart mit 32, Freiburg mit 24 sowie Bremen und Aalen mit je 20 Blitzern.
Der Deutsche Anwaltverein (DAV) hat 150 Städte befragt, wie hoch ihre Einnahmen aus Geschwindigkeitskontrollen im Jahr 2012 gewesen sind. Nicht im Ranking enthalten sind Großstädte wie Berlin, Hamburg und München, da die Städte trotz gesetzlicher Auskunftspflicht nicht auf die Anfrage des DAV reagiert haben. "Von den angeschriebenen Städten haben wir bisher nur 34 Fragebögen, zum Teil mit unvollständigen Angaben, zurückbekommen. Sechs dieser Städte haben außerdem die übermittelten Daten nicht zur Veröffentlichung freigegeben", sagte Jens Dötsch vom DAV.
Der dritte Platz ging an die nordrhein-westfälische Landeshauptstadt Düsseldorf: 5,3 Millionen Euro nahm die Stadt im Jahr 2012 durch Radarkontrollen ein. Die Stadt Dortmund kassierte - heruntergerechnet auf alle zugelassenen Pkw - 27,75 Euro pro Auto. Insgesamt flossen sieben Millionen Euro in die Haushaltskasse. Und ausgerechnet die Autostadt Stuttgart verdient 2012 am meisten an ihren Rasern: 7,9 Millionen Euro nahm die Hauptstadt Baden-Württembergs allein durch Radarkontrollen ein. Pro zugelassenem Pkw sind das 28,07 Euro.
Spezielle Smartphone-Apps und die meisten Navigationssysteme warnen den Fahrer vor Radarkontrollen. Das möge lehrreich sein, ist beides aber auch „ganz klar illegal“, so der Hamburger Anwalt Uwe Toben, Experte für Verkehrsstrafrecht. Denn die Straßenverkehrsordnung verbietet den Einsatz von technischen Geräten, die „dafür bestimmt sind, Verkehrsüberwachungsmaßnahmen anzuzeigen oder zu stören“. Warum das so ist und ob ein Handy überhaupt in diese Kategorie fällt weiß keiner so genau. Der Paragraf stammt aus einer Zeit, in der es weder Smartphones noch Navigationsgeräte gab. Anwalt Toben kann sich auch an keinen Fall erinnern, in dem jemand wegen seiner Handy-App Probleme bekommen hat. „Wo kein Kläger, da auch kein Richter“, sagt Toben.
Entsprechend wirbt auch der Navigationshersteller Tomtom auf seiner Website für seinen knapp 30 Euro teuren Service, der „mit ausreichend Vorlaufzeit“ vor Radarkameras warnt. Der Dienst mache den Straßenverkehr sicherer, behauptet das Unternehmen.
Und auch der Gesetzgeber hat nicht gegen jede Form von Blitzer-Warnung etwas: Die Radiosender etwa dürfen vor Radarfallen warnen. Wo genau hier die rechtliche Grenze zwischen technischen Geräten wie Handys oder Navigationssystemen gezogen wird, weiß niemand so genau.
Wer bis zu 20 Sachen zu schnell unterwegs ist, muss nur mit einem Bußgeld von bis zu 30 Euro rechnen. Ab 21 Stundenkilometern zu viel steigt die Höhe des Verwarngeldes schon auf 70 Euro und es gibt einen Punkt in Flensburg. Den kompletten Bußgeldkatalog finden Sie übrigens hier.
Wer außerorts 41 oder mehr Stundenkilometer über dem Limit fährt, muss ein Auto für mindestens einen Monat stehen lassen. Innerhalb einer Gemeinde gibt es schon ab einer Geschwindigkeitsübertretung von 31 km/h ein einmonatiges Fahrverbot.
In vielen deutschen Bundesländern gibt es bereits Blitzer ohne Blitz. Im Juni 2014 führte - nach Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Hessen, Baden-Württemberg, Niedersachsen, Bremen und Thüringen - auch Bayern das System TraffiStar 330 ein. Die Anlage liefert bei Tag und Nacht scharfe Bilder, ohne den Fahrer durch einen Blitz zu blenden. Bei der sogenannten Robot Black Flash Technologie kommt ein Infrarot-Blitz zum Einsatz, der für das menschliche Auge fast unsichtbar ist. Außerdem berechnet der TraffiStar 330 die Geschwindigkeit der Fahrzeuge anhand des Wegs, den das Auto in einer bestimmten Zeit zurückgelegt hat. Kritiker sagen jedoch, dass bei dieser Technologie der "Erziehungseffekt" wegfällt, weil der Raser erst beim Öffnen des Bußgeldbescheids von seiner Geschwindigkeitsübertretung erfährt.
Das Streckenradar funktioniert ähnlich wie der Blitzer ohne Blitz: Die Geschwindigkeit eines Autofahrers wird über einen längeren Abschnitt kontrolliert. Dafür fotografiert eine Kamera jedes Fahrzeug am Beginn des Abschnitts von hinten. Am Streckenende wird das Auto erneut erfasst. Wenn ein Fahrzeug die Strecke in einer Zeit zurücklegt, die nur durch die Übertretung des Tempolimits erreicht werden kann, wird das Fahrzeug von vorne geblitzt. In Niedersachsen startet im Frühjahr 2015 ein etwa 18 Monate langer Feldversuch mit der Technologie. Dort werden die Fahrer deutlich auf diese Form der Kontrolle hingewiesen. Erfahrungen mit der Technologie gibt es bereits im europäischen Ausland.
So haben notorische Raser in Italien das Streckenradar schon überlistet: Sie durchrasen den ersten Teil der Strecke mit hoher Geschwindigkeit. Danach trinkt der Fahrer an einer Raststätte einen Espresso und fährt nach der kurzen Pause weiter. So bleibt er insgesamt unter der Geschwindigkeitsbegrenzung.
Mittlerweile gelten Fotos, die Blitzgeräte aufgenommen haben, nicht mehr als Beweismittel, weil sie gegen das „Recht auf informationelle Selbstbestimmung“ verstoßen. Wer also einen bösen Brief samt Foto bekommt, kann - trotz gestochen scharfem Foto - behaupten, nicht zu wissen, wer das Auto zum fraglichen Zeitpunkt gefahren hat.
Andere Szenen desselben Phänomens lassen sich auf Spielplätzen beobachten, wo Mütter ihre Kinder beim Rutschen festhalten oder sie nicht aus den Augen lassen, wenn sie mit anderen Kindern durch den Garten toben. Viele Siebenjährige dürfen nicht mal mehr einfach so ihre Freunde besuchen, die drei Straßen weiter wohnen. Vorher rufen die Eltern erst dort an und stellen sicher, dass die Eltern der Freunde da sind und das Spielen beaufsichtigen. Und am besten kommt Mutti gleich mit – am besten fährt sie ihr Kind gleich mit dem Auto hin, damit unterwegs nichts passieren kann, und holt sie zu vereinbarter Zeit wieder ab. Vor dreißig Jahren hieß es einfach: Komm wieder rein, wenn die Laternen angehen. Wo sieht man noch Kinderbanden lachend durch die Straßen streifen?
Wovor diese Mütter und Väter ihre Kinder bewahren möchten, ist klar: Gewalt und anderen Gefahren. Dass es diese gibt, kann niemand bestreiten. Sehr wohl bestreiten kann man allerdings, dass es eine angemessene Antwort auf die Gefahren für Kinder ist, sie vorsorglich in einen Kokon des Kümmerns einzupacken. Denn der mehr oder weniger geringen Wahrscheinlichkeit dieser Gefahren, steht der sichere Verlust an wertvollen und lehrreichen Erfahrungen für die Kinder gegenüber. Erfahrungen, die notwendige Schritte auf dem Weg zur Selbstständigkeit sind.
Auch der Schulweg gehört dazu. Allein oder in der Gruppe von Gleichaltrigen werden Kinder dadurch zu Verkehrsteilnehmern. Sie müssen Entscheidungen treffen, auch Risiken erkennen. Dabei können sie das Vertrauen der Eltern genießen und rechtfertigen, dass sie der Aufgabe gewachsen sind. Ein Kind, dem dieses Vertrauen nicht gegönnt wird, entwickelt vermutlich auch weniger Selbstvertrauen.
In ihrem späteren Leben als Erwachsene erwartet man von ihnen, mündige Bürger und eigenverantwortliche Marktteilnehmer zu sein. Doch wie sollen aus Kindern freie Menschen werden, wenn sie sich nicht in angemessenem Maß darin üben dürfen? Wie können wir hoffen, dass in den Schulen die Forscher, Unternehmer, Manager der Zukunft sitzen, wenn Kinder von ihren Eltern und Lehrern keine Chance erhalten, irgendetwas alleine, ohne Aufsicht und Hilfe zu tun?