Dafür, dass Wolfgang Gründinger einer gegen 20 Millionen ist, ist seine Laune nicht mal schlecht. Und dafür, dass er kaum Geld hat, um sich Gehör zu verschaffen, erst recht. Dabei dürfte am Dienstag, wenn Angela Merkel zum Demografiegipfel nach Berlin lädt, mal wieder alles so sein wie üblich.
Und üblich heißt: Für Gründinger wird sich kaum jemand interessieren. Er habe sich, lacht er, da quasi einschleichen müssen. Wann immer in der Hauptstadt um die alternde Gesellschaft und die Verteilung ihrer Lasten gerungen würde, säßen ausgerechnet diejenigen nicht mit am Tisch, die das ganze irgendwann zu schultern haben. „Die Jungen sind bei solchen Veranstaltungen nur die Praktikanten“, klagt Gründinger. „Man spricht über uns, nicht mit uns.“
Die Zitate der Parteien
»Für Menschen, die 40 Jahre eingezahlt haben, ist das Sozialamt der falsche Ort.«
"Wer langjährig Beiträge gezahlt hat, muss eine Rente deutlich oberhalb der Grundsicherung erhalten."
"Wir wollen mit der Garantierente das Vertrauen auch zukünftiger Generationen in die Alterssicherung zurückgeben."
Die Jungen – Gründinger, 28 Jahre, versteht sich als ihr Cheflobbyist. Er ist Sprecher der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen. Ehrenamtlich, ohne Mitarbeiter oder Schaltzentrale, vertritt er die Interessen der Jugend gegenüber den 20 Millionen Rentnern, gegen die hierzulande niemand Politik machen möchte. „Ich habe da eine große Frustrationstoleranz“, sagt er. Und lacht wieder. Trotz allem.
Denn im heraufziehenden Bundestagswahlkampf 2013 haben die Parteien ein neues Betätigungsfeld entdeckt: den Kampf gegen Altersarmut. Genauer gesagt: gegen die vielleicht drohende Altersarmut derer, die über Jahrzehnte brav und fleißig in die gesetzliche Rentenkasse eingezahlt haben. „Lebensleistungsrente“ heißt das Konzept der CDU, das vor allem Bundessozialministerin Ursula von der Leyen vehement bewirbt. Die SPD um Parteichef Sigmar Gabriel lobt 850 Euro „Solidarrente“ aus, die Grünen mit Spitzenkandidat Jürgen Trittin treten mit dem gleich hoch dotierten Modell der „Garantierente“ auf die Marktplätze.
Teure Verheißungen
Zwischen den Parteien ist ein Überbietungswettbewerb ausgebrochen um die wohl klingendsten Verheißungen. Denn bei allen Differenzen im Detail verkaufen sie das gleiche Versprechen: Wer viele Jahre gearbeitet und Beiträge gezahlt, nach Arbeit gesucht oder Gutes für die Gesellschaft geleistet hat (Pflege von Angehörigen, Erziehung der Kinder), der soll eine Rente deutlich oberhalb der Grundsicherung erhalten. Diese rund 690 Euro bekommt schließlich jeder, dessen Einkommen im Alter nicht reicht. Und noch etwas haben die drei Rezepte gemeinsam: Sie werden teuer. Milliardenteuer.
Die Schlager des Wahlkampfjahres 2013 klingen erst mal sinnvoll und gerecht – aber sie ernten doch unisono Kritik von Fachleuten. „Bizarre Wahlgeschenke“ bilanziert der Freiburger Ökonom Bernd Raffelhüschen, der „alle drei gleich unsinnig“ findet. „Alles, was sich die Politik an Mehrausgaben ausdenkt, muss über Schulden bezahlt werden.“ Für Axel Börsch-Supan vom Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik haben die Pläne ebenfalls allesamt „den gleichen Charakter: Sie reichen nur von unklug bis ganz unklug“.
Überschätze Altersarmut, drohende Jugendarmut wird ignoriert
Aber bei der Rente gelten eben eigene Gesetze. Nicht erst seit Norbert Blüm in den Achtzigerjahren auf eine kleine Leiter stieg, in der Hand den Kleisterbesen, im Gesicht fröhliche Unverdrossenheit, und Plakate mit der Aufschrift „Denn eins ist sicher: die Rente“ an eine Litfaßsäule pappte, nicht erst seitdem ist die Altersversorgung den Deutschen und ihren Volksvertretern Fetisch und Heiligtum zugleich. Die Rente ist seit Bismarck eine nationale Errungenschaft, die Rentenkasse der Sparstrumpf der sozialen Marktwirtschaft, ihr Schatz und Stolz. Eine gigantische Umlagemaschine mit 250 Milliarden Euro Jahresvolumen.
Eine eiserne Regel der Politik lautet deshalb: kein Wahlkampf ohne. 2009 erfand die große Koalition kurzerhand eine Rentengarantie, weil es unter allen Umständen den ultimativen GAU zu verhindern galt: eine drohende Kürzung der Altersgelder. Rentner sind nun mal besonders viele, treue und überdurchschnittlich fleißige Wähler – mit dieser Sorte legt man sich besser nicht an.
Dringende Appelle
Der dringende Appell der Experten, die Rente einfach in Frieden zu lassen, dürfte deshalb ungehört verhallen. „Dank der zurückliegenden Reformen der letzten zehn Jahre haben wir bei der Rente die Kurve bekommen“, bilanziert Börsch-Supan. Die Rente mit 67, die Einführung des Nachhaltigkeitsfaktors und ein langsam sinkendes Versorgungsniveau haben das System zumindest auf absehbare Zeit stabilisiert. „Das nimmt den Parteien ein angestammtes Spielfeld weg – und das ärgert sie.“
Wirklich schlüssig hat bisher noch kein Politiker erklären können, warum er sich dem weit weniger drängenden Problem der Altersarmut mit weit mehr Verve widmet als dem akuten bei der Jugend. Nur etwa 2,6 Prozent der über 65-Jährigen sind heute arm, rund 15,3 Prozent gelten als armutsgefährdet. Bei den 18- bis 25-Jährigen fallen hingegen 22,4 Prozent in letztere Kategorie. Wer nach Handlungsbedarf sucht, findet ihn in der Schule oder auf dem Bolzplatz, weniger im Seniorenheim. „Es gibt ein Armutsrisiko im Alter – aber es wird überschätzt“, sagt Sozialökonom Martin Werding von der Ruhr-Universität Bochum.
Eine erklärte Chef-Kümmerin wie Sozialministerin von der Leyen lässt sich von solchen Fakten nicht von ihrem Weg abbringen. Gering- bis Normalverdienern drohe nach Jahrzehnten harter Arbeit „der Gang zum Sozialamt“, warnte die Ministerin, als sie ihr Konzept zum ersten Mal vorstellte. Um ihre Warnung zu untermauern, schreckte von der Leyen selbst vor absichtlicher Rufschädigung der Rente nicht zurück: Wer 35 Jahre lang 2500 Euro brutto verdient habe, bekäme im Jahr 2030 nur etwa 688 Euro. Sprich: Die erarbeitete Rente reiche gerade mal für mickrige Ansprüche auf dem Niveau von Hartz IV.
„Mit 30 oder 35 Jahren Arbeit eine auskömmliche Rente finanzieren zu wollen ist illusorisch, wenn wir 80 Jahre alt werden“, sagt Börsch-Supan. „Die Rente ist heute für mehr als 80 Prozent der Bevölkerung solide finanziert“, findet Raffelhüschen. Von der Leyen ficht die geballte Kritik nicht im Mindesten an. Die Rechnung hinter der Rechnung: Wer mit Armutswarnungen die gesetzliche Versorgung demontiert, kann hinterher umso glanzvoller als Retter der Gerechtigkeit auftreten.
Großer Frühverrentungsanreiz wirkt als Stoppschwelle
Zwar hat die Lebensleistungsrente (außer der sendungsbewussten Ministerin selbst) kaum Fans in den eigenen Reihen, weshalb sie in der Koalition bisher nach Kräften ausgebremst wurde. Dennoch wird sie Bestandteil des CDU-Wahlprogramms. Im Kern geht es dabei um die Aufstockung magerer Ansprüche: Wer 40 Jahre lang gearbeitet, in die Rentenkasse eingezahlt und noch dazu privat vorgesorgt hat, soll mehr Geld garantiert bekommen als die Grundsicherung im Alter. Um die 850 Euro im Monat seien realistisch, heißt es vom Ministerium, allein schon, weil die Stütze wegen hoher Mieten und Heizkosten in Städten wie Wiesbaden oder München bereits heute deutlich über 800 Euro liegt.
Fremdkörper im System
Was bei der CDU noch etwas unbestimmt ist, beantworten SPD und Grüne einfach und konkret: Ihre Mindestrenten sollen in jedem Fall 850 Euro betragen, Punkt. Sie ziehen auch den Kreis der potenziellen Empfänger zum Teil deutlich großzügiger: Private Vorsorge etwa wird gar nicht verlangt. Bei der SPD muss der Solidarrentner entweder 40 Versicherungs- oder 30 Beitragsjahre zusammenbekommen, für den Bezug der grünen Garantierente reichen sogar 30 Versicherungsjahre aus.
Bei Letzteren zählt eben auch, wenn man lange arbeitslos war, Kinder großgezogen oder Eltern gepflegt hat. „85 Prozent der Bezieher wären Frauen“, wirbt die grüne Fraktionsvize im Bundestag, Kerstin Andreae, für das eigene Konzept. Ihr Argument: Gerade Jobunterbrechungen wegen Kindererziehung und die dann auf Jahre hinaus geringeren Löhne vieler Frauen drückten drastischer aufs Alterseinkommen als Arbeitslosigkeit.
Vielleicht sollte es die generösen Wahlkämpfer nur stutzig machen, dass selbst ein besonnener Mann wie Herbert Rische angesichts immer neuer Sonderwünsche laut Einspruch erhebt. Modelle wie die Lebensleistungsrente seien „ein Fremdkörper im Rentensystem“, warnt der Präsident der Deutschen Rentenversicherung. In der gesetzlichen Alterskasse gilt schließlich das Äquivalenzprinzip: Wer mehr einzahlt, bekommt am Ende auch mehr. Mit Sozialrenten würde dieser Grundsatz teilweise außer Kraft gesetzt.
Welche Probleme das etwa für die Lebensleistungsrente konkret bedeuten würde, hat der Wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums am Beispiel eines Geringverdieners mit 17 000 Euro Jahreslohn berechnet. Sobald die Schwelle von 40 Beitragsjahren erreicht ist, kann er die Arbeit eigentlich einstellen – zumindest was den Ruhestand angeht. Denn erst nach 52 Jahren Maloche wären die mit Sozialbeiträgen verdienten Rentenansprüche wieder höher als der von der Leyen’sche Garantiebetrag.
Bei den SPD- und Grünen-Konzepten wäre die Stoppschwelle wegen der großzügigeren Bedingungen sogar noch früher erreicht. „Wer die jeweiligen Zuteilungsgrenzen erreicht, hat einen riesigen Frühverrentungsanreiz“, kritisiert Rentenexperte Börsch-Supan. „Das können wir ökonomisch gar nicht gebrauchen.“ Angesichts der stetig steigenden Lebenserwartung müsste die Losung heißen: Wer länger lebt, muss für einen auskömmlichen Lebensabend auch länger arbeiten.
Bedarfprüfung für Lebensleistungs- und Solidarrente
Abgesehen davon werfen die Mindestrenten mit jeder vermeintlich gelösten Gerechtigkeitsfrage gleich eine neue auf: Fände Jürgen Trittin es fair, der alleinerziehenden Mutter mit 29 Versicherungsjahren die grüne Garantierente zu verweigern? Oder was sagt Sigmar Gabriel dem Schichtarbeiter, der die Kriterien der Solidarrente ganz knapp nicht erfüllt? Der Kampf für sozialen Ausgleich endet in Willkür.
Das Fürsorgenetz mit den Mitteln der Versicherungskasse enger zu spannen, in der Ansprüche nach Leistung erworben werden, ist problematisch – trotz guter Absichten. Wer Grundsicherung erhält, muss sich beim Sozialamt einer Bedürftigkeitsprüfung unterziehen. Das heißt: Hartz IV erhält nur, wer keinen begüterten Partner hat. Noch nicht so klar hingegen ist, was mit allen zukünftigen Aufstockrentnern passieren würde: Bekommt die Sozialleistung einfach jeder, der die Zugangshürden überspringt – oder auch hier nur der wirklich Bedürftige?
Bei der Solidarrente soll eine Bedarfsprüfung zumindest für einen Teil der Fälle stattfinden, bei der Lebensleistungsrente immer. Die Grünen wollen zuerst eine Art Splitting anwenden: Bei zukünftigen Ehepaaren und Lebenspartnerschaften sollen die Rentenansprüche beider zusammengerechnet und später halbiert werden. Erst danach ist klar, ob die Garantierente fließt.
Wer darf - und wer nicht?
Die Rentenversicherung – das hat die Verwaltung dem Bundessozialministerium bereits schriftlich gegeben – will mit den Aufgaben der Jobcenter und Kommunen jedenfalls rein gar nichts zu tun haben. Zu Recht, findet Ökonom Raffelhüschen: „Soll die Rentenversicherung in Zukunft durchleuchten, ob die 600 Euro der Zahnarztgattin aufgestockt werden dürfen oder nicht? Eine solche Bedarfsprüfung darf die Rentenkasse gar nicht machen.“ Die Ironie der Geschichte: Dann müssten die potenziellen Lebensleistungsrentner zur Offenlegung der Finanzen doch wieder zum Sozialamt. Genau diesen Gang wollten die Wohltäter doch vermeiden.
Von solchen Details hängt die Rechnung ab, die den Steuerzahlern am Ende präsentiert würde. 2,6 Milliarden Euro pro Jahr soll das Lebensleistungsmodell laut Sozialministerium ab 2030 kosten. Die SPD-Solidarrente beläuft sich nach Aussage von Sigmar Gabriel beim selben Zieldatum auf 3,2 bis 10 Milliarden.
Die Grünen taxieren ihre Garantierente auf rund fünf Milliarden Euro. In Regierungskreisen kursieren für die Oppositionspläne noch andere Kalkulationen, naturgemäß nicht ganz so wohlwollend gerechnet: Demnach könnte die Solidarrente eher mit 10 bis 15 Milliarden Euro zu Buche schlagen und die Garantierente mit fünf bis sieben Milliarden.
Mittel, die in jedem Fall aus dem angespannten Haushalt zugebuttert werden müssten – also aus Steuern. Für den Rentenfachmann Börsch-Supan eine fürchterliche Vorstellung: „Wenn die Politiker dringend Geld ausgeben möchten, dann sollten sie es unbedingt in Bildung, die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit und bessere Kinderbetreuung stecken.“ Das würde der Rentenkasse auf lange Sicht am besten helfen.
Aber auf lange Sicht ist im Wahljahr nun wirklich keine Kategorie.