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Die Abgeordneten sind nicht das Problem

Hauke Reimer
Hauke Reimer Stellvertretender Chefredakteur WirtschaftsWoche

Der Bundestag ringt um seine eigene Verkleinerung. Dieser Konflikt jedoch lenkt nur ab vom unkontrollierten Wuchern der Ministerialbürokratie.

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Sind 736 Abgeordnete zu viel für 84 Millionen Menschen? Nein – wenn sie nicht nur abnicken, was die Regierung ihnen vorsetzt. Wir brauchen kein kleineres, sondern ein selbstbewussteres Parlament. Eine Verkleinerung auf 598 Abgeordnete wäre nur zu dem Preis zu haben, dass nicht jeder, der sich im Wahlkreis die Mehrheit erkämpft hat, diesen vertreten darf. Das ist keine organisierte Wahlfälschung, wie die CSU tobt, aber doch schwer nachvollziehbar.

Die Debatte lenkt ab von einem gravierenderen Problem: der schnell wachsenden und immer mächtigeren Ministerialbürokratie. Anders als Abgeordnete wird die nie abgewählt. Das Kanzleramt spricht im schönsten Bürokratendeutsch vom „Aufwuchs“ seines „Personalkörpers“, der eine Verdopplung der Gebäudefläche nötig mache: Baubeginn im März, 400 neue Büros, für jetzt schon 777 Millionen Euro.

Ein Symbol staatlicher Selbstherrlichkeit, für einen Staat, der sich in immer mehr Bereiche einmischt – und der das Sparen verlernt hat. Der Blick in den Bundeshaushalt offenbart: Die Zahl der Beschäftigten in den Ministerien ist seit 2013 um 60 Prozent gestiegen, auf 35.000. Ganz oben geht’s los: Gut 25 Prozent mehr Mitarbeiter als 2013 sollen dem Bundespräsidenten Glanz verleihen. Dass das Wirtschaftsministerium jetzt 60 Prozent mehr Leute hat, mag einleuchten, nachdem Robert Habeck im Energiewendechaos kollektiven Burn-out heraufbeschwor. Das Gesundheitsministerium hat Corona genutzt und über 80 Prozent zugelegt, aber warum das Familienministerium? Und warum beschäftigen sich mehr als doppelt so viele Ministeriale wie 2013 mit Entwicklungshilfe?

Auffällig auch: Die Beamtenquote wächst, was die Pensionslasten treibt, gerade nach Ministerwechseln, wenn jeder seine Vertrauten installiert. Der „Aufwuchs“ fügt sich in den Trend: Die Zahl der Staatsbeschäftigten hat die fünf Millionen überschritten, ihre Verbände fordern 10,5 Prozent mehr Geld, was bei Müllwerkern und Krankenschwestern nachvollziehbar erscheint, aber nicht für jeden Schreibtischverwalter im Homeoffice.

Ja, der Staat hat mehr Aufgaben, aber weil er sie sucht, gerade in der Wirtschaft. Frei nach Parkinson streben Bürokraten nach immer mehr Untergebenen und laut Ökonom William Niskanen nach maximalem Budget. Das führt zur Ausweitung staatlicher Leistungen – bis zum Niskanen-Punkt, an dem der Staat alles liefert und regelt, was das Parlament gerade noch durchgehen lässt. Den Abgeordneten bleibt nichts anderes übrig, weil sie schlechter informiert sind als Bürokraten. Diese Asymmetrie wird ein kleinerer Bundestag nicht heilen.

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