Rekord-Zuwanderung Deutschland, ein Einwanderungsland

2.137.000 Zuwanderer kamen 2015 nach Deutschland – so viele wie nie. Darunter sind viele Flüchtlinge, aber auch Migranten aus dem EU-Ausland. Doch auch die Zahl der Auswanderer steigt auf einen Rekord – eine Analyse.

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Die Zuwanderung in Deutschland hat auch wegen der Flüchtlingskrise einen Rekord erreicht. Quelle: dpa

Berlin Lange galt in der Politik das Credo: Deutschland ist kein Einwanderungsland. Damit ist es seit ein paar Jahren definitiv vorbei. 2015 verzeichnete die Bundesrepublik den höchsten Wanderungsüberschuss ihrer Geschichte, wie das Statistische Bundesamt ermittelt hat. 2.137.000 Zuwanderer – zu einem großen Teil Flüchtlinge – standen 998.000 Auswanderern gegenüber.

Unter dem Strich wuchs die Bevölkerung damit um 1.139.000 Personen – ein neuer Rekord. Der bisherige Höchststand des Wanderungsüberschusses datiert aus dem Jahr 1992, als gut 782.000 Personen mehr ein- als auswanderten. Die Zahl der Auswanderer stieg auch auf einen Rekord: 998.000 Menschen kehrten Deutschland den Rücken, neun Prozent mehr als im Jahr zuvor.

Das Handelsblatt beantwortet die sieben wichtigsten Fragen zu den neuen Migrationsdaten.

Aus welchen Ländern und Regionen kamen die meisten Zuwanderer?

Von den 2.137.000 Zuwanderern hatten 94 Prozent einen ausländischen Pass; die Zahl der Zuwanderer aus dem Ausland ist gegenüber dem Vorjahr um 50 Prozent gestiegen. Rund 45 Prozent der Zugewanderten kamen aus einem EU-Land, 13 Prozent aus einem anderen europäischen Staat, 30 Prozent aus Asien und fünf Prozent aus Afrika.

Allerdings verschieben sich die Gewichte, wenn man nicht die Zuwanderung allein, sondern den Saldo betrachtet. Denn der hohen Zahl von Zuzügen aus der EU steht auch eine hohe Zahl von Abgewanderten aus den Ländern gegenüber. Den höchsten Anteil am Wanderungsüberschuss hatten mit 47 Prozent Bürger asiatischer Länder, gefolgt von EU-Bürgern mit 27 Prozent, anderen Europäern mit elf Prozent und Afrikanern mit sieben Prozent. Aus den EU-Ländern gab es die höchsten Wanderungsüberschüsse mit Rumänien (92.346), Polen (63.045), Kroatien (39.659) und Bulgarien (39.520).

Welche Rolle spielt die Flüchtlingsmigration?

Sie ist der Hauptgrund für den hohen Wanderungsüberschuss bei der ausländischen Bevölkerung. Die Statistiker zählten im vergangenen Jahr 309.699 Zuzüge von Syrern, 84.881 aus Afghanistan, 64.825 aus dem Irak und 17.796 aus Eritrea. Allein die Flüchtlinge aus diesen Asyl-Hauptherkunftsländern stehen damit für fast ein Viertel der im vergangenen Jahr zugewanderten Ausländer.

Das Statistische Bundesamt weist allerdings darauf hin, dass seine Zahlen auf den Registern der zuständigen Meldebehörden beruhen. Es sei aber davon auszugehen, dass nicht alle Schutzsuchenden tatsächlich zeitnah registriert wurden, so dass die Rolle der Flüchtlinge in der Wanderungsbilanz möglicherweise noch leicht unterzeichnet ist.

Welche Ausländer verlassen Deutschland wieder?

Vor allem viele EU-Bürger kommen offensichtlich nur auf Zeit nach Deutschland. 864.983 Zugezogenen aus dem EU-Ausland standen im vergangenen Jahr 523.565 Abgewanderte gegenüber. Nennenswerte negative Wanderungssalden waren im vergangenen Jahr nur bei Bürgern aus zwei Regionen zu verzeichnen. Aus Serbien und Montenegro wanderten 594 Personen mehr ab als zu, bei Bürgern aus der Türkei steht unter dem Strich ein Minus von 287.


Wohin es auswandernde Deutsche zieht

Wohin zieht es auswandernde Deutsche?

Rund 138.000 Deutsche verließen im vergangenen Jahr ihre Heimat. Vier von zehn davon zog es dabei ins EU-Ausland. Mit Abstand beliebtestes Zielland für deutsche Auswanderer war im vergangenen Jahr die Schweiz, gefolgt von den Vereinigten Staaten und Österreich. Bei den beliebtesten EU-Zielländern rangiert Großbritannien hinter Österreich auf Rang zwei.

Wie verteilen sich die Zuwanderer innerhalb Deutschlands?

Migration ist innerhalb Deutschlands sehr ungleich verteilt. Knapp drei Viertel der Zuwanderung entfielen auf nur fünf Bundesländer. Den höchsten Wanderungsüberschuss verzeichnete Nordrhein-Westfalen (277.000 Personen), gefolgt von Baden-Württemberg (173.000), Bayern (169.000) Niedersachsen (115.000) und Hessen (95.000). Die meisten Wegzüge von Deutschen registrierten die Statistiker in Bayern (30.537), gefolgt von Nordrhein-Westfalen (25.098) und Baden-Württemberg (24.136).

Wie schlägt sich die Zuwanderung auf dem Arbeitsmarkt nieder?

Darüber sagen die jetzt veröffentlichten Zahlen des Statistischen Bundesamtes nichts aus. Anhaltspunkte gibt aber der aktuellste „Zuwanderungsmonitor“ des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), das zur Bundesagentur für Arbeit (BA) gehört. Demnach lag die Beschäftigungsquote der ausländischen Bevölkerung im April bei 45,5 Prozent – 1,3 Prozentpunkte niedriger als im Vorjahresmonat.

Der Rückgang sei vor allem auf den Zuwachs der ausländischen Bevölkerung durch den Zuzug von Flüchtlingen zurückzuführen, schreibt das IAB. Die Beschäftigungsquote von in Deutschland lebenden EU-Bürgern lag im April mit 54,3 Prozent deutlich höher – aber weit unter der Quote in Deutschland insgesamt (65,4 Prozent).

Wie zeigt sich die Zuwanderung im Sozialsystem?

Hier zeigen sich die Auswirkungen des Flüchtlingszuzugs inzwischen deutlich. Laut Bundesagentur für Arbeit waren im Juni 149.000 Menschen aus nichteuropäischen Asylherkunftsländern arbeitslos gemeldet – doppelt so viele wie im Vorjahr. Auf die Arbeitslosenquote von Ausländern insgesamt schlägt die Entwicklung bisher aber kaum durch. Sie lag im April mit 15,3 Prozent etwa auf dem Niveau des Vorjahres, aber klar über der Quote für Deutsche (6,3 Prozent).

Stark gestiegen ist die Zahl der Hilfebedürftigen. 280.000 erwerbsfähige Flüchtlinge bezogen im März Hartz IV, 71 Prozent mehr als im Vorjahr. Während die Zahl der deutschen Empfänger binnen Jahresfrist um fünf Prozent gesunken ist, stieg sie bei der ausländischen Bevölkerung insgesamt um neun Prozent.

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