




Der 1. Juli 2015 wird ein schöner Tag für Deutschlands Rentner – ihre Bezüge erhöhen sich danach im Westen um 2,1 Prozent, im Osten sogar um 2,5 Prozent. Der 1. Juli wird aber auch ein trauriger Tag, nämlich für alle Deutschen, die ihre Rente noch vor sich haben. Denn dann wird die schwarz-rote Rentenreform ein Jahr alt – und die Warnungen vieler Experten vor einer milliardenteuren Umverteilung auf Kosten der nächsten Generation werden sich als durchaus hellsichtig erweisen. „Das Rentenpaket hat meine Erwartungen voll erfüllt – leider“, sagt der Freiburger Wirtschaftsweise Lars Feld. „Die Mütterrente ist so teuer wie vorhergesagt, und die Rente mit 63 wird so stark in Anspruch genommen wie befürchtet.“ Sein Urteil zum Einjährigen ist verheerend: „Es ist eine demografische Zeitbombe.“
Aber wird darüber in Deutschland diskutiert? Erstaunlicherweise kaum. Über eine andere soziale Großreform – den Mindestlohn – streiten Politiker, Ökonomen und Unternehmer seit Monaten leidenschaftlich, obwohl die derzeit vor Kraft strotzende deutsche Wirtschaft die neue Untergrenze in Höhe von 8,50 Euro ziemlich locker verkraftet.
Typische Irrtümer von Riester-Sparern
Sie übersehen, dass die Verzinsung variabel ist. Die Bank kann also die Zinsen jederzeit senken. Nur Lebens- und Rentenversicherungen müssen laut Gesetz mindestens 1,25 Prozent Zinsen garantieren, ab 2017 sind es nur noch 0,9 Prozent. Für Banksparpläne gilt dieser Garantiezins nicht beziehungsweise erst, wenn das Sparguthaben in eine Rentenversicherung überführt wird. Dann sind die Versicherungsbedingungen zu diesem Zeitpunkt gültig. Garantiezins, Sterbetafeln, etc. können sich also während der Ansparphase noch deutlich zu Ungunsten des Sparers ändern.
Ihnen ist nicht klar, dass ein vorzeitiger Ausstieg aus dem Sparvertrag oder eine vorgezogene Rentenphase die Auszahlung drastisch schmälert. Denn es fehlen nicht nur Einzahlungsjahre, sondern auch die Rentenbezugsdauer steigt gleichzeitig. Es ist also weniger Geld für mehr Rentenjahre im Topf.
Die Riester-Rente lockt Sparer mit zwei Garantien: Der Auszahlung einer lebenslangen Rente, selbst wenn der Kapitalstock aufgebraucht ist, und der Garantie, dass die Einzahlungen, staatlichen Prämien und die bis zum Rentenbeginn aufgelaufenen Zinsgewinne für die Rente bereit stehen. Das bedeutet aber nicht, dass der Sparer die volle Summe nach zu Lebzeiten ausgezahlt bekommt. Es ist nur eine Garantie dafür, dass der Kapitalstock durch Investition in die falschen Anlagemärkte Verluste erleidet und dahinschmelzen könnte.
Sparer gehen häufig von einer halbwegs realistischen Lebenserwartung aus. Die Anbieter müssen jedoch so kalkulieren, dass sie auch bei Erreichen eines weit überdurchschnittlichen Alters noch eine Rente zahlen können, ohne das Geld anderer Sparer oder ihr eigenes Kapital aufzuwenden, sprich ohne Verluste zu machen.
Sie verwechseln Prognosen und Anlagevorschläge der Anbieter mit Garantien. Dabei gibt es zahlreiche Faktoren, die erheblichen Einfluss auf die Rente haben können. Zum Beispiel ein allgemein sinkendes Zinsniveau, gesetzliche Rahmenbedingungen, Änderungen in den Versicherungsbedingungen, im Steuerrecht und in den Sterbetafeln.
Sie vertrauen auf ihre Bank und ihren Kundenberater. Dabei ist ein Riester-Vertrag eine komplizierte Angelegenheit, bei deren Berechnung auch schnell Fehler passieren. Eine gründliche Prüfung aller Vertragsunterlagen ist Pflicht, am besten durch einen unabhängigen Berater, der gegen Honorar und nicht für eine Verkaufsprovision berät.
Sie konzentrieren sich auf die staatlichen Zulagen und unterschätzen die Steuern in der Auszahlphase. Dabei wird der volle Steuersatz auf das gesamte Guthaben fällig, egal ob Verrentung oder Einmalauszahlung. Vorteilhaft ist diese sogenannte nachgelagerte Besteuerung nur, weil der persönliche Steuersatz mit Renteneintritt in der Regel deutlich sinkt.
In Sachen Rentenpaket hingegen herrscht das große Schweigen. Dabei handelt es sich um das viel folgenschwerere Projekt, wie erste Zahlen belegen. Allein bis Ende April, also noch vor Ablauf des ersten Jahres, haben rund 300 000 Menschen bei der Rentenversicherung einen Antrag auf die neue Frührente ab 63 gestellt. „Wer kann, der greift zu“, klagt Ökonom Feld. „Damit verlassen gerade erfahrene, ältere Facharbeiter früher als nötig den Arbeitsmarkt. Sie fallen nicht nur als versierte Kollegen aus, sondern natürlich auch als Beitragszahler.“
Aber damit nicht genug: So ist die Zahl der Beschäftigten über 63 in deutschen Betrieben pünktlich zur Einführung der neuen Frührente eingeknickt, auch wenn viele Firmen finanzielle Anreize boten, um ihre älteren Arbeitnehmer zu halten. 40.000 erfahrene Mitarbeiter haben sich seit Juli 2014 aus ihren Jobs verabschiedet – ein Minus von immerhin acht Prozent.
Zum ersten Mal seit fast zwei Jahrzehnten ist damit der eigentlich erwünschte Trend gestoppt, dass deutsche Männer im Schnitt später in den Ruhestand gingen. 2014 sank dieses Eintrittsalter erstmalig wieder leicht: von 64, 1 auf genau 64 Jahre.