Reiche Länder, armer Bund Wie die Bundesländer Milliarden Euro aus Berlin abgreifen – ganz vorn: das reiche Bayern 

Geldsegen: Die Bundesländer halten gerne die Hand auf. Quelle: Getty Images

Mehr als 57 Milliarden Euro zahlt die Bundesregierung mittlerweile für Aufgaben, die eigentlich Länder und Gemeinden erfüllen müssen. In dem wachsenden Kuddelmuddel geht es längst nicht mehr um Bedürftigkeit.

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Deutschland ist ein föderaler Bundesstaat. Die Aufgaben von Bund und Ländern sind klar getrennt, ebenso Einnahmen und Ausgaben. Soweit die Theorie. In der Praxis übernimmt der Bund immer mehr Lasten und entwickelt sich zum Zahlmeister der Länder.

Doch es sind nicht nur arme, strukturschwache Länder, denen die Bundesregierung unter die Arme greift. Zu den Länderfürsten, die am meisten in den Honigtopf von zuletzt Olaf Scholz beziehungsweise nun Christian Lindner als Bundesfinanzminister greifen, zählt ausgerechnet Markus Söder aus dem wohlhabenden Bayern. Das geht aus einer internen Auflistung des Bundesfinanzministeriums hervor, die der WirtschaftsWoche vorliegt.

Das mehr als 100 Seiten starke Zahlenkonvolut trägt den einfachen Titel „Bundesstaatliche Finanzbeziehungen“ und ist als Hintergrundmaterial deklariert. Wer sich in die Statistiken hineinvertieft, stellt gleich auf den ersten Seiten fest, wie sehr sich die staatlichen Geldströme vom Bund zu den Ländern verschieben. Entfielen vom gesamten Steueraufkommen noch 1990 fast 50 Prozent auf den Bund und 47,5 Prozent auf die Länder, so bekommen die Länder nun mehr als 56 Prozent.

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Damit nicht genug: Der Bund verteilt an die Länder überdies viel Geld, 2021 dürften es gut 57 Milliarden Euro sein. Für soziale Leistungen – eigentlich eine originär subsidiäre Aufgabe der Kommunen und Länder – sah der Bund laut eigener Statistik dabei 19 Milliarden Euro vor: für Altersgrundsicherung, Kosten der Unterkunft, Unterhaltsvorschüsse und Ausbildungsförderung. Hinzu kommen gut neun Milliarden Euro für den öffentlichen Personennahverkehr, ebenfalls eine subsidiäre Aufgabe. Für ärmere Länder waren auch neun Milliarden Euro an „Ergänzungszuweisungen“ vorgesehen, weitere neun Milliarden an Kompensation aus der Kfz-Steuer, die früher einmal die Länder kassierten.

Sieben Milliarden Euro für Bayern

Es sind bei Weitem nicht allein die armen Bundesländer im Osten oder das strukturschwache Saarland oder Bremen oder das chronisch klamme Berlin, wohin der Bund viele Milliarden transferiert. Ganz vorne steht das reiche Bayern und hält die Hand auf. Die Einnahmen Bayerns aus dem Bundeshaushalt sind für das auslaufende Jahr laut BMF-Statistik auf gut sieben Milliarden Euro veranschlagt. Nur das bevölkerungsreichere NRW (18 Millionen Einwohner zu 13 Millionen in Bayern) kassiert noch mehr Bundesmittel mit über elf Milliarden Euro. Das andere Südland Baden-Württemberg kommt derweil mit seinen elf Millionen Einwohnern auf schätzungsweise fünf Milliarden Euro.

Dabei ist der Freistaat nach der Statistik des Bundesfinanzministeriums das Land mit der höchsten Finanzkraft, die bei 108 Prozent des Bundesschnitts liegt; Baden-Württemberg kommt auf 104 und NRW auf 100 Prozent. Trotzdem bekommt jeder Bayer rein statistisch aus Berlin pro Kopf immerhin 538 Euro, die benachbarten Baden-Württemberger nur je 455 Euro, während die NRWler 627 Euro kriegen. 

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Bayern profitiert offenkundig davon, dass die CSU viele Jahre lang in Berlin den Bundesverkehrsminister gestellt hat. Rund 1,6 Milliarden Euro fließen jährlich in den Freistaat für Bundesbauaufgaben, den Unterhalt von Bundesstraßen und für den öffentlichen Personennahverkehr. NRW kommt hier auf 1,7 Milliarden und damit nur geringfügig mehr, Baden-Württemberg dagegen lediglich auf gut eine Milliarde. Rheinland-Pfalz, die Heimat des neuen Bundesverkehrsministers Volker Wissing (FDP) hätte mit gut 600 Millionen Euro derweil noch Potenzial beim Abgreifen von Mitteln aus dem Bundesverkehrsetat.

In Zukunft dürfte der Bund noch viel mehr Geld den Ländern zukommen lassen, wenn es um die angekündigte ökodigitale Transformation Deutschlands geht. Dann hätte ausgerechnet Bayern schlechte Karten, weil der Freistaat nach vielen Jahren nun nicht mehr mit einem Minister in der Bundesregierung vertreten ist, wie die CSU übellaunig anmerkt.

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