Renate Künast Grüne blasen zum Kampf gegen Algorithmen

Die Koalitionspläne zum Umgang mit Algorithmen sind vage. Die Opposition ist da weiter. Was sich ändern muss, skizziert Verbraucherpolitikerin Künast.

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Facebook und Co.: Grüne blasen zum Kampf gegen Algorithmen Quelle: Reuters

Berlin Wie vorgehen gegen die mächtigen Tech-Konzerne? Für die Große Koalition ist die Sache klar: Ohne Regulierung geht es nicht. Schon wegen des Datenskandals bei Facebook gilt der Handlungsbedarf als unbestritten. Wie jedoch ein konkreter Ordnungsrahmen aussehen könnte, darüber herrscht großes Rätselraten.

Dem Koalitionsvertrag sind nur vage Andeutungen zu entnehmen. Von einer zeitnah einzusetzenden „Daten-Ethikkommission“ ist dort die Rede, die innerhalb eines Jahres einen „Entwicklungsrahmen“ vorschlagen solle: für Datenpolitik, den Umgang mit Algorithmen, künstlicher Intelligenz und digitalen Innovationen.

Erkannt wurde immerhin, dass Verbraucher bei Entscheidungen, Dienstleistungen und Produkten, die auf Algorithmen und künstlicher Intelligenz (KI) basieren, einen besonderen Schutz bekommen sollen. Konkret wollen Union und SPD möglichen unzulässigen Diskriminierungen, Benachteiligungen und Betrügereien einen Riegel vorschieben. Wie genau, dazu liefert der Koalitionsvertrag keine Hinweise.

Die Grünen haben indes detaillierte Vorstellungen, wie der Kampf gegen Algorithmen geführt werden kann. Nicht etwa, weil die unzähligen Datensammlungen, die inzwischen im Umlauf sind und teilweise für geschäftliche Zwecke genutzt werden, per se etwas Schlechtes wären. „Nein, Algorithmen sind keine Feindbilder, aber sie könnten erarbeitete Rechte aushebeln“, gibt die grüne Verbraucherpolitikerin Renate Künast zu bedenken.

„Wir befinden uns im Spannungsfeld von Verbraucherschutz, Datenschutz und Innovationsförderung. Dafür müssen wir Spielregeln und Leitplanken aufzeigen, für Unternehmen, Versicherungen, Haftung und für den Datenschutz“, schreibt die Bundestagsabgeordnete in einem Beitrag für das Fraunhofer-Institut für Offene Kommunikationssysteme. Der Text, der im Juni in dem Sammelband „(Un)Berechenbar? Algorithmen und Automatisierung in Staat und Gesellschaft“ veröffentlicht werden soll, liegt dem Handelsblatt vorab vor.

Dass die Politik am Zug ist und eine schärfere Kontrolle der von Internetunternehmen verwendeten Algorithmen angesagt sein kann, hatte auch schon der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages im vergangenen Jahr in einem Gutachten geschrieben.

Die Verwendung eines Algorithmus durch Dienste-Anbieter ist dabei gar nicht das vordringliche Problem, sondern dessen inhaltliche Ausgestaltung. Von Belang ist etwa, welche Faktoren das Ergebnis einer Suchanfrage bei Google beeinflussen. Oder auch die Frage, wie sich Falschmeldungen, Hasskommentare oder „Filterblasen“ auf demokratische Entscheidungen auswirken. Und ob der Nutzer einen Anspruch darauf hat zu erfahren, nach welchen Kriterien sein personalisierter „Newsfeed“ und Werbeanzeigen ausgewählt werden.

Für die Parlamentsjuristen lässt sich der Handlungsbedarf schon mit der „herausragenden Relevanz“ derartiger Plattformen begründen. Suchmaschinen stellten für den Internetnutzer die zentralen Zugangsvermittler von Web-Inhalten dar, während der Newsfeed sozialer Netzwerke für viele Nutzer eine der wichtigsten Quellen zur kulturellen und politischen Meinungsbildung sei. „Das Beeinflussungs- und Missbrauchspotential ist bei den dort verwendeten Algorithmen dementsprechend am größten, woraus sich auch das große Transparenzsinteresse der Internetnutzer in diesem Bereich ergibt“, heißt es in der Expertise.

Nicht nur Suchmaschinen wären von einer Regulierung betroffen. Laut Künast geht es um eine „milliardenschwere Industrie“. Vor Jahren sei es um Öl gegangen, heute gehe es um Konzerne wie Amazon, Apple, Alibaba oder die Google-Mutter Alphabet. „Darum ist eine Selbstregulierung der Industrie lediglich als Ergänzung zu rechtlichen Rahmenbedingungen und unabhängiger Überprüfung sinnvoll“, ist die Grünen-Politikerin überzeugt. Sonst bestehe die „reale Gefahr der Unverbindlichkeit und Unkontrollierbarkeit“.

Auch Künast plädiert für eine Expertenkommission. Diese solle bis Anfang 2019 konkrete Vorschläge für Transparenzregeln, Aufsichts- und Kontrollstrukturen zur Überprüfbarkeit von algorithmischen Entscheidungssystemen entwickeln. „Klar ist bereits jetzt, dass Regulierungsbedarf besteht und es in dieser Legislaturperiode darum geht, passende Maßnahmenbündel zu konkretisieren und umzusetzen“, so Künast.

Als Richtschnur muss aus Sicht Künasts dabei gelten, dass sich die Rechte von Kunden mit der Technologie weiterentwickeln müssten. Das Vertrags- und Deliktsrecht werde also auf Haftungslücken überprüft werden müssen. „Unternehmen jaulen stets bei Haftungsfragen auf, aber es ist das gute Recht des Verbrauchers, dass das Recht mitwächst“, betonte die Grünen-Politikerin.

Soll heißen: Auf Unternehmen kommen, geht es nach den Grünen, neue Pflichten zu, weil etwa die „Schadensverursachung“, wie Künast erklärt, noch komplexer werde, wenn Algorithmen im Spiel seien. Sie schlägt deshalb eine „Beweislasterleichterung“ vor: Anbieter sollten demnach den „Beweis der Nichtverursachung“ liefern müssen. In besonders sensiblen Bereichen, wie bei medizinischen Anwendungen, könne zudem eine „Gefährdungshaftung und eine Versicherungspflicht“ eingeführt werden.

Kritisch sieht Künast auch, dass Verbraucher heute keinerlei Anfechtungsmöglichkeit hätten, wenn eine sie betreffende Entscheidung mithilfe eines Algorithmus getroffen wurde. Um den Schutz vor Diskriminierung und sonstigen Persönlichkeitsverletzungen zu verbessern, schlägt die Grünen-Politikerin deshalb „spezialisierte Schiedsstellen und ein erweitertes Verbandsklagerecht“ vor.

Außerdem fordert Künast eine „starke Antidiskriminierungsstelle“ des Bundes. „Denn Diskriminierung von Menschen im Alltag aufgrund bestimmter Merkmale ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, welches wir nicht hinnehmen dürfen – ob automatisiert und digital oder analog.“

Nationale Regelungen haben jedoch einen Haken, wie Künast einräumt. Algorithmen-basierte Angebote seien global. Deutsche Regelungen sieht sie deshalb nur als Übergang. Außerdem verwies sie auf die ab 25. Mai geltenden EU-rechtlichen Vorgaben der Datenschutzgrundverordnung. Diese greifen auch bei der Nutzung von Algorithmen, soweit diese mit personenbezogenen Daten arbeiten.

Nachteile für die Wirtschaft sieht Künast nicht. Im Gegenteil, Rechtssicherheit biete die nötige Planungssicherheit für Unternehmen wie Verbraucher. Wichtig sei, so die Grünen-Politikerin, Digitalisierung so zu gestalten, dass alle profitierten. Technik sei eben nicht neutral und Algorithmen seien menschengemacht, betonte sie. Nötig seien daher Normen nach ethischen Prinzipien. „Wenn wir hier keine Regeln setzen, weichen wir sie am Ende auch noch in der analogen Welt auf.“

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