Arbeit und Soziales: Dieses Kapitel des Koalitionsvertrages dürfte schnell geschrieben sein.
Hat jemals ein Regierungschef aus den Reihen der Union so sozialdemokratisch regiert wie Angela Merkel? Bei einer Wiederauflage der großen Koalition (aber genauso bei Schwarz-Grün) dürfte deshalb eine Marschrichtung klar feststehen: Es wird mehr staatlichen Flankenschutz für höhere Löhne geben, so oder so. Die bisherige CDU-Arbeitsministerin Ursula von der Leyen hat ohnehin noch nie von der sperrigen Lohnuntergrenze gesprochen – sie weiß, wie populär das Schlagwort Mindestlohn beim Wähler ist.
Der Graben zwischen regional unterschiedlichen, nach Branchen abgeschichteten Untergrenzen (Union) und einem gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro für alle und jeden (SPD und Grüne) dürfte deshalb ziemlich schnell mit einem Kompromiss zugeschüttet werden. Allerdings werden die Genossen im Machtpoker als Erstes versuchen, ihr Modell in Reinform durchzudrücken. Kein Thema zog auf den Marktplätzen im Wahlkampf besser, keines liebt die Basis mehr.
Mit Blick auf die Sicherung von Arbeitsplätzen haben CDU/CSU dagegen die besseren Argumente: Die mittlerweile mehr als ein Dutzend Branchenmindestlöhne, die auf Betreiben der Tarifpartner zustande kamen, haben weniger Arbeitsplätze gekostet als häufig befürchtet; manchmal sogar keine. Ein politisch attraktiver Weg könnte deshalb sein, die Hürden im Arbeitnehmer-Entsende- und im Mindestarbeitsbedingungsgesetz weiter zu senken.





Auch für einen SPD-Arbeitsminister Sigmar Gabriel könnte es am Ende attraktiv sein, noch mehr Branchenlösungen für allgemein verbindlich zu erklären. CDU-Arbeitnehmerführer Karl-Josef Laumann wirbt schon laut: „Es wird einen robusten Mindestlohn geben, den die Tarifpartner bestimmen müssen. Das gilt zukünftig auch für alle bisher tariffreien Räume.“
Setzen sich Grüne oder Rote mit einem gesetzlichen Mindestlohn durch, könnte die Union wenigstens darauf drängen, den politischen Einstiegslohn tiefer zu drücken und für alle weiteren Schritte eine Kommission von Arbeitgebern und Gewerkschaften einzusetzen – vielleicht sogar mit unterschiedlichen Empfehlungen für Ost und West. Einem solchen Tarifrat sind die Genossen ohnehin nicht abgeneigt.
Fachleute jedenfalls warnen vor zu viel politischem Gefummel in der Lohnfindung: „Bei einem Mindestlohn von 8,50 Euro werden ganz sicher Arbeitsplätze vernichtet“, warnt Alfred Boss vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW). „Bei sieben Euro ginge die Welt vielleicht nicht unter, aber Friseure an der polnischen oder tschechischen Grenze würden das merken.“
Auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung warnt: Wenn in den Koalitionsverhandlungen überzogen wird, könnte der Jobaufbau der letzten Jahre schnell wieder beendet sein. „Die hohe Arbeitslosigkeit der ersten Jahre des Jahrtausends haben wir mit mehr Flexibilität glücklicherweise hinter uns gelassen“, sagt Boss. „Diese Flexibilität gilt es mit Augenmaß zu erhalten.“