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Quelle: dpa

Rette sich, wer kann: Die neuen Milliardenschulden der EU

Hauke Reimer
Hauke Reimer Stellvertretender Chefredakteur WirtschaftsWoche

Rette sich, wer kann: Die EU mischt den Anleihemarkt auf. Politik, Kommission und Großinvestoren jubeln. Doch die Rechnung kommt später.

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Schauen Sie bitte aus dem Fenster. Gern auch, wenn Sie im Urlaub sind, in Italien etwa. Was sehen Sie? Ruinen? Trümmerfelder? Schutthaufen? Sollten Sie zumindest nach dem Narrativ, das die EU verbreitet. Ihr geht es um den „Wiederaufbau“ Europas. Anfang Juni haben die Mitgliedstaaten die Wiederaufbauhilfen abgesegnet. 800 Milliarden Euro Schulden, zusätzlich zum billionenschweren Haushalt, nimmt die EU-Kommission bis 2026 auf. Das verstößt zwar gegen die Europäischen Verträge, wird aber hingenommen, für eine neue Wirtschaft: alles grün, total digital und resilient gegen Viruspanik und Konjunkturzyklen.

Vor allem aber: schön geplant, nicht dem Chaos der Märkte ausgeliefert, sondern ordentlich sortiert und verteilt, von umsichtigen Regierungen und ihren Ämtern. Alle freuen sich. Politiker, weil sie Geld verteilen können. Die Finanzindustrie, weil sich vor ihr ein neuer Markt auftut, in dem sie das Geld der Altersvorsorgesparer verdienstvoll unterbringen kann. Und die Kommission, weil sie noch mehr Aufgaben bekommt, und: Geld. Das wird sie „im Namen der EU auf den Finanzmärkten aufnehmen, da sie über eine höhere Bonität als viele Mitgliedstaaten verfügt“. Tatsächlich fragten Investoren am vergangenen Dienstag siebenmal so viel Anleihen nach, wie angeboten wurden. Kein Wunder, verlassen sie sich doch darauf, dass am Ende die potenteste Ökonomie Europas haften wird. Bei gleicher Sicherheit wie bei Bundesanleihen bekommen sie einen höheren Zins. „Die EU mischt den Anleihemarkt kräftig auf“, jubeln Fondsmanager.

Milliarden fließen in eine Phase der Hochkonjunktur hinein, in der die Inflationsgefahr zunimmt. Nebenbei wird die Kommission auch noch zur weltgrößten Emittentin grüner Anleihen. In dem guten Gefühl, etwas fürs Klima zu tun, und weil ihnen Staaten und Zentralbank keine Wahl lassen, nehmen Banken und Investoren auch die. Sollten sie sich verrechnet haben – macht nichts. Dann steht die EZB bereit, sie wird das Zeug schon kaufen.

Unklar ist nur, wer die Schulden zurückzahlt, was mit dem Geld gemacht wird – und wer diese gigantische Umverteilung überwacht. Ich muss oft an eine riesige, verlassene Betonmole in einem südlichen Inselort denken. Deren Sinn hatte sich mir nie erschlossen – bis ich ein blaues Schildchen mit zwölf gelben Sternen entdeckte: Errichtet mit Mitteln der EU. Da sollen bald Kreuzfahrer anlanden. Das klimamäßig zu transformieren wird herausfordernd. Aber sie werden es hinbiegen – Geld ist ja vorhanden.

Mehr zum Thema: China, das FBI und Tesla-Gründer Elon Musk drücken den Kurs des Kryptogelds. Gut so. Das härtet ab – und hilft beim Erwachsenwerden.

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