Regierungskrise „Berliner Hickhack kann für EU-Reform dramatische Folgen haben“

Angela Merkel und Horst Seehofer. Quelle: AP

Der Ökonom Friedrich Heinemann warnt: Das politische Chaos in Berlin könnte dazu führen, dass Frankreich und die EU-Kommission die Deutschen bei der EU-Reform über den Tisch ziehen.

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WirtschaftsWoche: Herr Heinemann, der Asyl-Streit zwischen der Kanzlerin und Innenminister Horst Seehofer könnte die Koalition zum Einsturz bringen. Wäre ein Zerbrechen  dieser Regierung eine gute oder schlechte Nachricht für die Wirtschaft?
Friedrich Heinemann: Die deutsche Wirtschaft ist kurzfristig nicht davon abhängig, ob wir eine stabile Regierung haben. Unser Land profitiert von stabilen Standortbedingungen und einem zuverlässigen Rechtsrahmen. Platzt die Groko, würden wir im Grunde auf den Stand nach der Bundestagswahl zurückgeworfen. Und wir erinnern uns: In den langen Monaten der Regierungsbildung ist die deutsche Wirtschaft von einem Rekord zum anderen geeilt. Gleichwohl ist die aktuelle politische Krise ein verheerendes Beispiel dafür, wie die Politik falsche Schwerpunkte setzt. Wir haben massive Konflikte in der Eurozone. Es drohen falsche Weichenstellungen, die zu hohen Vermögensverlusten der Deutschen führen können. Das ist aktuell das zentrale Thema – und nicht die Frage, ob wir künftig ein paar Tausend Flüchtlinge im Jahr an der Grenze zurückweisen. Das ist ökonomisch gesehen eine Nicht-Thema.

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Konkret: Welche Folgen hat die aktuelle politische Unsicherheit auf die Wirtschaft?
Würde bei Neuwahlen eine populistische oder marktfeindliche Partei in die Regierung gespült, wäre dies ein elementares Problem für die wirtschaftliche Entwicklung. Wenn aber statt der Groko doch noch eine Jamaika-Koalition kommt oder eine Deutschland-Koalition aus Union, SPD und FDP – ganz ehrlich: Ich glaube, das wäre der Wirtschaft ziemlich wurscht. Das wären Partei-Konstellationen, die zum Teil unterschiedliche Akzente setzen, aber keine fundamentale Unsicherheit in der Wirtschaft bewirken würden. Allerdings will ich die politischen Probleme nicht kleinreden. An anderer Stelle, der EU-Reform, kann das Berliner Hickhack dramatische Folgen haben.

Welche?
Ich sehe die Gefahr, dass eine geschwächte deutsche Regierung in der wichtigen EU-Reformdebatte keine eigenen Akzente setzen kann und vielleicht sogar politisch überrollt wird von Frankreich und Brüssel. Wer mit Kämpfen nach innen beschäftigt ist, kann die Kämpfe nach außen nicht gut führen. Daher kann es sein, dass bei der EU-Reform am Ende für Deutschland sehr schlechte Verträge unterschrieben werden.

Nehmen wir mal an, alles wird gut, und die Parteien raufen sich zusammen. Welche Reformen muss die Regierung  bis zur nächsten Wahl angehen?
Deutschland ist im internationalen Vergleich inzwischen ein Land, das seine Unternehmen überdurchschnittlich hoch belastet. Wenn wir die Uhr bis 2020 weiterticken lassen, dürfte es sowohl in Großbritannien als auch in Frankreich eine Unternehmensteuerreform gegeben haben. Und dann wird Deutschland der Staat mit der höchsten Effektivsteuerbelastung von Unternehmen in der gesamten EU sein. Zudem sind wir ein Land mit einem hoch regulierten Arbeitsmarkt. Für die Resilienz, also die Widerstandskraft gegen externe Schocks, ist aber ein flexibler Arbeitsmarkt ganz entscheidend. Und ein dritter wichtiger Punkt: Beim E-Government und bei der Digitalisierung hinkt  Deutschland erstaunlich weit hinterher. Das sind neben der EU-Reform die wirklich wichtigen Punkte, um die sich die Politik jetzt kümmern müsste.

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