Rekordpuls bei Renten Skepsis statt Freudentaumel

Das größte Rentenplus seit Jahrzehnten lässt nicht alle jubeln. Trotzdem hat sich der Rentenalarm in der Koalition vorerst wieder gelegt. An guten Nachrichten für künftige Rentner fehlt es aber weiterhin.

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Auch Nahles bestreitet nicht, dass ein Rekordplus wie in diesem Jahr künftig kaum noch erreicht wird Quelle: dpa

Berlin Die Rentenministerin strahlt. „Ich freu' mich, dass wir die Renten so anpassen können“, sagt Andrea Nahles am Tag vor der größten Rentenerhöhung seit 23 Jahren. Doch die SPD-Politikerin hat noch einen anderen Grund zur Zufriedenheit. Erfolgreich hat Nahles die Alphatiere der Koalition ausgebremst. SPD-Chef Sigmar Gabriel und CSU-Chef Horst Seehofer waren im Frühjahr mit Forderungen nach einer großen Rentenreform und einem höheren Rentenniveau vorgeprescht. Mittlerweile gilt der Nahles-Plan: Erst rechnen, dann reformieren – und keine großen Hoffnungen auf eine Kehrtwende beim Rentenniveau schüren.

Dabei bestreitet auch Nahles nicht, dass ein Rekordplus wie in diesem Jahr künftig kaum noch erreicht wird. „Wir werden auch wieder Jahre haben, wo es weniger stark ausgeprägt ist.“ 4,25 Prozent mehr gibt es zum 1. Juli im Westen, sogar 5,95 Prozent mehr im Osten. Die Rekordbeschäftigung und die hohen Einnahmen der Rentenkasse sind die Hauptgründe. Zudem wirkt einmalig ein Statistik-Effekt: Eine zuletzt niedrigere Berechnung des Lohnniveaus wird wieder ausgeglichen.

Alexander Gunkel wartet sogar mit einer Rekordmessung auf. Der Arbeitgebervertreter im Vorstand der Rentenversicherung rechnet vor: „Der zu erwartende preisbereinigte Anstieg der Westrenten von über drei Prozent ist die höchste reale Rentenerhöhung seit 1977.“ Sprich: Die Fast-Null-Inflation dazugerechnet - die Preise steigen 2016 nur um 0,5 Prozent - gibt es ein Plus wie seit 39 Jahren nicht.

Viele Rentner heute macht das aber nicht glücklich. Laut einer Umfrage rechnen 48 Prozent von ihnen nicht mit großen finanziellen Auswirkungen durch die Erhöhung. Je kleiner die Rente, desto weniger macht das Plus auch aus. Rund 536.000 Menschen erhalten Grundsicherung im Alter. Mehr als 18 Prozent aller Neurentner gingen zuletzt zudem aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig in Rente. Im Schnitt lagen die Erwerbsminderungsrenten bei 628 Euro. Viele kommen aus schlecht bezahlten Berufen, vom Bau oder aus der Pflege. Und für jeden Monat vor der Altersgrenze beträgt der Abschlag 0,3 Prozent.

Auch der Fiskus will Geld. Die meisten der rund 20 Millionen Rentner geben keine Steuererklärung ab. Doch die Zahl der steuerpflichtigen Rentner steigt – auf voraussichtlich 4,4 Millionen im kommenden Jahr. Der steuerpflichtige Teil der Rente wächst von 50 Prozent 2005 für Neurentner bis auf 100 Prozent im Jahr 2040 - 2016: 72 Prozent. Nur noch 28 Prozent der ersten vollen Bruttojahresrente sind steuerfrei. Der Steuergrundfreibetrag beträgt 8652 Euro im Jahr. Teurer kommt viele Rentner noch der Abzug für Kranken- und Pflegekasse.

Vor allem aber fehlt es an guten Nachrichten für künftige Rentner. Drei von vier Berufstätigen erwarten, zukünftigen Rentnern gehe es schlechter. Zwar steigt die Rente auch weiter – bis 2029 laut Prognose um im Schnitt rund 2 Prozent pro Jahr. Doch das Verhältnis der Rente zum Einkommen wird immer ungünstiger: Das Rentenniveau dürfte von knapp 48 Prozent in 14 Jahren auf 44,2 fallen.

An dieser Entwicklung entzündete sich der jüngste Rentenalarm von Gabriel, Seehofer und Co.. Doch wer soll es bezahlen, wenn das Rentenniveau vor dem Fall bewahrt werden soll? Der Präsident der Rentenversicherung, Axel Reimann, rechnet vor: „Ein um einen Prozentpunkt höheres Rentenniveau bedingt eine Erhöhung des Beitragssatzes um einen halben Prozentpunkt.“ Der DGB fordert Steuermilliarden für die Mütterrente und früher höhere Beiträge.

Doch schnell wird jetzt nicht entschieden. Nahles freut sich auch deshalb über die Rentenerhöhung, weil sie Zeit schafft: „Wir haben Luft und Atem, um zu gucken, wie es danach weitergeht.“ Erstmal will sie eine „unstreitige Datengrundlage“ - auch mit einem Rentendialog mit Experten und Sozialpartnern ab Freitag kommender Woche. „Mein Ziel bleibt, im Herbst ein Gesamtkonzept anzubieten, das auch durchgerechnet ist.“ Nicht geplant: ein Kurswechsel, bei dem die gesetzliche Rente alle Schwächen der Privatvorsorge auffängt. Nahles macht das mit einem Wort klar: Ein „Gesamtsicherungsniveau“ solle den Lebensstandard sichern - also inklusive privater und Betriebsrente.

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