Rente Parteien ködern die Rentner

CDU, SPD und Grüne werben mit kostspieligen Versprechen um Wähler. Die Parteien lösen damit keine Gerechtigkeitsprobleme, gefährden aber die gerade erst mühsam stabilisierten Rentenkassen.

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Wer bietet was?
Foto: Angela Merkel Quelle: AP
Foto: FDP-Fähnchen Quelle: dpa
Schriftzug SPD Quelle: dpa
Logo Bündnis 90 Die Grünen Quelle: dpa

Dafür, dass Wolfgang Gründinger einer gegen 20 Millionen ist, ist seine Laune nicht mal schlecht. Und dafür, dass er kaum Geld hat, um sich Gehör zu verschaffen, erst recht. Dabei dürfte am Dienstag, wenn Angela Merkel zum Demografiegipfel nach Berlin lädt, mal wieder alles so sein wie üblich.

Und üblich heißt: Für Gründinger wird sich kaum jemand interessieren. Er habe sich, lacht er, da quasi einschleichen müssen. Wann immer in der Hauptstadt um die alternde Gesellschaft und die Verteilung ihrer Lasten gerungen würde, säßen ausgerechnet diejenigen nicht mit am Tisch, die das ganze irgendwann zu schultern haben. „Die Jungen sind bei solchen Veranstaltungen nur die Praktikanten“, klagt Gründinger. „Man spricht über uns, nicht mit uns.“

Die Zitate der Parteien

Die Jungen – Gründinger, 28 Jahre, versteht sich als ihr Cheflobbyist. Er ist Sprecher der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen. Ehrenamtlich, ohne Mitarbeiter oder Schaltzentrale, vertritt er die Interessen der Jugend gegenüber den 20 Millionen Rentnern, gegen die hierzulande niemand Politik machen möchte. „Ich habe da eine große Frustrationstoleranz“, sagt er. Und lacht wieder. Trotz allem.

Denn im heraufziehenden Bundestagswahlkampf 2013 haben die Parteien ein neues Betätigungsfeld entdeckt: den Kampf gegen Altersarmut. Genauer gesagt: gegen die vielleicht drohende Altersarmut derer, die über Jahrzehnte brav und fleißig in die gesetzliche Rentenkasse eingezahlt haben. „Lebensleistungsrente“ heißt das Konzept der CDU, das vor allem Bundessozialministerin Ursula von der Leyen vehement bewirbt. Die SPD um Parteichef Sigmar Gabriel lobt 850 Euro „Solidarrente“ aus, die Grünen mit Spitzenkandidat Jürgen Trittin treten mit dem gleich hoch dotierten Modell der „Garantierente“ auf die Marktplätze.

Welche Auswirkung die Inflation auf die Rentenlücke hat
Eine Hand hält Geldscheine und einen Kassenbon über einer Einkaufskiste mit Lebensmitteln Quelle: dpa
Eine Hand nimmt am 22.01.2010 eine Euro-Münze aus einem Geldbeutel Quelle: dpa
Eine Kundin bezahlt an der Kasse in einem Supermarkt in Karlsruhe ihren Einkauf Quelle: dapd
Ein Rentner demonstriert und hält dabei eine Weste in den Händen, auf der "Rente muss zum Leben reichen" zu lesen ist. Quelle: dpa
Hinter dem Griff seines Gehstocks ist ein Rentner vor einem Computer zu sehen Quelle: dpa/dpaweb
Als Miniaturfiguren sind zwei Senioren am Montag (10.09.2012) in Schwerin auf Euro-Münzen zu sehen Quelle: dpa

Teure Verheißungen

Zwischen den Parteien ist ein Überbietungswettbewerb ausgebrochen um die wohl klingendsten Verheißungen. Denn bei allen Differenzen im Detail verkaufen sie das gleiche Versprechen: Wer viele Jahre gearbeitet und Beiträge gezahlt, nach Arbeit gesucht oder Gutes für die Gesellschaft geleistet hat (Pflege von Angehörigen, Erziehung der Kinder), der soll eine Rente deutlich oberhalb der Grundsicherung erhalten. Diese rund 690 Euro bekommt schließlich jeder, dessen Einkommen im Alter nicht reicht. Und noch etwas haben die drei Rezepte gemeinsam: Sie werden teuer. Milliardenteuer.

Die Schlager des Wahlkampfjahres 2013 klingen erst mal sinnvoll und gerecht – aber sie ernten doch unisono Kritik von Fachleuten. „Bizarre Wahlgeschenke“ bilanziert der Freiburger Ökonom Bernd Raffelhüschen, der „alle drei gleich unsinnig“ findet. „Alles, was sich die Politik an Mehrausgaben ausdenkt, muss über Schulden bezahlt werden.“ Für Axel Börsch-Supan vom Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik haben die Pläne ebenfalls allesamt „den gleichen Charakter: Sie reichen nur von unklug bis ganz unklug“.

Überschätze Altersarmut, drohende Jugendarmut wird ignoriert

So viel Rente bekommen Sie
DurchschnittsrentenLaut den aktuellen Zahlen der Deutschen Rentenversicherung bezogen Männer Ende 2014 eine Durchschnittsrente von 1013 Euro. Frauen müssen inklusive Hinterbliebenenrente mit durchschnittlich 762 Euro pro Monat auskommen. Quellen: Deutsche Rentenversicherung; dbb, Stand: April 2016 Quelle: dpa
Ost-Berlin mit den höchsten, West-Berlin mit den niedrigsten RentenDie Höhe der Rente schwankt zwischen den Bundesländern. Männer in Ostberlin können sich mit 1147 Euro Euro über die höchste Durchschnittsrente freuen. In Westberlin liegt sie dagegen mit 980 Euro am niedrigsten. Aktuell bekommen männliche Rentner: in Baden-Württemberg durchschnittlich 1107 Euro pro Monat in Bayern durchschnittlich 1031 Euro pro Monat in Berlin (West) durchschnittlich 980 Euro pro Monat in Berlin (Ost) durchschnittlich 1147 Euro pro Monat in Brandenburg durchschnittlich 1078 Euro pro Monat in Bremen durchschnittlich 1040 Euro pro Monat in Hamburg durchschnittlich 1071 Euro pro Monat in Hessen durchschnittlich 1084 Euro pro Monat in Mecklenburg-Vorpommern durchschnittlich 1027 Euro pro Monat in Niedersachsen durchschnittlich 1051 Euro pro Monat in Nordrhein-Westfalen durchschnittlich 1127 Euro pro Monat im Saarland durchschnittlich 1115 Euro pro Monat in Sachsen-Anhalt durchschnittlich 1069 Euro pro Monat in Sachsen durchschnittlich 1098 Euro pro Monat in Schleswig-Holstein durchschnittlich 1061 Euro pro Monat in Thüringen durchschnittlich 1064 Euro pro Monat Quelle: AP
Frauen mit deutlich weniger RenteFrauen im Ruhestand bekommen gut ein Drittel weniger als Männer. Auch sie bekommen in Ostberlin mit durchschnittlich 1051 Euro die höchsten Bezüge. Am wenigsten bekommen sie mit 696 Euro in Rheinland-Pfalz. Laut Deutscher Rentenversicherungen beziehen Frauen inklusive Hinterbliebenenrente: in Baden-Württemberg durchschnittlich 772 Euro pro Monat in Bayern durchschnittlich 736 Euro pro Monat in Berlin (West) durchschnittlich 861 Euro pro Monat in Berlin (Ost) durchschnittlich 1051 Euro pro Monat in Brandenburg durchschnittlich 975 Euro pro Monat in Bremen durchschnittlich 771 Euro pro Monat in Hamburg durchschnittlich 848 Euro pro Monat in Hessen durchschnittlich 760 Euro pro Monat in Mecklenburg-Vorpommern durchschnittlich 950 Euro pro Monat in Niedersachsen durchschnittlich 727 Euro pro Monat in Nordrhein-Westfalen durchschnittlich 749 Euro pro Monat im Saarland durchschnittlich 699 Euro pro Monat in Sachsen-Anhalt durchschnittlich 964 Euro pro Monat in Sachsen durchschnittlich 983 Euro pro Monat in Schleswig-Holstein durchschnittlich 744 Euro pro Monat in Thüringen durchschnittlich 968 Euro pro Monat Quelle: dpa
Beamtenpensionen deutlich höherStaatsdienern geht es im Alter deutlich besser. Sie erhalten in Deutschland aktuell eine Pension von durchschnittlich 2730 Euro brutto. Im Vergleich zum Jahr 2000 ist das ein Zuwachs von knapp 27 Prozent. Zwischen den Bundesländern schwankt die Pensionshöhe allerdings. Während 2015 ein hessischer Staatsdiener im Ruhestand im Durchschnitt 3150 Euro ausgezahlt bekam, waren es in Sachsen-Anhalt lediglich 1940 Euro. Im Vergleich zu Bundesbeamten geht es den Landesdienern dennoch gut. Im Durchschnitt kommen sie aktuell auf eine Pension von 2970 Euro. Im Bund sind es nur 2340 Euro. Quelle: dpa
RentenerhöhungIm Vergleich zu den Pensionen stiegen die normalen Renten zwischen 2000 und 2014 deutlich geringer an. Sie wuchsen lediglich um 15,3 Prozent. Quelle: dpa
Reserven der RentenkasseDabei verfügt die deutsche Rentenversicherung über ein sattes Finanzpolster. Nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung betrug die sogenannte Nachhaltigkeitsrücklage Ende 2014 genau 35 Milliarden Euro. Das sind rund drei Milliarden Euro mehr als ein Jahr zuvor. Rechnerisch reicht das Finanzpolster aus, um fast zwei Monatsausgaben zu bezahlen. Nachfolgend ein Überblick, mit welcher Rente die Deutschen im aktuell im Durchschnitt rechnen können: Quelle: dpa
Abweichungen vom StandardrentnerWer 45 Jahre in den alten Bundesländern gearbeitet hat und dabei den Durchschnittslohn verdiente, bekommt pro Monat 1314 Euro ausgezahlt. Bei 40 Arbeitsjahren verringert sich die monatliche Auszahlung auf 1168 Euro. Wer nur 35 Jahre im Job war, bekommt 1022 Euro. Quelle: Fotolia

Aber bei der Rente gelten eben eigene Gesetze. Nicht erst seit Norbert Blüm in den Achtzigerjahren auf eine kleine Leiter stieg, in der Hand den Kleisterbesen, im Gesicht fröhliche Unverdrossenheit, und Plakate mit der Aufschrift „Denn eins ist sicher: die Rente“ an eine Litfaßsäule pappte, nicht erst seitdem ist die Altersversorgung den Deutschen und ihren Volksvertretern Fetisch und Heiligtum zugleich. Die Rente ist seit Bismarck eine nationale Errungenschaft, die Rentenkasse der Sparstrumpf der sozialen Marktwirtschaft, ihr Schatz und Stolz. Eine gigantische Umlagemaschine mit 250 Milliarden Euro Jahresvolumen.

Eine eiserne Regel der Politik lautet deshalb: kein Wahlkampf ohne. 2009 erfand die große Koalition kurzerhand eine Rentengarantie, weil es unter allen Umständen den ultimativen GAU zu verhindern galt: eine drohende Kürzung der Altersgelder. Rentner sind nun mal besonders viele, treue und überdurchschnittlich fleißige Wähler – mit dieser Sorte legt man sich besser nicht an.

Dringende Appelle

Der dringende Appell der Experten, die Rente einfach in Frieden zu lassen, dürfte deshalb ungehört verhallen. „Dank der zurückliegenden Reformen der letzten zehn Jahre haben wir bei der Rente die Kurve bekommen“, bilanziert Börsch-Supan. Die Rente mit 67, die Einführung des Nachhaltigkeitsfaktors und ein langsam sinkendes Versorgungsniveau haben das System zumindest auf absehbare Zeit stabilisiert. „Das nimmt den Parteien ein angestammtes Spielfeld weg – und das ärgert sie.“

Foto: Sigmar Gabriel Quelle: dpa

Wirklich schlüssig hat bisher noch kein Politiker erklären können, warum er sich dem weit weniger drängenden Problem der Altersarmut mit weit mehr Verve widmet als dem akuten bei der Jugend. Nur etwa 2,6 Prozent der über 65-Jährigen sind heute arm, rund 15,3 Prozent gelten als armutsgefährdet. Bei den 18- bis 25-Jährigen fallen hingegen 22,4 Prozent in letztere Kategorie. Wer nach Handlungsbedarf sucht, findet ihn in der Schule oder auf dem Bolzplatz, weniger im Seniorenheim. „Es gibt ein Armutsrisiko im Alter – aber es wird überschätzt“, sagt Sozialökonom Martin Werding von der Ruhr-Universität Bochum.

Eine erklärte Chef-Kümmerin wie Sozialministerin von der Leyen lässt sich von solchen Fakten nicht von ihrem Weg abbringen. Gering- bis Normalverdienern drohe nach Jahrzehnten harter Arbeit „der Gang zum Sozialamt“, warnte die Ministerin, als sie ihr Konzept zum ersten Mal vorstellte. Um ihre Warnung zu untermauern, schreckte von der Leyen selbst vor absichtlicher Rufschädigung der Rente nicht zurück: Wer 35 Jahre lang 2500 Euro brutto verdient habe, bekäme im Jahr 2030 nur etwa 688 Euro. Sprich: Die erarbeitete Rente reiche gerade mal für mickrige Ansprüche auf dem Niveau von Hartz IV.

„Mit 30 oder 35 Jahren Arbeit eine auskömmliche Rente finanzieren zu wollen ist illusorisch, wenn wir 80 Jahre alt werden“, sagt Börsch-Supan. „Die Rente ist heute für mehr als 80 Prozent der Bevölkerung solide finanziert“, findet Raffelhüschen. Von der Leyen ficht die geballte Kritik nicht im Mindesten an. Die Rechnung hinter der Rechnung: Wer mit Armutswarnungen die gesetzliche Versorgung demontiert, kann hinterher umso glanzvoller als Retter der Gerechtigkeit auftreten.

Großer Frühverrentungsanreiz wirkt als Stoppschwelle

Warum die Deutschen in Frührente gehen
In Deutschland gehen weniger Menschen vorzeitig in den Ruhestand: Nur noch jeder dritte Neurentner sei zuletzt vorzeitig mit Abschlägen in die Altersrente gegangen, heißt es in einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion, über die die „Rheinische Post“ berichtet. Die Zahl der Frührentner ging demnach vom Jahr 2007 bis 2013 um 85.000 auf 323.000 zurück. Ihr Anteil an allen Neurentnern habe damit 2013 bei nur noch 36,7 Prozent gelegen. Sechs Jahre zuvor seien es noch 45,9 Prozent gewesen. Wer 2013 vorzeitig Altersrente beansprucht hat, musste laut Regierung zudem deutlich geringere Abschläge in Kauf nehmen - im Durchschnitt 77,50 Euro pro Monat, nachdem es 2007 noch 115,24 Euro waren. Quelle: dpa
Wenn der Friseur auf einmal die Shampoos und Haarfarben nicht mehr verträgt und mit Hautausschlag reagiert, ist Schluss mit dem Beruf. Gleiches gilt für den Maler und Lackierer, der auf die Farben sensibel reagiert. Probleme mit der Haut sind allerdings nur sehr selten Gründe für das vorzeitige Ausscheiden aus dem Berufsleben. Nur 0,4 Prozent der Frührentner hängen den Job wegen Erkrankungen der Haut an den Nagel. Quelle: dpa
2,9 Prozent, also rund 5226 Personen, mussten wegen Erkrankungen der Atemwege wie Asthma vorzeitig in Rente gehen. Quelle: dpa
3,9 Prozent litten dagegen an Stoffwechselkrankheiten wie Diabetes oder an chronischen Erkrankungen des Verdauungssystems. Quelle: dpa
Erkrankungen der Sinne waren bei 5,9 Prozent der Grund für das vorzeitige Ende des Berufslebens. Im Jahr 2010 tauchten Erblindung oder Taubheit noch gar nicht in den Statistiken der Deutschen Rentenversicherung als Gründe für die Frührente auf. Quelle: AP
Die übrigen Diagnosen, also andere Krankheiten, haben 9,2 Prozent aus dem Beruf geworfen. Quelle: Blumenbüro Holland/dpa/gms
Auf dem vierten Platz landen in diesem Jahr die Krankheiten von Herz und Kreislaufsystem, also zum Beispiel Herzinfarkte, Schlaganfälle und Durchblutungsstörungen. 9,7 Prozent aller Frührentner gingen wegen Herz-Kreislauf-Problemen in den Ruhestand. Quelle: dapd

Zwar hat die Lebensleistungsrente (außer der sendungsbewussten Ministerin selbst) kaum Fans in den eigenen Reihen, weshalb sie in der Koalition bisher nach Kräften ausgebremst wurde. Dennoch wird sie Bestandteil des CDU-Wahlprogramms. Im Kern geht es dabei um die Aufstockung magerer Ansprüche: Wer 40 Jahre lang gearbeitet, in die Rentenkasse eingezahlt und noch dazu privat vorgesorgt hat, soll mehr Geld garantiert bekommen als die Grundsicherung im Alter. Um die 850 Euro im Monat seien realistisch, heißt es vom Ministerium, allein schon, weil die Stütze wegen hoher Mieten und Heizkosten in Städten wie Wiesbaden oder München bereits heute deutlich über 800 Euro liegt.

Fremdkörper im System

Was bei der CDU noch etwas unbestimmt ist, beantworten SPD und Grüne einfach und konkret: Ihre Mindestrenten sollen in jedem Fall 850 Euro betragen, Punkt. Sie ziehen auch den Kreis der potenziellen Empfänger zum Teil deutlich großzügiger: Private Vorsorge etwa wird gar nicht verlangt. Bei der SPD muss der Solidarrentner entweder 40 Versicherungs- oder 30 Beitragsjahre zusammenbekommen, für den Bezug der grünen Garantierente reichen sogar 30 Versicherungsjahre aus.

Bei Letzteren zählt eben auch, wenn man lange arbeitslos war, Kinder großgezogen oder Eltern gepflegt hat. „85 Prozent der Bezieher wären Frauen“, wirbt die grüne Fraktionsvize im Bundestag, Kerstin Andreae, für das eigene Konzept. Ihr Argument: Gerade Jobunterbrechungen wegen Kindererziehung und die dann auf Jahre hinaus geringeren Löhne vieler Frauen drückten drastischer aufs Alterseinkommen als Arbeitslosigkeit.

Foto: Ursula von der Leyen Quelle: dpa

Vielleicht sollte es die generösen Wahlkämpfer nur stutzig machen, dass selbst ein besonnener Mann wie Herbert Rische angesichts immer neuer Sonderwünsche laut Einspruch erhebt. Modelle wie die Lebensleistungsrente seien „ein Fremdkörper im Rentensystem“, warnt der Präsident der Deutschen Rentenversicherung. In der gesetzlichen Alterskasse gilt schließlich das Äquivalenzprinzip: Wer mehr einzahlt, bekommt am Ende auch mehr. Mit Sozialrenten würde dieser Grundsatz teilweise außer Kraft gesetzt.

Welche Probleme das etwa für die Lebensleistungsrente konkret bedeuten würde, hat der Wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums am Beispiel eines Geringverdieners mit 17 000 Euro Jahreslohn berechnet. Sobald die Schwelle von 40 Beitragsjahren erreicht ist, kann er die Arbeit eigentlich einstellen – zumindest was den Ruhestand angeht. Denn erst nach 52 Jahren Maloche wären die mit Sozialbeiträgen verdienten Rentenansprüche wieder höher als der von der Leyen’sche Garantiebetrag.

Bei den SPD- und Grünen-Konzepten wäre die Stoppschwelle wegen der großzügigeren Bedingungen sogar noch früher erreicht. „Wer die jeweiligen Zuteilungsgrenzen erreicht, hat einen riesigen Frühverrentungsanreiz“, kritisiert Rentenexperte Börsch-Supan. „Das können wir ökonomisch gar nicht gebrauchen.“ Angesichts der stetig steigenden Lebenserwartung müsste die Losung heißen: Wer länger lebt, muss für einen auskömmlichen Lebensabend auch länger arbeiten.

Bedarfprüfung für Lebensleistungs- und Solidarrente

Hier ist die Rentenangst am größten
Platz 10Von den Menschen, die im Ernährungswesen tätig sind, also zum Beispiel Bäcker, Diätassistenten oder Fitnessberater, sorgen sich 41 Prozent besonders stark um ihre finanzielle Zukunft. Quelle: dapd
Platz 9Bei Bank- und Versicherungsfachleuten glauben 42 Prozent, dass ihre gesetzliche Rente später nicht zum Leben reichen wird. Quelle: Fotolia
Platz 843 Prozent der Bürger, die in sozialen Berufen beschäftigt sind, also zum Beispiel Pädagogen oder Sozialarbeiter, fürchten um ihre Versorgung im Alter. Quelle: dpa
Platz 7Von den Beschäftigten in der Metallkonstruktion (z.B. Industriemechaniker) oder Installation (z.B. Heizungsinstallateur) glauben 45 Prozent nicht, dass ihre Rente später ausreichen wird. Quelle: dapd
Platz 6Wer als Hilfsarbeiter, also etwa als Kellner, tätig ist, sorgt sich oft um seine Zukunft; 46 Prozent fürchten um ihre finanzielle Absicherung im Rentenalter. Quelle: AP
Platz 5Ebenfalls 46 Prozent der Beschäftigten im Gesundheitsdienst, also etwa Kranken- oder Altenpfleger, sorgen sich um ihre gesetzliche Rente. Quelle: dpa
Platz 4Von den Bürgern, die in Hotels, Gaststätten, oder in der Hauswirtschaft arbeiten, glauben 49 Prozent nicht an eine ausreichende gesetzliche Altersvorsorge. Quelle: AP

Abgesehen davon werfen die Mindestrenten mit jeder vermeintlich gelösten Gerechtigkeitsfrage gleich eine neue auf: Fände Jürgen Trittin es fair, der alleinerziehenden Mutter mit 29 Versicherungsjahren die grüne Garantierente zu verweigern? Oder was sagt Sigmar Gabriel dem Schichtarbeiter, der die Kriterien der Solidarrente ganz knapp nicht erfüllt? Der Kampf für sozialen Ausgleich endet in Willkür.

Das Fürsorgenetz mit den Mitteln der Versicherungskasse enger zu spannen, in der Ansprüche nach Leistung erworben werden, ist problematisch – trotz guter Absichten. Wer Grundsicherung erhält, muss sich beim Sozialamt einer Bedürftigkeitsprüfung unterziehen. Das heißt: Hartz IV erhält nur, wer keinen begüterten Partner hat. Noch nicht so klar hingegen ist, was mit allen zukünftigen Aufstockrentnern passieren würde: Bekommt die Sozialleistung einfach jeder, der die Zugangshürden überspringt – oder auch hier nur der wirklich Bedürftige?

Bei der Solidarrente soll eine Bedarfsprüfung zumindest für einen Teil der Fälle stattfinden, bei der Lebensleistungsrente immer. Die Grünen wollen zuerst eine Art Splitting anwenden: Bei zukünftigen Ehepaaren und Lebenspartnerschaften sollen die Rentenansprüche beider zusammengerechnet und später halbiert werden. Erst danach ist klar, ob die Garantierente fließt.

Foto: Jürgen Trittin Quelle: REUTERS

Wer darf - und wer nicht?

Die Rentenversicherung – das hat die Verwaltung dem Bundessozialministerium bereits schriftlich gegeben – will mit den Aufgaben der Jobcenter und Kommunen jedenfalls rein gar nichts zu tun haben. Zu Recht, findet Ökonom Raffelhüschen: „Soll die Rentenversicherung in Zukunft durchleuchten, ob die 600 Euro der Zahnarztgattin aufgestockt werden dürfen oder nicht? Eine solche Bedarfsprüfung darf die Rentenkasse gar nicht machen.“ Die Ironie der Geschichte: Dann müssten die potenziellen Lebensleistungsrentner zur Offenlegung der Finanzen doch wieder zum Sozialamt. Genau diesen Gang wollten die Wohltäter doch vermeiden.

Von solchen Details hängt die Rechnung ab, die den Steuerzahlern am Ende präsentiert würde. 2,6 Milliarden Euro pro Jahr soll das Lebensleistungsmodell laut Sozialministerium ab 2030 kosten. Die SPD-Solidarrente beläuft sich nach Aussage von Sigmar Gabriel beim selben Zieldatum auf 3,2 bis 10 Milliarden.

Die Grünen taxieren ihre Garantierente auf rund fünf Milliarden Euro. In Regierungskreisen kursieren für die Oppositionspläne noch andere Kalkulationen, naturgemäß nicht ganz so wohlwollend gerechnet: Demnach könnte die Solidarrente eher mit 10 bis 15 Milliarden Euro zu Buche schlagen und die Garantierente mit fünf bis sieben Milliarden.

Mittel, die in jedem Fall aus dem angespannten Haushalt zugebuttert werden müssten – also aus Steuern. Für den Rentenfachmann Börsch-Supan eine fürchterliche Vorstellung: „Wenn die Politiker dringend Geld ausgeben möchten, dann sollten sie es unbedingt in Bildung, die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit und bessere Kinderbetreuung stecken.“ Das würde der Rentenkasse auf lange Sicht am besten helfen.

Aber auf lange Sicht ist im Wahljahr nun wirklich keine Kategorie.

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