Rentenreform erreicht den Bundestag Wie Schwarz-Rot jegliche Gerechtigkeit sprengt

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Zuerst wird geplündert - Die Rechnung

Wann die Europäer in Rente gehen
DeutschlandDie Arbeitnehmer in Deutschland sind nach Informationen der „Bild-Zeitung“ im vergangenen Jahr so spät in Rente gegangen wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Gleichzeitig sanken die Abschläge wegen vorgezogenen Renteneintritts auf den niedrigsten Wert seit 2003, berichtet die Zeitung unter Berufung auf die neueste Rentenzugangsstatistik der Deutschen Rentenversicherung. Danach stieg das durchschnittliche Renteneintrittsalter der Männer 2012 von 60,9 auf 61,2 Jahre. Frauen gingen mit 61 (2011: 60,8) Jahren in Rente. Das waren die höchsten Werte seit mehr als 20 Jahren. Im Jahr 2000 wechselten Männer noch im Schnitt mit 59,8 Jahren aufs Altenteil, Frauen mit 60,5 Jahren. Quelle: dpa
FrankreichAuch in Frankreich ist das Renteneintrittsalter gestiegen: 2009 - vor der Anhebung der Altersgrenze - gingen die Franzosen noch mit durchschnittlich 59,3 Jahren in Pension, 2012 waren sie im Schnitt 62 Jahre und 2 Monate alt (2011: 61 Jahre und 11 Monate). Wer vor seinem 20 Lebensjahr angefangen hat zu arbeiten und in die Rentenkasse einzuzahlen, darf bereits mit 60 Jahren aufs Altenteil wechseln, ohne Abschläge befürchten zu müssen. Quelle: AP
Griechenland2012 haben sich die griechische Regierung und die Troika aus Europäischer Zentralbank, Europäischer Union und Internationalem Währungsfondsdarauf geeinigt, das Renteneintrittsalter in dem Schuldenstaat anzuheben. Seit dem gehen die Griechen - zumindest nach Plan - mit 67 statt wie zuvor mit 65 Jahren in den Ruhestand. 2011 betrug das durchschnittliche Renteneintrittsalter in Griechenland 61,4 Jahre. Quelle: dpa
ItalienItalienische Frauen verbringen inzwischen durchschnittlich 27,3 Jahre im Ruhestand, Männer knapp 23. In Rente gehen die Italiener im Schnitt mit 60,8 Jahren. Wenn sie keine Abschläge hinnehmen wollen, müssten sie eigentlich bis 62 arbeiten. Quelle: AP
Spanien2011 hat sich auch die spanische Regierung angesichts eines gigantischen Schuldenberges dazu entschlossen, die Altersgrenze anzuheben: Wie auch in Deutschland und Griechenland soll das Renteneintrittsalter schrittweise auf 67 Jahre angehoben werden. Zuvor gingen die Spanier im Schnitt mit 62,6 statt 65 Jahren in Rente. Beschäftigte, die bereits 38,5 Jahre gearbeitet haben, haben allerdings weiterhin ab dem 65 Lebensjahr einen Anspruch auf volle Rentenbezüge. Quelle: dapd
GroßbritannienSeit 2011 gibt es in Großbritannien kein offizielles Rentenalter mehr. Die Briten können also selbst entscheiden, wann sie in den Ruhestand gehen. Zuvor konnten die Briten mit 60 Jahren (Frauen) beziehungsweise 65 Jahren (Männer) die Arbeit Arbeit sein lassen. Das tatsächliche Eintrittsalter lag vor der Abschaffung des Rentenalters bei 63,1 Jahren. Quelle: AP
IrlandDie Iren arbeiten am längsten: So müssen auf der grünen Insel Männer und Frauen noch bis 65 arbeiten und tun es auch - zumindest bis sie (im Durchschnitt) 64,1 Jahre alt werden. Wegen des Schuldenberges der grünen Insel erhöht die irische Regierung nun schrittweise das Rentenalter von 65 auf 68 Jahre. Quelle: AP

Mehr als neun Milliarden Euro, später sogar elf Milliarden Euro jährlich, wird das ganze Rentenpaket kosten. Allein in dieser Legislaturperiode summiert sich die Rechnung für den gesamten Leistungskatalog auf insgesamt 32 Milliarden Euro, bis 2030 gar auf 160 Milliarden – mögliche Nachwirkungen für andere Sozialkassen oder den Fiskus sind dabei noch gar nicht eingerechnet. Wie sehr sich die Bundesregierung dabei vom einstigen Prinzip fairer Lastenverteilung entfernt, hat die Rentenversicherung in einer internen Rechnung penibel beziffert: Mit 60 Prozent müssen die Beitragszahler den Löwenanteil stemmen, 15 Prozent übernehmen die Steuerzahler, ein Viertel die Rentner. Arbeitnehmer und Arbeitgeber alleine kommen also in den nächsten 15 Jahren mit fast 100 Milliarden Euro für die Reformen auf.

Diese heftige Unwucht entsteht, weil die Bundesregierung zunächst die Beitragsrücklage der Rentenversicherung in Höhe von mehr als 30 Milliarden Euro bis 2017 fast vollständig verfrühstückt, neue Steuermittel aber nur in geringer Dosis in die Umlage träufelt. Unter den Nebenbedingungen „keine Steuererhöhungen“ und „ausgeglichener Haushalt“ wären die üppigen Wahlversprechen sonst nur mit schmerzhaften Maßnahmen zu finanzieren gewesen. Diese ungemütliche Option wollte keiner ziehen.

„Es handelt sich de facto um eine Umgehung der Schuldenbremse, wenn der Bund die Leistungsausweitung nicht über den Haushalt, sondern aus der Rentenkasse bezahlt“, kritisiert die Ökonomin Gisela Färber, Mitglied im Sozialbeirat des Bundesarbeitsministeriums. Doch derartige Warnungen werden nichts mehr ändern. Die Plünderung der Rentenkasse bildet somit die dunkle Seite von Wolfgang Schäubles glänzenden Haushaltszahlen.

Graphik Rente Quelle: Gesetzentwurf, Rentenversicherungsbericht, R.Schnabel (Uni Duisburg)

So kommt die vermeintliche Gerechtigkeitsoffensive erst einmal ohne Preisschild – allerdings nur scheinbar. Schon in diesem Jahr fallen die Rentenerhöhungen wegen der gestrichenen Beitragssenkung magerer aus. Spätestens 2018 steigt dann der Beitrag sprunghaft an, parallel dazu wird das Rentenplus automatisch noch kleiner. Aufgrund der Reform wird der Beitrag in der Zukunft stärker steigen, als ohnehin nötig gewesen wäre, gleichzeitig sinkt das Rentenniveau deutlicher (siehe Grafik). Beide Kenngrößen treibt Schwarz-Rot hart an die gesetzlich gerade noch erlaubten Grenzen. „Das ist das Gegenteil von generationengerecht“, klagt Wolfgang Gründinger von der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen.

Diese Entwicklungen dürften eigentlich einer SPD-Ministerin überhaupt nicht gefallen. Höhere Versicherungsbeiträge belasten schließlich ausgerechnet die Klein- und Kleinstverdiener, die kaum oder gar keine Einkommensteuer zahlen, wie eine soziale flat tax. Und das sinkende Rentenniveau drückt gerade fleißige Arbeiter mit geringen Einkommen im Rentenalter immer näher an die Grundsicherungsgrenze. Die Delegitimierung der Rentenkasse schreitet damit voran.

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