Die durchschnittliche Lebenserwartung in Deutschland belief sich 2020 für Männer auf 78,9 und für Frauen auf 83,6 Jahre. Bis 2060 prognostiziert das Statistische Bundesamt für beide Geschlechter durchschnittlich 5,5 weitere Lebensjahre. Liegt es da nicht nahe, auch das Renteneintrittsalter kontinuierlich anzuheben? Zunächst etwa schrittweise von 65 auf 68, wie dies ein Beratungsgremium der Bundesregierung im Juni vorgeschlagen hatte?
Nein, findet Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbands VdK. „Statt den nächsten Beirat einzusetzen, der vorschlägt, alle pauschal länger arbeiten zu lassen, brauchen wir flexiblere Lösungen“, sagt sie.
Der VdK hatte am Montag eine Studie vorgestellt, die das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in seinem Auftrag erstellt hatte. Darin hatte sich unter anderem gezeigt, dass die Lebenserwartung von Arbeitern im Vergleich etwa zu Beamten
deutlich geringer ist. Auch die Höhe des Einkommens und eine hohe berufliche Belastung wirkt sich der Studie zufolge auf die Lebenserwartung aus.
Geringverdienende Menschen, die in körperlich und psychisch belastenden Berufen arbeiten, seien im Alter deutlich schlechter gestellt als Menschen mit höheren Einkommen in weniger belastenden Berufen, schlussfolgerte Verena Bentele bei der Vorstellung der Studie. Werde das Renteneintrittsalter erhöht, benachteilige das Geringverdiener gleich doppelt: Zum einen bekämen sie deutlich geringere Renten, zum anderen bezogen sie diese aufgrund ihrer geringeren Lebenserwartung erheblich kürzer. „Wir brauchen eine Rentenversicherung, in die alle Erwerbstätigen einzahlen: Arbeiter, Angestellte, Selbstständige und eben auch Politiker und Beamte“, sagte die VdK-Präsidentin. Nur so ließe sich auf Dauer die gesetzliche Rentenversicherung stabilisieren und die soziale Spaltung bekämpfen.
Untersucht hatte das DIW den Einfluss von beruflichen Faktoren auf die durchschnittliche Lebenserwartung ab 65. Dabei lag der Fokus auf systematischen Unterschieden nach Einkommen, Stellung im Beruf und gesundheitlichen berufsbezogenen Belastungen für Männer und Frauen.
Der Studie zufolge leben Männer, die ein geringes Einkommen haben oder von Armutsgefährdung betroffen sind, im Durchschnitt etwa vier Jahre kürzer als Männer mit mittlerem Einkommen und sechs Jahre kürzer als Männer aus wohlhabenden Haushalten. Auch bei den Berufsgruppen ergeben sich deutliche Unterschiede: Die größte durchschnittliche Restlebenserwartung zum Alter 65 haben mit 21,5 Jahren Beamte. Angestellte und Selbstständige werden durchschnittlich nur 84 Jahre alt, Arbeiter sogar nur 80,9 Jahre.
Die Unterschiede bei Frauen sind der Studie zufolge ähnlich, fallen aber deutlich geringer aus. So liegt die Restlebenserwartung zum Alter 65 bei wohlhabenden Frauen bei 22,8 Jahren. Bei Frauen aus armutsgefährdeten Haushalten ergibt sich eine vier Jahre geringere Lebenserwartung, bei mittlerem Einkommen eine zweieinhalb Jahre geringere.
Die unterschiedliche Lebenserwartung könne auch zu einer Verstärkung der Ungleichheit in den Lebenseinkommen führen, heißt es in der Studie. „Diese regressiven Verteilungswirkungen entstehen bei einem proportionalen Rentensystem mechanisch, wenn Menschen mit hohen Arbeitseinkommen systematisch länger leben als Menschen mit geringen Arbeitseinkommen“. Das gelte es bei künftigen Diskussionen um eine Reform des Renteneintrittsalters zu berücksichtigen.
Mehr zum Thema: Auch stark auf Aktien basierende Modelle werden die Rente nicht retten. Die Politik verdrängt die Realität: Wer gesund ist, wird bald länger arbeiten. Viele tun das nur zu gerne – und erproben mit ihren Unternehmen längst den berufsaktiven Ruhestand.