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Das Bundes-Klimaschutzgesetz greift aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts zu kurz. Quelle: dpa

Die Richter und ihr Klima-Lockdown

Hauke Reimer
Hauke Reimer Stellvertretender Chefredakteur WirtschaftsWoche

Deutschland verschärft die CO2-Ziele. Ohne eine Verschärfung, hatte das Bundesverfassungsgericht gewarnt, drohten der nächsten Generation drastische Einschränkungen praktisch aller Freiheiten. Nach dieser Logik müssten auch Staatsverschuldung und inflationäre Geldschöpfung gestoppt werden.

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Das Klimaschutzurteil des Bundesverfassungsgerichts hat einen Überbietungswettlauf der Parteien in Gang gesetzt – mit wenig Rücksicht auf ökonomische Konsequenzen. Die Bundesregierung reagiert rekordschnell, mit schärferen CO2-Einsparplänen. Klimaschutz zieht bei Wählerinnen und Wählern, grundsätzlich. Persönlich, wenn es etwa um die horizonterweiternde Flugreise geht, vielleicht nicht ganz so stark – der Reiseboom wird es weisen. Die individuelle Belastung, das versprechen alle, werde sich schon in Grenzen halten – dank Heizkostenzuschuss von der SPD oder dem Tausender extra fürs Lastenrad von den Grünen.

Das Gericht sagt, um die Klimaziele zu erreichen, reiche es nicht, den Großteil der Lasten auf die Zeit nach 2030 zu verlegen. Dahinter steht der Gedanke, dass Einsparung am Anfang immer leicht fällt. Dreckschleudern sind schnell stillgelegt. Dann aber wird es immer teurer, eine Tonne CO2 einzusparen. Ökonomen sprechen vom abnehmenden Grenznutzen. Global müssten Investitionen deshalb auf Schwellenländer konzentriert werden. In China kann die Welt mit 1000 Euro viel mehr CO2 sparen als in Europa – ökonomische Rationalität, die kein Politiker begreift.

Über die Zeit kann das Gesetz des abnehmenden Grenznutzens ausgehebelt werden: durch technischen Fortschritt, der CO2-Vermeidung erleichtert. An den aber glauben die Richter nicht. Stattdessen drohen sie mit Klima-Lockdown: Von den nach 2030 zu erbringenden CO2-Einsparungen sei „praktisch jegliche Freiheit potenziell betroffen, weil noch nahezu alle Bereiche menschlichen Lebens mit der Emission von Treibhausgasen verbunden und damit nach 2030 von drastischen Einschränkungen bedroht sind“.

Die Juristen setzen auf den starken Staat und zeigen Skepsis gegenüber Wirtschaft und Technologie. Wer sich daran stört, den mag trösten, dass das Urteil auch für andere Felder gelten könnte, auf denen Lasten in die Zukunft verschoben werden. „Freiheitsrechte künftiger Generationen gelten nicht nur beim Klimaschutz“, so der Kölner Ökonom Norbert Tofall. Auch Staatsschulden für soziale Wohltaten heute und zur Finanzierung von Lockdown-Ausfällen werden kommende Generationen zu drastischen Einschränkungen zwingen, ebenso wie inflationierende Notenbankpolitik, die den Zins unten hält, um den wahren Preis der Staatsverschuldung zu verschleiern. Fridays for Future werden dagegen nicht vor Gericht ziehen, aber womöglich findet sich jemand anderes unter 30, der den „angemaßten Primat der Politik“ (Tofall) zurückdrängen will – und klagt.

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