
Sigmar Gabriel hat heute seine letzte Regierungserklärung als Bundeswirtschaftsminister vor dem Bundestag abgegeben. Nach den traditionellen wirtschaftspolitischen Kategorien der vergangenen Jahrzehnte hätte es eine Bilanz der Zufriedenheit sein können. Die deutsche Wirtschaft wächst im Vergleich zu vergleichbaren Volkswirtschaften überdurchschnittlich, die Arbeitslosigkeit sinkt leicht. Im aktuellen Jahreswirtschaftsbericht sagt die Bundesregierung für 2017 einen Jobrekord voraus: 43,8 Millionen Erwerbstätige. Das Bruttoinlandsprodukt werde um 1,4 Prozent zulegen.
Dennoch war seine Rede keine große Siegesmeldung. Gabriel warnte stattdessen vor Selbstzufriedenheit und sagte, es falle ihm trotz der guten Bilanz schwer zu jubeln, wie es in einem Wahljahr normalerweise der Fall sei.
Bescheidenheit? Nein. Gabriel ist zu klug und – Kandidatur-Verzicht hin oder her – zu sehr Berufspolitiker, um wirklich bescheiden zu sein. Es ist einfach Realismus. Kein Politiker, der den Kontakt zum Puls der Zeit nicht völlig verloren hat, kann glauben, dass man die Bürger 2017 noch mit BIP-Wasserstandsmeldungen beeindrucken kann. Das wäre nicht glaubwürdig.





Gabriel hat die Stimmung in der Bevölkerung gut erfasst, wenn er auf zwei Gründe hinweist, die ihn vorm Jubeln bewahren. Erstens: dass diese volkswirtschaftliche Lage „nicht zwangsläufig so bleibt“. Und zweitens und vor allem, dass ein steigendes BIP nicht mehr unbedingt ein Grund zur Freude für alle Bürger sein muss. Letzteres hat sich mittlerweile auch in Berlins politisch-ministerieller Elite herumgesprochen. O-Ton Gabriel: „Und wir wissen ganz genau, dass nicht alle Menschen in Deutschland davon profitieren.“
Gabriel berichtet von einem Verwandten seiner Frau, der im Aluminiumwerk nur 1300 Euro netto verdiene. „Unanständig“ findet Gabriel solche Löhne und verspricht dem Wähler daher „inklusives Wachstum“. Inklusion – das ist so ein ursozialdemokratisches Wohlfühlwort: Alle gehören dazu, allen soll es besser gehen – wie Ivo Robic sang: „Keiner bleibt allein“. Das war 1973, also in der guten alten Zeit der deutschen Sozialdemokratie, als alle vom Wachstum profitierten und mit dem steigenden Bruttoinlandsprodukt die Schere zwischen Arm und Reich sich zu schließen schien.