Rentenreformen Rentenpolitik zwischen Wahn und Weitsicht

Die große Koalition ringt um gleich mehrere Rentenreformprojekte. Deren hervorstechende Merkmale: teuer und meist auch überflüssig, denn unser Rentensystem steht gar nicht schlecht da. Wo Reformen ansetzen sollten.

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Rentnerin mit Rentenbescheid Quelle: dpa Picture-Alliance

Sprache macht Politik. Diese Regel gilt im Guten, aber auch im Schlechten. Und schmerzlich bewiesen wird sie gerade wieder einmal von der Bundesregierung – in der Rentendebatte.

Es geht in diesem hitzigen Herbst um ziemlich viel gleichzeitig: Die betriebliche Vorsorge soll gestärkt, Armut im Alter verhindert und die Renteneinheit zwischen West und Ost endlich hergestellt werden – vor allem aber soll Rettung her für das sinkende Rentenniveau. Die Parteichefs Horst Seehofer (CSU) und Sigmar Gabriel (SPD) waren die Ersten, die hier politisch verwertbares Angstpotenzial witterten. Mittlerweile stellt auch die zuständige Bundessozialministerin Andrea Nahles (SPD) gesetzliche „Haltelinien“ in Aussicht.

Ein sinkendes Rentenniveau – wer wollte das schließlich? Das Problem ist nur: Bei genauem Hinsehen ist die Lage weit weniger dramatisch, als die Wortwahl suggeriert. Denn das offizielle Rentenniveau ist kaum mehr eine fiktive Größe, die die Rentenhöhe eines Durchschnittsarbeitnehmers ausweist, der 45 Jahre lang brav eingezahlt hat. Dass diese Kennziffer in den kommenden Jahren nach unten drehen wird, bedeutet nur, dass die Renten in Zukunft weniger stark steigen werden als die Löhne – steigen werden sie aber trotzdem.

Altersvorsorge: So viel Rente darf der Standardrentner erwarten

Hinzu kommt: Wer zusätzlich privat spart, dessen Altersversorgung dürfte auch ohne neuerliche Eingriffe der Regierung recht stabil bleiben – so weist es selbst der Rentenbericht der sonst so alarmierten Regierung aus. Auch dort wird zwar mit einigen fragwürdigen Annahmen operiert, aber die Botschaften bleiben dennoch richtig: Erstens: Der Lebensabend für viele ist sicherer, als es führende Koalitionäre (und auch die Gewerkschaften) derzeit weismachen wollen. Altersarmut wird kein Massenphänomen. Und zweitens: Vorsorge jenseits der gesetzlichen Rente ist so wichtig wie nie.

In Sachsen-Anhalt ist Ihre Rente am meisten wert
Große UnterschiedeRente ist nicht gleich Rente. Je nach Preisgefüge einer bestimmten Region sind 1000 Euro Rente in Deutschland unterschiedlich viel wert. Um bis zu 50 Prozent variiert die Kaufkraft der Ruheständler, das ergab eine Studie des Forschungsunternehmens Prognos im Auftrag der Initiative „7 Jahre länger“. Für die Analyse wurden die Lebenshaltungskosten in insgesamt 402 Landkreisen verglichen. Im Bundesdurchschnitt liegen diese bei 1000 Euro. Der statistische Warenkorb für Lebenshaltungskosten wurde dafür an die Bedürfnisse von Rentnern angepasst. Unter anderem wurden Ausgaben für Ärzte und Medikamente stärker gewichtet. Quelle: dpa
Dom Magdeburg, Sachsen-Anhalt Quelle: dpa
Saarschleife, Saarland Quelle: dpa/dpaweb
Schweriner Schloss, Mecklenburg-Vorpommern Quelle: dapd
Silhouette der Stadt Hannover, Niedersachsen Quelle: dpa
Dom Erfurt, Thüringen Quelle: dpa
Bremer Stadtmusikanten, Bremen Quelle: dpa

Union und SPD bereiten trotzdem ihre Wunschlisten vor, um sich den Bürgern noch vor der Bundestagswahl als Retter zu empfehlen. Fachleuten schwant Böses. „Verantwortungsbewusst“ solle die Politik handeln, warnt selbst der sonst so zurückhaltende Präsident der Rentenversicherung, Axel Reimann: „Die Alterssicherung der Menschen ist ein sensibles Thema, das auch im Wahlkampf seriös diskutiert werden sollte. Ich warne deshalb insbesondere vor zu großen Versprechungen, die dann später nicht zu realisieren sind.“

Zumal die Rücklage in der Rentenkasse noch üppig gefüllt ist, aber kontinuierlich schmilzt. Waren es Ende 2015 noch 34 Milliarden Euro, lag die Reserve Ende September nur noch bei 29,7 Milliarden. Erstmals seit Langem liegt sie damit unter der Marke von 30 Milliarden. Der Grund: vor allem die 2014 erhöhte Mütterrente.

Von Fakten und Argumenten unbeeindruckt

Bislang aber zeigt sich die Regierung von derlei Fakten und Argumenten unbeeindruckt. Mehr noch: Die Koalitionäre schieben unverdrossen gleich mehrere teure, wahlweise heikle bis zweifelhafte Projekte auf den Pokertisch. Die Angleichung des Ost- und Westrentenrechts würde bis zu vier Milliarden Euro pro Jahr kosten – aber die CDU, vor allem im Osten, mauert noch.

„Die Union versucht offenkundig, hinter die Regelung des Koalitionsvertrags zurückzufallen. Das geht nicht. Ich erwarte Treue zum Koalitionsvertrag“, sagt SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel.

Die CSU wiederum hat als Gegengeschäft eine weitere Erhöhung der Mütterrente ins Visier genommen – Kostenpunkt: 6,7 Milliarden Euro pro Jahr. Hier will Nahles aber partout nicht einlenken und lieber die Invalidenrente erhöhen, für rund drei Milliarden. Die teuerste Operation, die Stabilisierung des Rentenniveaus, ist dabei noch gar nicht mitgerechnet.

Die Rentenversprechen - Was die Parteien vorhaben

„Richtschnur muss sein, dass die Lohnnebenkosten dauerhaft unter 40 Prozent bleiben“, warnt der CDU-Mann Michael Fuchs. Doch sein Appell dürfte ungehört bleiben.

Was die Deutschen über die Rente denken
Die eigene Vorsorge hat einen hohen Stellenwert. Fast zwei Drittel der Befragten (61 Prozent) schätzen die private Altersvorsorge als (sehr) gut ein, um für die Rente finanziell ausreichend abgesichert zu sein.Quelle: Forsa hat im Auftrag der KAS Bank 1026 Arbeitnehmer ab 16 Jahre befragt, die nicht selbstständig, verbeamtet oder geringfügig beschäftigt sind und die einen Bezug zum Thema betriebliche Altersvorsorge haben. Quelle: imago images
Dagegen erachtet immerhin noch jeder Zweite, unabhängig von Alter oder Geschlecht, die betriebliche Altersvorsoge für „sehr gut“ oder „gut“ geeignet, um ausreichend für das Alter vorzusorgen (51 Prozent). Quelle: dpa
„Die Rente ist sicher“, versprach einst Arbeitsminister Norbert Blüm. Eine geflügelte Aussage, der nicht mehr viele Menschen vertrauen. Schlappe 15 Prozent halten die gesetzliche Rente noch für eine (sehr) gute Anlageform fürs Alter. Quelle: REUTERS
Frische Erkenntnisse für Ingo Kramer, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände: Unmittelbar nach dem Arbeitsentgelt trägt eine betriebliche Altersvorsorge am stärksten zur Attraktivität und der Wahl eines Arbeitsgebers bei. Männern und Frauen ist die betriebliche Altersvorsorge dabei gleichermaßen wichtig. Quelle: dpa
Weniger bedeutend bei der Wahl des Arbeitgebers sind dagegen vermögenswirksame Leistungen (57 Prozent), das Jobticket (35 Prozent) oder der Dienstwagen (20 Prozent). Quelle: AP
Die Kosten der betrieblichen Altersvorsorge müssen transparent sein, meinen 86 Prozent der Befragten. Quelle: dpa
Hohe Wertsteigerungen haben auch einen großen Stellenwert (70 Prozent) – als weniger wichtig gelten nachhaltige Investitionen (47 Prozent). Quelle: imago images

Dabei hat Schwarz-Rot durchaus auch Sinnvolles zustande gebracht. Die jüngst beschlossene Flexirente erleichtert Arbeit im Alter. Finanzminister Wolfgang Schäuble und Andreas Nahles haben sich zudem im Grundsatz auf eine Stärkung der Betriebsrenten geeinigt, die gerade Kleinunternehmen und Geringverdiener unterstützt.

Würde die Koalition in diesem Geiste weiterarbeiten, müsste sie die meisten offenen Projekte kurzerhand streichen. Stattdessen würde sie die wirklichen Problemfälle – Arbeitnehmer mit wechselvoller Jobbiografie und Kranke – gezielt angehen. Der Haken wäre aber: Wohltaten fielen dann aus.

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