Bislang aber zeigt sich die Regierung von derlei Fakten und Argumenten unbeeindruckt. Mehr noch: Die Koalitionäre schieben unverdrossen gleich mehrere teure, wahlweise heikle bis zweifelhafte Projekte auf den Pokertisch. Die Angleichung des Ost- und Westrentenrechts würde bis zu vier Milliarden Euro pro Jahr kosten – aber die CDU, vor allem im Osten, mauert noch.
„Die Union versucht offenkundig, hinter die Regelung des Koalitionsvertrags zurückzufallen. Das geht nicht. Ich erwarte Treue zum Koalitionsvertrag“, sagt SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel.
Die CSU wiederum hat als Gegengeschäft eine weitere Erhöhung der Mütterrente ins Visier genommen – Kostenpunkt: 6,7 Milliarden Euro pro Jahr. Hier will Nahles aber partout nicht einlenken und lieber die Invalidenrente erhöhen, für rund drei Milliarden. Die teuerste Operation, die Stabilisierung des Rentenniveaus, ist dabei noch gar nicht mitgerechnet.
Die Rentenversprechen - Was die Parteien vorhaben
CSU-Chef Horst Seehofer hatte die jüngste Rentendebatte angestoßen mit der Äußerung, dass die Riester-Rente gescheitert sei und die Kürzung des Rentenniveaus die Hälfte der Bevölkerung in die Sozialhilfe führen würde. Doch ist das nicht Unionslinie. Der Unionsmittelstand fordert sogar eine Stärkung der Riester-Rente. Nach allem, was man hört, könnte die Union im Wahlkampf für ein behutsames Nachsteuern beim Rentenniveau eintreten. Das Verhältnis von Einkommen zur Rente soll wohl doch nicht auf 43 Prozent sinken können, so wie derzeit bis 2030 erlaubt. Die Union will wohl auch die Eigenvorsorge stärken. Diskutiert wird, den Bürgern ein Einheitsprodukt anzubieten.
SPD-Chef Sigmar Gabriel will verhindern, dass die Renten sich zu stark vom Einkommen abkoppeln. Menschen mit kleinem Lohn dürften im Alter nicht reihenweise auf Sozialhilfe angewiesen sein. Im Wert der Rente spiegelt sich für Gabriel auch der Wert der Arbeit. Doch die Reformagenda 2010, die auch die Rente bezahlbar halten sollte, dürfte die SPD nicht komplett zurückdrehen. Die öffentlich geförderte private Zusatzvorsorge abschaffen will die SPD auch nicht. Man will sich aber mehr um das Wohl älterer Arbeitnehmer kümmern.
Um Renten armutsfest zu gestalten, soll nach dem Willen der Partei das Rentenniveau von heute 48 Prozent wieder auf das Niveau vor den Rentenreformen der vergangenen Jahre steigen - auf 53 Prozent. Niemand dürfe nach 40 Beitragsjahren mit einer Rente über Grundsicherung abgespeist werden.
Auch die Grünen wollen, dass die Rente vor Altersarmut schützt. Sie sprechen von einem Rentenniveau von nicht unter 46 Prozent. Geringe Rentenanwartschaften sollen mit einer steuerfinanzierten Garantierente aufgewertet werden. Die rund 2,3 Millionen Selbstständigen ohne obligatorische Alterssicherung sollen verpflichtend in der Rentenversicherung aufgenommen werden.
Die Liberalen wollen flexiblere Renteneintritte möglich machen und Hinzuverdienstgrenzen neben dem Rentenbezug aufheben. Sie treten dafür ein, bei der Grundsicherung im Alter einen Freibetrag für Einkommen aus privater und betrieblicher Altersvorsorge nicht anzurechnen. FDP-Chef Christian Lindner schlug die Zusammenlegung der Grundsicherung im Alter mit der Rente vor.
AfD-Parteichef Jörg Meuthen hatte eine Rente nach Schweizer Modell vorgeschlagen - dort gibt es drei Säulen: die gesetzliche Rentenversicherung, eine kapitalgedeckte Arbeitnehmerversicherung und geförderte Anlagen in private Rentenversicherungen.
„Richtschnur muss sein, dass die Lohnnebenkosten dauerhaft unter 40 Prozent bleiben“, warnt der CDU-Mann Michael Fuchs. Doch sein Appell dürfte ungehört bleiben.
Dabei hat Schwarz-Rot durchaus auch Sinnvolles zustande gebracht. Die jüngst beschlossene Flexirente erleichtert Arbeit im Alter. Finanzminister Wolfgang Schäuble und Andreas Nahles haben sich zudem im Grundsatz auf eine Stärkung der Betriebsrenten geeinigt, die gerade Kleinunternehmen und Geringverdiener unterstützt.
Würde die Koalition in diesem Geiste weiterarbeiten, müsste sie die meisten offenen Projekte kurzerhand streichen. Stattdessen würde sie die wirklichen Problemfälle – Arbeitnehmer mit wechselvoller Jobbiografie und Kranke – gezielt angehen. Der Haken wäre aber: Wohltaten fielen dann aus.