
Dort hätte die im vierten Wahlgang, in dem eine einfache Mehrheit zur Wahl zur Ministerpräsidentin reichen würde, gute Chancen für den Regierungswechsel. SPD (67 Sitze) und Grünen (13) fehlt nur eine Sitz zur absoluten Mehrheit. Die CDU verfügt über 67 Mandate, die FDP über 13. Die Linke (elf) wird vermutlich nicht für den amtirenden CDU-Regierunsgchef Rüttgers votieren.
Ein Zeitungsinterview gab für SPD-Frontfrau Kraft den Ausschlag. Noch-Wissenschaftsminister und NRW-FDP-Chef Andreas Pinkwart hatte gegenüber der "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung" gesagt, der Koalitionsvertrag mit der CDU sei „abgearbeitet". Die Liberalen wollten nun im Landtag auf eigene Rechung „für Mehrheitsentscheidungen im Interesse des Landes zu werben."
Für Kraft ist damit neuer Handlungsbedarf entstanden. Pinkwart habe die schwarz-gelbe Koalition aufgekündigt, sagte Kraft. „Damit gibt es auch keine geschäftsführende Regierung mehr." Ohne die FDP hätte der noch amtierende Ministerpräsident Rüttgers nur noch 67 der 181 Abgeordneten hinter sich. In einer heute Mittag eilig einberufenen Telefonkonferenz des SPD-Landesvorstands sprachen sich die Mitglieder einstimmig für eine Minderheitsregierung aus.
Die Bildung einer großen Koalition schloss Kraft erneut aus. Das Klima zwischen SPD und CDU sei vergiftet, so Kraft. Die CDU hatte nach dem Scheitern der Sondierungsgespräche mit der FDP weiterhin eine Zusammenarbeit angeboten und die Schuld für den Abbruch der Sondierungen für eine große Koalition den Sozialdemokraten angelastet. Kraft betonte dagegen, dass die CDU nicht zu Kompromissen bereit gewesen sei.
Schwarz-gelbe Mehrheit brechen
Für die Regierungsbildung haben sich Kraft und die Spitzenkandidatin der Grünen, Sylvia Löhrmann, eine engen Zeitrahmen gesetzt. Bis Mitte Juli soll ein Koalitionsvertrag zwischen SPD und Grünen ausgearbeitet sein. Wer dann welches Ressort übernehmen soll, dazu wollte sich Kraft noch nicht äußern. „Jetzt stehen erst einmal die inhaltlichen Fragen im Vordergrund", sagte Kraft. Schon vor der Wahl hatten die Grünen allerdings ihr Interesse am Schulministerium deutlich gemacht. Grünen-Frontfrau Löhrmann gilt als Schulministerin gesetzt.
Der Stimmungswechsel bei Kraft kommt dennoch überraschend. Noch am Mittwoch erklärt sie, sie wolle vorerst keine Minderheitsregierung bilden, sondern aus dem Landtag heraus Gesetzespläne mit SPD-Handschrift durchsetzen. Eine rot-grüne Minderheitsregierung sei aber im Herbst denkbar - etwa, um die schwarz-gelbe Bundesratsmehrheit zu brechen und strittige Projekte der Bundesregierung zu stoppen. Als Beispiele nannte sie die Verlängerung der Laufzeiten für Atomkraftwerke oder die Gesundheitsprämie. Die Ablehnung einer Minderheitsregierung sorgte aber zunehmend für Unmut.
Zuvor waren Sondierungsgesprächen mit den Linken, der CDU und zuletzt mit der FDP gescheitert.
Wirtschaft ist skeptisch
Aus der Wírtschaft kommen bereits kritische Stimmen. "Politische Instabilität ist schlicht schlecht für unternehmerische Entscheidungen", Klaus Engel, Chef des Chemie- und Energiekonzerns Evonik, gegenüber der WirtschaftsWoche. "Deshalb sehe ich eine rot-grüne Minderheitsregierung sehr skeptisch. Eine große Koalition wäre die bessere Lösung." Gerade die Wirtschaft, so der Evonik-Chef , sei in Nordrhein-Westfalen auf eine stabile Landesregierung angewiesen. Das gelte nicht nur für die Energiepolitik. Engel: "NRW ist das industrielle Kernland der Republik".
Eine ähnliche Situation wie heute in NRW gab es 2008 in Hessen. Damals wollte sich die SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti mit Unterstützung von Grünen und Linkspartei zu Regierungschefin wählen lassen. Kurz vor der Wahl verweigerten ihr aber vier Abgeordnete aus ihrer eigenen Partei die Unterstützung. Daher scheiterte die rot-grüne Regierung unter Tolerierung der Linkspartei. Bei der folgenden Neuwahl des Landtages erreichten CDU und FDP wieder eine eigene Mehrheit.