Renate Künast „Ich habe horrende Zustände gesehen“

Mit einem Textilbündnis wollte die Bundesregierung bessere Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie durchsetzen. Der Plan ging nicht auf, sagt Renate Künast. Die Grünen-Politikerin Künast sieht nun die EU am Zug.

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„Da kann man schon an der Globalisierung verzweifeln.“ Quelle: dapd

Berlin Nachhaltig produzierte Mode ist längst kein Nischenprodukt mehr. Auf der diesjährigen Fashion Week in Berlin sind 180 Öko-Firmen vertreten, vor fünf Jahren waren es erst 36 Labels. Allerdings liegt bei den Bedingungen, unter denen die Produkte entstehen, immer noch vieles im Argen, kritisiert Renate Künast. Die Vorsitzende des Verbraucherausschusses im Bundestag, fordert daher europäische Vorgaben für die gesamte Produktions- und Lieferkette der Textilunternehmen.

Frau Künast, Sie haben sich selbst schon Produktionsstätten in China, Bangladesch und Myanmar angesehen, in denen Kleidung hergestellt wird, die nach Europa exportiert wird. Welche Situation trafen Sie vor?

Ich habe horrende Zustände gesehen. Man merkt schon, dass der globale Wanderzirkus der Textilindustrie sich ganz offenkundig gezielt Produktionsorte gesucht hat, in denen es ganz wenige Regeln gibt und die Löhne extrem niedrig sind. Zwar wird immerhin schon versucht, gewisse Standards zu etablieren. Das erreicht aber längst nicht das in Europa für die Zukunft erwartete Niveau. Unter solchen Umständen würden wir bei uns jedenfalls niemanden arbeiten lassen. Man kann da schon an der Globalisierung verzweifeln.

Nach dem Einsturz der Fabrik Rana Plaza in Bangladesch vor vier Jahren war die Erwartung groß, dass Modeketten und Modemarken künftig verstärkt darauf achten, wer ihre Textilien produziert und unter welchen Bedingungen. Würden Sie sagen, die Unternehmen haben verstanden, dass sich etwas ändern muss?

Es ist in ihren Ohren angekommen, richtig verstanden haben sie aber noch nicht, dass sich Grundlegendes ändern muss. Der Fortschritt ist an dieser Stelle eine Schnecke. Da erwarte ich deutlich mehr von den Unternehmen.

Immerhin wurde ja gerade erst der Vertrag über die Sanierung der Textilfabriken in Bangladesch, der sogenannte Bangladesch Accord, über das Jahr 2018 hinaus verlängert.

Das ist ein Fortschritt – auch für die europäische Seite. Es hat sich ausgezahlt, dass die EU als größter Handelspartner Bangladeschs Druck gemacht hat bei der Durchsetzung besserer Arbeitsbedingungen. Allerdings wissen wir gar nicht, was aus dem Textilabkommen bereits umgesetzt ist. Es sind deshalb allenfalls Schritte in die richtige Richtung.

Sehen Sie über den neuen Accord hinaus Handlungsbedarf?

Wir brauchen konkrete Fahrpläne, bis wann was zu passieren hat. Wie das gehen kann, macht Greenpeace vor. Viele Unternehmen in Deutschland haben mit Greenpeace ein Abkommen unterzeichnet, um bis 2020 zusätzlich elf giftige Chemikalien aus dem Fertigungsprozess zu nehmen. Das war ein Greenpeace-Erfolg.

Und Bundesentwicklungsminister Gerd Müller hat vor drei Jahren schon ein Textilbündnis für bessere Umwelt- und Sozialstandards gegründet.

Stimmt. Das hat er vor allem immer selbst gelobt. Und jetzt ist er plötzlich unzufrieden damit und droht mit einem gesetzlichen Rahmen, um im Zweifel mit Sanktionen gegen Unternehmen vorgehen zu können, wenn sie in ihren ausländischen Fabriken und bei Zuliefererbetrieben nicht für faire Arbeitsbedingungen sorgen. Wie kurios.

Warum kurios?

Weil er die Bedingungen für das Bündnis ja von Anfang besser hätte formulieren können. Die Roadmaps, die in dem Bündnis vereinbart wurden, sind wenig ehrgeizig. Es ist nichts vorgegeben. Jedes Unternehmen darf sich eigene Ziele setzen. Deshalb sollten wird das Bündnis vom Kopf auf die Füße stellen und den Unternehmen klare Vorgaben machen, verbunden mit der Ansage, bis wann sie das umzusetzen haben.

Und das reicht?

Nein. Wir brauchen für die Verbraucher im Hinblick auf soziale und ökologische Kriterien mehr Transparenz für den Bereich der Textilien. Deutschland sollte sich auf EU-Ebene für eine Transparenz-Richtlinie einsetzen, damit Missstände sichtbar und Veränderungen messbar werden. Solche Transparenzpflichten sollten für die gesamte Produktions- und Lieferkette der Textilunternehmen gelten und konkrete Sorgfaltspflichten regeln. Das kann am Ende sogar für die Unternehmen selbst von Vorteil sein, wenn sie sich im Wettbewerb mit anderen Unternehmen als besonders verantwortungsbewusst behaupten können.


„Berlin ist der Hotspot für nachhaltige und zukunftsfähige Mode“

Dann sehen Sie also nun die Bundesregierung am Zug.

Ja, die Initiative muss aus den Mitgliedstaaten kommen. Deshalb ist jetzt die Bundesregierung am Zug, eine Transparenz-Richtlinie einzufordern. Dafür muss man natürlich andere Mitgliedsstaaten gewinnen. Das wird nicht von heute auf morgen gelingen. Aber sobald der Weg beschritten wird, wissen auch alle Unternehmen, dass sie ihre freiwillig gesetzten Ziele nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag schieben können.

Was wäre denn mit einer solchen Richtlinie anders? Es gibt ja bereits diverse Vereinbarungen.

Die meisten Vereinbarungen formulieren wohlklingende Ziele, sind aber für die Unternehmen freiwillig. Eine EU-Richtlinie müsste von Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt werden und wäre dann verpflichtend. Europäische und auf dem europäischen Markt agierende Textilunternehmen müssten dann etwa dafür Sorge tragen, dass sie nur Verträge abschließen mit denen, die international anerkannte Menschenrechtsabkommen, die ILO-Arbeitsnormen oder internationale Umweltabkommen  in der gesamten Produktions- und  Lieferkette einhalten.

Ich glaube, dass wir mit einer solchen Richtlinie einen großen Veränderungsprozess in Gang setzen können. Nicht nur bei den Unternehmen, sondern auch in den Ländern, in denen produziert wird. Wenn sie feststellen, dass der Exportmarkt Europa verbindliche Sorgfaltspflichten und Mindeststandards verlangt, dann wird dort auch ein Umdenken einsetzen.

Wer sind denn die schwarzen Schafe der Branche und wer agiert vorbildlich?

Von einzelnen schwarzen Schafen würde ich nicht sprechen, denn das ganze System ist falsch. H&M, Aldi oder Lidl mühen sich zwar schon an verschiedenen Stellen. Aber solange es keinen gesetzlich vorgeschriebenen Standard gibt, wissen wir, dass das Bemühen nicht ausreichend ist. Am Textilbündnis von Minister Müller nimmt auch Kik teil. Und die haben sich mit ihrer Roadmap vorgenommen, Unternehmer vor Ort schulen zu wollen. Das zeigt, hier kommt offenbar etwas in Bewegung, was vor Jahren noch undenkbar war. Jedoch kommt von so einer Schulung bei den Arbeiterinnen erst mal nichts an.

Verantwortung haben ja nicht nur die Unternehmen, sondern auch die Verbraucher, die Kleidung kaufen. Wie hat sich nach ihrer Einschätzung das Kaufverhalten der Leute in den vergangenen Jahren verändert?

Das Bewusstsein hat sich gewandelt. Das merken auch die Firmen auf der Fashion Week in Berlin. Der Bereich Eco-Fashion, Öko-Mode, wächst. Diesmal haben sich 180 Aussteller angekündigt, im vergangenen Jahr waren es noch 166. Mein Eindruck ist auch: Berlin ist in Deutschland der Hotspot für nachhaltige und zukunftsfähige Mode.

Fairer und freier Handel weltweit ist auch ein Thema der deutschen G20-Präsidentschaft. Es geht dabei etwa um nachhaltige globale Lieferketten. Wie erwarten Sie in dieser Hinsicht von der Bundesregierung?

Die Vereinbarungen, die für den G20-Gipfel avisiert wurden, erscheinen mir so schlagkräftig, wie das freiwillige, nationale Textilbündnis von Minister Müller. Mir ist das zu vage und zu unkonkret. Deshalb erwarte ich mir von den weich formulierten Zielen eigentlich nichts. Besser wäre gewesen, wenn eine große Region schon ein großen Schritt in Richtung nachhaltige Textilproduktion gemacht hätte. Deshalb ist es umso wichtiger, dass Europa jetzt handelt und Transparenzpflichten einführt. Wir Grünen fordern das seit langem und haben dazu einen Antrag im Deutschen Bundestag eingebracht und beraten.

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