Wer dachte, beim so genannten TV-Duell zwischen Angela Merkel und Peer Steinbrück könne es gar keine Überraschungen geben, der wurde eines Besseren belehrt. Da kam, aller Regeln und Reglementierungen zum Trotz, plötzlich ein Thema zu Prominenz, für das der Herausforderer offensichtlich keine vorgefertigte Sprachregelung im Kopf abgelegt hatte. Die Kanzlerin wahrscheinlich auch nicht – zumindest patzte sie bei Details, obwohl sie sich gedanklich ein paar Augenblicke länger sammeln konnte.
Es ging um Renten und Pensionen. Ein Thema für Millionen von Menschen – und deswegen bei Politikern von allergrößter Relevanz. Auch deswegen, weil die Senioren zu den besonders treuen und regelmäßigen Wählern gehören. Hier können Kampagnen gewonnen oder verloren werden.
Die Moderatorin Anne Will fragte also den SPD-Kanzlerkandidaten, ob bei den hohen Pensionen Reformbedarf bestünde? Allerdings, antwortete Steinbrück, sie dürften nicht stärker steigen als die umlagefinanzierten Renten, beides müsse „fair gekoppelt“ werden.
Ein ziemlicher Aufreger, wenn man bedenkt, dass allein in diesem Jahr die Pensionen der Bundesbeamten um 2,4 Prozent stiegen, die der Westrentner hingegen nur um 0,25 Prozent.
Angela Merkel witterte gleich ihre Chance, und brachte geringverdienende Polizisten, Soldaten, Justizvollzugsangestellte und sogar Lehrer gegen Steinbrück in Stellung. „Da müssen alle mal ganz genau hinhören“, sagte die Kanzlerin mit großen Augen. Subtext: Wollen Sie an deren Altersgeld?
Abgesehen davon, dass beamtete Lehrer kaum zu den Geringverdienern gezählt werden können, sagte Merkel so manches Richtige über die problematische Vergleichbarkeit von Renten und Pensionen, aber ihr unterlief auch ein Fehler. „Pensionen werden versteuert, das ist anders, als das in der Rente ist“, sagte Merkel. Nur stimmt das nicht: Schon seit 2005 werden auch Renten schrittweise immer stärker besteuert. Allerdings erst 2040 werden sie genauso wie Beamtenpensionen voll der Steuerpflicht unterliegen.
Was im Duell beider leider gar nicht zur Sprache kam, was jedoch als Anlass für Steinbrücks Koppel-Vorschlag angenommen werdend darf: Die finanzielle Belastung, die durch ungedeckte Pensionsversprechen in den öffentlichen Haushalten schlummert, gleicht einer tickenden Fiskalbombe.
980 Milliarden für pensionierte Beamte
980 Milliarden müssen Bund, Länder und Kommunen bis 2050 für die Versorgung ihrer pensionierten Beamten ausgeben, hat die Finanzwissenschaftlerin Gisela Färber für die Hans-Böckler-Stiftung ausgerechnet. Die Wucht einer älter werdenden Gesellschaft macht vor dem Staat eben nicht halt: Auch die ehemaligen Staatdiener werden immer älter; hinzukommt, dass ausgerechnet in diesem Jahrzehnt besonders üppige Beamtenjahrgänge in den Ruhestand gehen werden.
Auf diese immense Belastung sind die öffentlichen Haushalte wenig bis gar nicht vorbereitet. Die Reformen der gesetzlichen Rente wurden von Bund und Ländern allenfalls zum Teil auf die Staatsalimentierung übertragen – all das hätte Steinbrück erwähnen können, vielleicht sogar der Klarheit halber müssen. Der Nachhaltigkeitsfaktor in der Rentenformel, der das schlechter werdende Verhältnis von Beitragsempfängern zu Beitragszahlern einpreist, harrt bis heute seiner Übertragung ins Beamtenrecht – Experten fordern die Übertragung seit langem.
Auch haben einige Länder, etwa Brandenburg, Saarland und Rheinland-Pfalz, noch immer nicht die Pension mit 67 eingeführt. Ein besonders folgenschwerer Fehler: Das Gros der Beamtenschaft (rund 80 Prozent) steht nun mal als Polizist oder Lehrer in ihren Diensten.
Die Opfer der Beamten haben sich in den vergangenen Jahren außerdem noch immer vergleichsweise moderat ausgenommen: So mussten sie leichte Abschläge von den Tarifergebnissen des öffentlichen Dienstes hinnehmen, ebenso wie eine homöopathische Absenkung des Versorgungsniveaus von 75 auf rund 72 Prozent gemessen am letzten Gehalt. Das Versorgungsniveau der gesetzlichen Rente aber liegt mittlerweile bei unter 50 Prozent – bezogen auf das Lebenseinkommen.
Kritiker der Beamtenkritik, so wie die Kanzlerin, verweisen stets auf die mangelnde Vergleichbarkeit: Tatsächlich sind Pensionen von jahrzehntelang ununterbrochen beschäftigten, akademisch ausgebildeten Beamten kaum mit der Durchschnittsrente ins Verhältnis zu setzen. Einige Rentner verfügen zudem durchaus über betriebliche Vorsorge, Staatsdiener nicht. Doch selbst bei wohlwollenden Rechnungen gilt: Beamte kommen im Alter netto zwischen zwei und 16 Prozent besser weg als vergleichbare Normalrentner.
Merkel versuchte – wahlkämpferisch verständlich – den Eindruck zu erwecken, Steinbrück wolle die Pensionen kürzen. In Wahrheit wird jede zukünftige Regierung in Bund und den Ländern um spürbare Reformen und Kostendämpfungen bei den eigenen Staatsdienern nicht umhin kommen. Doch auf einen solchen Satz wird man von Politikern im Wahlkampf noch lange warten müssen: „Die Versorgungsversprechen, die der Staat gegeben hat, wird er nicht halten können.“ Auch Steinbrück lieferte hier nur Klartext light.