Reiner Priggen „Alles ist viel zu umständlich und vieles wird blockiert“

Grüne: Wer gestaltet, muss Kompromisse machen. Der Kompromiss bei der Braunkohle ist sehr gut. Quelle: imago images

Am Wochenende treffen sich die Grünen zum Bundesparteitag. Klimaschützer stören sich an zu viel Regierungspragmatismus in Berlin und auch in Nordrhein-Westfalen. Reiner Priggen, der grüne Doyen in NRW, hält dagegen.

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WirtschaftsWoche: Herr Priggen, der grüne Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat einige bei Grünen und Klimaschutzgruppen unpopulären Entscheidungen getroffen: Atomkraftwerke sollen länger laufen, in NRW wird kurzfristig mehr Braunkohle gefördert und verstromt. Was halten Sie davon?
Reiner Priggen: Wer gestaltet, muss Kompromisse machen. Der Kompromiss bei der Braunkohle ist sehr gut. Das Dorf Lützerath mitten im Abbaugebiet war nach allen Gutachten nicht mehr zu halten. Dafür haben nun einige andere Orte und Familien Sicherheit. Die Landesminister Mona Neubaur und Oliver Krischer haben das erreicht, womit wir Grünen hier im Landtagswahlkampf 2022 antraten. Wir wollten 2030 raus aus der Braunkohle statt erst 2038. Das haben wir nun sogar im Konsens mit dem Unternehmen RWE umgesetzt. Wer hätte sich das vor wenigen Jahren vorstellen können: Nordrhein-Westfalen ist bald ohne Kohle.

Trotzdem: Deutschland verfeuert mehr statt weniger Kohle, Atomkraftwerke werden weiter gebraucht, autokratische Regime wegen Energielieferungen hofiert. Haben die Grünen das Ziel verraten, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen?
Viele, die in Lützerath und anderswo protestieren, wollten den Ort als Sperrriegel gegen den Kohleabbau erhalten. Dann kann man aber technisch kaum noch Kohle abbauen, die benötigt wird. Wer das Symbol Lützerath verteidigen will, verlangt unausgesprochen den Kohleausstieg schon 2025. Das ist nicht zu schaffen. Der Krieg in der Ukraine hat uns zudem eine ernste Energiekrise beschert.

Stehen die Grünen noch für das Ziel 1,5 Grad Celsius oder haben die Klimaschützerinnen recht?
Über die Grenze von höchstens 1,5 Grad wird nicht in Lützerath entschieden, dazu gehören unzählige Entscheidungen: Wir müssen raus aus der Kohle, wir müssen viel mehr in die erneuerbaren Energien investieren. Ich halte die jüngsten Entscheidungen mit grüner Beteiligung für gut. Wir haben 40 Jahre gegen die Atomkraft Widerstand geleistet und deren Ende erreicht. Was macht da ein halbes Jahr längere Laufzeit aus? Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine müssen wir auch für eine Zeit anders mit der Kohle umgehen. Entscheidend aber ist, dass wir endlich schneller werden beim Ausbau von Windkraft und Solaranlagen.

Reiner Priggen Quelle: imago images

Zur Person

Sie arbeiten seit knapp 40 Jahren an dieser Energiewende und klingen trotz allem optimistisch. Warum unterscheidet sich ihre Sicht so von der junger Klimaaktivisten?
Ich kann verstehen, dass viele junge Leute voller Verzweiflung sind, dass für den Klimaschutz zu wenig geschieht. Ihr Druck hat aber schon viel bewirkt und er muss erhalten bleiben. Wir müssen runter von der Bremse beim Umbau der Energieversorgung. Es fehlt nicht am Geld und nicht am Willen. Es fehlen die Genehmigungen, alles ist viel zu umständlich und vieles wird blockiert.

Haben Sie Bedenken, dass sich nun viele von den Grünen abwenden, die für Klimaschutz kämpfen?
Beim Grünen-Bundesparteitag gibt es sicher Demonstrationen und Kritik. Das gehört dazu. Während des Kosovokrieges gab es auch harte Auseinandersetzungen. Damals gab es Situationen, in denen manche drohten: „Ich habe dich immer gewählt, aber werde das nie wieder tun.“ Ich sehe weniger die Gefahr, dass Menschen zu anderen Parteien wechseln, als dass einzelne sich ganz aus der Politik verabschieden.

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In einigen Regionen haben es Klimalisten als Alternative zu den Grünen in die Parlamente geschafft. Wird das zunehmen?
Das ist Demokratie. Ich habe die Leute von den Klimalisten als engagiert und sachkundig kennengelernt. Es ist eben ein sehr enges Thema, um allein damit eine Partei zu bestreiten.

Lesen Sie auch: Für knapp sieben Milliarden Euro kauft der Energieriese RWE einen US-Spezialisten für erneuerbare Energien. Kritiker fürchten, dass seine Pläne in Deutschland darunter leiden werden.

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