Von Max Härder, Marc Etzold, Konrad Fischer, Bert Losse, Christian Ramthun, Gregor Peter Schmitz und Cordula Tutt.
Volker Kauder, Fraktionschef der CDU/CSU, ist gelernter Jurist. Aber so lange liegt sein Studium zurück, dass der Christdemokrat kokettiert, keine juristischen Fachdiskussionen mehr führen zu können. Derzeit bleiben Kauder diese aber nicht erspart, bei so gut wie jedem Fraktionstreffen tragen besorgte Unionsabgeordnete vor, wie sehr der Flüchtlingsstrom den Rechtsstaat bedrohe.
Vorigen Dienstag, in der ersten Sitzung nach der verstörenden Silvesternacht von Köln, zitierten gleich mehrere aus einem Interview des „Handelsblatts“ mit dem Expräsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier. „Noch nie war in der rechtsstaatlichen Ordnung der Bundesrepublik die Kluft zwischen Recht und Wirklichkeit so tief wie derzeit“, lasen die Abgeordneten einen Papier-Satz vor und zitierten den Juristen weiter: „Das ist auf Dauer inakzeptabel.“
Hintergründe zu den Übergriffen in Köln
Bisher erstaunlich wenig. Zeugen und Opfer berichten - laut Polizei übereinstimmend - von Männern, die „dem Aussehen nach aus dem arabischen oder nordafrikanischen Raum“ stammen. So hat es der Kölner Polizeipräsident Wolfgang Albers auf der Pressekonferenz am Montag formuliert. Demnach soll eine Gruppe von 1000 Männern auf dem Domplatz gewesen sein, die meisten von ihnen zwischen 15 und 35. In kleineren Gruppen sollen sie Frauen umzingelt, sexuell belästigt und ausgeraubt haben, in einem Fall auch vergewaltigt. 90 Anzeigen gibt es bis Dienstagmittag. „Wir haben noch keine konkreten Täterhinweise“, sagt Heidemarie Wiehler von der Direktion Kriminalität.
Von den sexuellen Übergriffen und Diebstählen erfuhr die Polizei Wurm zufolge größtenteils im Laufe der Silvesternacht durch die wachsende Zahl von Anzeigen. Die Taten selbst hätten die anwesenden Polizeibeamten nicht beobachtet, weil diese sich in einer riesigen und unübersichtlichen Menschenmenge abgespielt hätten. Festnahmen habe es keine gegeben, weil Zeugen und Opfer die Täter im Getümmel nicht wiedererkannt hätten.
Die Bundespolizei, die für den Bahnhof zuständig ist, war nach Angaben von Wolfgang Wurm, Präsident der Bundespolizeidirektion Sankt Augustin, mit 70 Kräften vor Ort. Die Kölner Polizei hatte im Bereich Hauptbahnhof und Dom rund 140 Beamte im Einsatz. Einige davon wurden aus anderen Teilen der Innenstadt zum Bahnhof geschickt, als dort die Lage eskalierte. „Für den Einsatz, den wir voraussehen konnten, waren wir sehr gut aufgestellt“, sagt Wurm. Wie sich der Einsatz dann tatsächlich entwickelt habe, sei eine „völlig neue Erfahrung“ und „für uns nicht absehbar“ gewesen: „Dafür hätten wir sicherlich ein wenig mehr Kräfte benötigt.“
Viele Menschen melden sich zu Wort, die der Polizei vorwerfen, mit der Situation überfordert gewesen zu sein und die Lage falsch eingeschätzt zu haben. Der nordrhein-westfälische CDU-Chef Armin Laschet kritisiert auf Twitter: „Erneut unglaubliche Fehleinschätzung der Kölner Polizei.“ Dabei bezieht er sich auf die Einsatzbilanz am Neujahrsmorgen, in der von „ausgelassener Stimmung“, „weitgehend friedlichen Feiern“ und einer „entspannten Einsatzlage“ die Rede war.
Polizeipräsident Albers räumte bei der Pressekonferenz am Dienstag Fehler ein: „Diese erste Auskunft war falsch.“ Sven Lehmann, Vorsitzender der NRW-Grünen, fordert: „Aufgeklärt werden muss auch, warum die Polizei in Köln erneut von einer aggressiv auftretenden Menschenmenge derart überrascht wurde.“ Die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer fragt in der Zeitschrift „Emma“: „Wie ist es erklärbar, dass Hunderte von Frauen unter den Augen eines so massiven Polizeiaufgebotes sexuell belästigt werden?“
Augenzeugen und Opfer berichten in mehreren Medien von ihren Erlebnissen. „Ich hatte das Gefühl, die Polizei und die Sicherheitsleute der Bahn waren nicht nur überfordert, sondern hatten auch Angst, die Lage könnte eskalieren.“ (zitiert der „Kölner Stadt-Anzeiger“ eine Frau aus Overath, die mit ihrer Freundin in der Umgebung des Doms gleich mehrfach von vier bis sechs jungen Männern umkreist worden sein soll).
„Die Stimmung war aggressiv. Plötzlich wurde ich von hinten - ohne dass mein Freund es sah - von mehreren Männern angegrapscht. Ich kann sagen, dass es mehrere waren, da zeitgleich Hände an meinen Brüsten und an meinem Po waren.“(Berichtet eine 40-Jährige dem WDR, die in der Silvesternacht mit ihrem Freund auf dem Weg nach Troisdorf gewesen sein soll)
Vor allem im Hinblick auf den bevorstehenden Karneval kündigt die Polizei an, die Einsatzkräfte bei Großveranstaltungen weiter aufzustocken, auch mit Zivilbeamten. Polizeipräsident Albers zufolge soll auch geprüft werden, ob bestimmte Bereiche stärker mit Videokameras überwacht werden. Über weitere Maßnahmen wollen Polizei und Stadt gemeinsam nachdenken.
Recht sei doch auch immer politisches Recht, also Auslegungssache, lautet Kauders etwas hilflose Replik in der Regel. Recht hat er mit diesem Satz allerdings insofern, als auch Regierungsmitglieder gerade versuchen, mit Recht Politik zu machen. Zurückhaltung ist spätestens seit Köln keine politische Option mehr – und Parteigrenzen scheint es auch nicht länger zu geben. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) und Justizminister Heiko Maas (SPD) kündigten einmütig an, die Hürden zur Ausweisung krimineller Ausländer zu senken. Das ist aber nur der Anfang. Deutschland muss sich auf eine ganz neue Härte in der Flüchtlingsdebatte einstellen:
Bereits kommende Woche könnte das Bundeskabinett Regeln verabschieden, nach denen anerkannte Asylbewerber künftig ihren Wohnort nicht mehr frei wählen können. Bislang gilt das nur für Asylbewerber. Damit soll verhindert werden, dass große Flüchtlingsgruppen weiterhin dorthin ziehen, wo bereits Landsleute leben.
Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Saarlands Ressortchef Klaus Bouillon (CDU), argumentiert: „In vielen Großstädten ist schon jetzt alles knapp.“ Vor allem fehle es an geeignetem Wohnraum. Noch mehr Zuzug überfordere alle, er führe möglicherweise zu „Chaos für die Einheimischen und Obdachlosigkeit für die Flüchtlinge“, so Bouillon.
Als Vorbild zum Gegensteuern könnte der Wohnortzwang dienen, der in den Neunzigerjahren für Hunderttausende Spätaussiedler aus den Exsowjetrepubliken galt. Damals bestimmte der Staat per Zuweisungsgesetz, dass die Neulinge zwei bis drei Jahre an einen Ort gebunden seien. Bouillon mahnt zur Eile, Flüchtlinge müssten Einschränkungen hinnehmen. „Sonst klappen die Ballungsräume zusammen, und es bilden sich womöglich an manchen Orten Ghettos.“
Die Bundesagentur für Arbeit registriert, dass es anerkannte Asylbewerber in wenige Zentren zieht statt in Schrumpfregionen und Kleinstädte, in denen es oft mehr Arbeitsplätze als Bewerber gebe. Afghanen sammeln sich eher in Hamburg. Syrer treffen sich vorrangig in NRW und im Saarland. Pakistanis steuern häufig das Rhein-Main-Gebiet an (siehe Grafik).
Der geplante Flüchtlingsausweis soll diese Kräfte bremsen. Name, Geburtsort, Fingerabdruck sind darin vermerkt – ebenso wie die zuständige Kommune. „Geld gibt es nur für die, die am eingetragenen Ort bleiben. Das müssen die Flüchtlinge akzeptieren“, skizziert Bouillon.
Zwei Millionen Überstunden, 14 Stunden Dienst am Stück
Seit die Bundespolizei auch die deutsch-österreichische Grenze bewachen muss, kommt sie mit der Arbeit gar nicht mehr hinterher. 14 Stunden am Stück waren die Polizisten im Dienst, in der Spitze waren rund 2000 Beamten eingesetzt, sie haben mittlerweile rund zwei Millionen Überstunden angehäuft. Von Grenzsicherung könne aber keine Rede sein, klagen sie, es gehe fast ausschließlich um die Registrierung und Betreuung von Flüchtlingen.
„Wir sind eine Art Busunternehmen für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge“, kritisiert Jörg Radek, Vizechef der Gewerkschaft der Polizei (GdP). „Dafür hinterlassen wir an den Bahnhöfen Sicherheitslücken.“ Nach Informationen der GdP stehen die 27 Hundertschaften Bereitschaftspolizei des Bundes nur noch auf dem Papier. Bestenfalls seien sechs Hundertschaften jenseits der Grenze einsatzbereit, „Im Notfall kann der Bund die Länder kaum unterstützen“, sagt Radek.
Zwar will der Bundesinnenminister die Bundespolizei um 3000 Beamte aufstocken, doch das dürfte dauern. Erst im August 2019 sollen die ersten 1000 Polizisten ausgebildet sein, der Rest würde bis 2021 folgen. Zu langsam und zu wenig, findet Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft: „Um die öffentliche Sicherheit gewährleisten zu können, sind mindestens 20.000 zusätzliche Planstellen bei der Polizei nötig.“
Viele Länder haben aber bei der Polizei gespart, vor allem in Ostdeutschland. Jetzt diskutieren etwa Sachsen-Anhalt und Thüringen über einen Stopp der Verschlankung, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern haben bereits konkrete Schritte eingeleitet. Nachholbedarf in Sachen innere Sicherheit hat vor allem NRW, wo die Großstädte bei der Aufklärung von Straftaten besonders schlecht abschneiden (siehe Tabelle). Hessen hat den geplanten Stellenabbau bei der Polizei vorerst abgeblasen.
In diesen Städten wird am meisten geklaut
Den letzten Platz im Ranking der deutschen Städte, in denen am meisten geklaut wird, belegt Erfurt. Je 100.000 Einwohner wurden hier im Schnitt 746 Ladendiebstähle angezeigt. In absoluten Zahlen: 1519 Delikte. Soweit berichtet es die Kriminalstatistik. Der reale Wert dürfte allerdings weit höher liegen: Über 90 Prozent der verübten einfachen Ladendiebstähle bleiben unentdeckt, die Kriminalstatistik erfasst nur drei bis vier Prozent der Gesamtzahl der verübten Ladendiebstähle.
Ladendiebstahl: Diebstahl von ausgelegter Ware durch Kunden während der Geschäftszeit. Fehlende Ware, die erst bei Inventuren festgestellt wird und zur Anzeige kommt, wird bei der Polizei im Bereich „einfacher Diebstahl“ katalogisiert. Zudem werden gestohlene Waren nicht als jeweils ein Diebstahlvorgang pro Produkt aufgenommen, sondern als ein Delikt. Das heißt: Ein auf „frischer Tat“ ertappter Dieb mit drei gestohlenen Produkten stellt in der Statistik ein Delikt dar. Auch 1000 gestohlene Stifte, die bei der Inventur festgestellt werden, sind in der Polizeistatistik ein Delikt. Bei einem Diebstahl von geringwertigen Sachen - Diebesgut unter einem Wert von 25 Euro - wird die Tat nur auf Antrag von den Behörden verfolgt.
Quelle: Shopping.de, Stand: 10.11.2014, Angaben zu Straftaten basieren auf PKS der zuständigen Polizeidienststellen 2013 und 2012 und PKS Bundeskriminalamt 2013 und 2012. EHI Retail Institute: Inventurdifferenzen 2011, "The Smart Cube": Das „Globale Diebstahlsbarometer 2013/14“. Alle Angaben ohne Gewähr.
Die Kaiserstadt Aachen belegt Platz 29. 1793 Ladendiebstähle wurden hier im Jahr 2013 verübt. Das entspricht 747 Diebstählen pro 100.000 Einwohner.
Auf Platz 28 befindet sich Ulm. Hier wurden zwar nur 889 Ladendiebstähle verübt, je 100.000 Einwohner sind das jedoch 754.
Osnabrück hatte 1756 Diebstähle zu verzeichnen. (756 je 100.000 Einwohner). Im Ranking bedeutet das Platz 27.
Platz 26 belegt die Domstadt und rheinische Metropole Köln. Im Jahr 2013 gab es dort 758 Ladendiebstähle je 100.000 Einwohner. In absoluten Zahlen sind das 7764 Straftaten.
Auf Platz 25 landet Hildesheim. 759 Ladendiebstähle wurden dort 2013 verübt. Das entspricht 765 je 100.000 Einwohner.
In Würzburg gab es 2013 769 Ladendiebstähle auf 100.000 Einwohner gerechnet. Insgesamt waren das 958 Delikte.
1823 Ladendiebstähle wurden 2013 von der Kriminalstatistik in Halle an der Saale erfasst. Das sind 788 je 100.000 Einwohner.
751 Diebstähle je 100.000 Einwohner gab es in Siegen. Absolut sind das 785 Straftaten. Im Ranking der 30 deutschen Städte, in denen am meisten geklaut wird, hat Siegen die geringste Aufklärungsquote: 89,3 Prozent der erfassten Fälle wurden von der Polizei gelöst.
Die höchste Aufklärungsquote (97 Prozent) hat Göttingen. Mit 808 Straftaten je 100.000 Einwohner liegt die Stadt auf Platz 21. Insgesamt wurden 942 Ladendiebstähle erfasst.
Die Hansestadt Hamburg liegt auf Platz 20. 14.102 Ladendiebstähle wurden 2013 von der Kriminalstatistik erfasst. Das sind 813 je 100.000 Einwohner.
Ebenfalls 813 Straftaten je 100.000 Einwohner wurden in Offenbach (Main) verzeichnet. Das sind in absoluten Zahlen 951 Delikte.
In Lübeck wurden 1727 Ladendiebstähle verzeichnet, das sind 816 je 100.000 Einwohner.
Auf Platz 17 befindet sich Nürnberg mit 819 Diebstählen je 100.000 Einwohner. Das sind 4055 Straftaten.
In Frankfurt (Main) gab es 2013 5775 Delikte im Bereich Ladendiebstahl. je 100.000 Einwohner sind das 840 Diebstähle.
In Bremen wurden 4730 Ladendiebstähle angezeigt. Je 100.000 Einwohner sind das 866 Diebstähle.
In Freiburg im Breisgau gab es 1904 Anzeigen wegen Ladendiebstahl (873 je 100.000 Einwohner).
2596 Delikte waren es 2013 in Karlsruhe. Je 100.000 Einwohner sind das 877.
In Chemnitz wurden 2013 888 Delikte je 100.000 Einwohner angezeigt. In absoluten Zahlen sind das 2143.
Platz 11 geht an Trier. Hier wurden 2013 948 Ladendiebstähle angezeigt. Je 100.000 Einwohner sind das 890.
Bremerhaven befindet sich mit 974 Anzeigen wegen Ladendiebstahl auf Platz 10 der Liste. 899 angezeigte Ladendiebstähle sind das je 100.000 Einwohner.
Auf Platz 8 landet Pforzheim. Hier wurden 1056 Ladensiebstähle in der Anzeigenstatistik erfasst. Das entspricht 907 Diebstählen je 100.000 Einwohner.
In Hannover wurden 2013 je 100.000 Einwohner 930 Ladendiebstähle verzeichnet. Das sind 4782 angezeigte Diebstähle insgesamt.
Die Bundeshauptstadt liegt auf dem 7. Platz. Insgesamt wurden 33.363 Ladendiebstähle angezeigt. Das sind 988 je 100.000 Einwohner.
1002 angezeigte Delikte je 100.000 Einwohner gab es 2013 in Kassel. Das sind 1932 Diebstähle.
Auf Platz 5 liegt Dortmund. Die Ruhrgebietsmetropole verzeichnete 5853 Anzeigen wegen Ladendiebstahl. Das entspricht 1023 Delikten je 100.000 Einwohner.
In Leipzig gab es 1039 angezeigte Ladendiebstähle je 100.000 Einwohner. Das sind in absoluten Zahlen 5409.
In Saarbrücken gab es 1911 Ladendiebstähle, die zur Anzeige gebracht wurden. Das entspricht 1080 Delikten je 100.000 Einwohner.
Auf Platz zwei befindet sich Regensburg. Hier wurden 1085 Ladendiebstähle je 100.000 Einwohner angezeigt. Das entspricht 1501 Delikten in absoluten Zahlen.
Auf Rang eins der Städte, in denen am meisten geklaut wird, befindet sich Magdeburg. Hier wurden 2834 Diebstähle angezeigt - 1233 je 100.000 Einwohner.
Nur Baden-Württemberg hält bislang an seiner Polizeireform fest, bei der aus insgesamt 41 Polizeidirektionen zwölf Großpräsidien werden. Auch diese Reform verfolgt aber ein klares Ziel: Am Ende soll es mehr Polizisten auf den Straßen geben, nicht weniger.
Im September 2015 verzeichnete die Asyl-Datenbank Easy genau 1251 Algerier, die in Deutschland Zuflucht suchten. Im Dezember waren es bereits 2296. Noch drastischer war die Entwicklung bei Marokkanern: Aus rund 700 Registrierten im Herbst wurden im Dezember fast 2900. Er sähe diese Sprünge „mit Sorge“, erklärte Innenminister de Maizière vorige Woche. Eine mögliche Reaktion formulierte er aber nicht.
Wenige Tage später nahm ihm die CSU bei ihrer Klausurtagung in Wildbad Kreuth diese Aufgabe ab: Marokko und Algerien sollten so schnell wie möglich zu sicheren Herkunftsländern erklärt werden, um Asylantragsteller schnell wieder in die Heimat zurückschicken zu können, forderten die Christsozialen. Diese Strategie hat mit Ländern wie Albanien, Kosovo und Serbien gut funktioniert. Von dort kommen mittlerweile kaum noch Asylbewerber ins Land.
Die Bundesregierung operiert hinter den Problemen her
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) signalisierte in Kreuth Unterstützung. Jedoch blockt in diesem Punkt noch der Koalitionspartner: Rückführungsabkommen seien das bessere Mittel, argumentiert SPD-Generalsekretärin Katarina Barley. Abschiebungen scheitern ausgerechnet bei Marokkanern und Algeriern tatsächlich häufig daran, dass die staatlichen Stellen keine Passersatzpapiere ausstellen. Diese sind aber meist nötig, weil Originale oft von den Flüchtlingen vernichtet wurden.
Nur ein Beispiel, das zeigt, wie sehr die Bundesregierung von der Wirklichkeit getrieben wird – und wie sehr sie den Problemen hinterheroperiert. Welche Arbeit finden Flüchtlinge? Wie sollen Schulen und Kitas die gewaltige Last schultern? All diese entscheidenden Fragen drohen bereits wieder in den Hintergrund zu rücken.
Mit jedem Monat, in dem weitere 100.000 Flüchtlinge die deutsche Grenze passieren, verschiebt sich die Grenze des politisch Vertretbaren. Die Folge: Was vor Wochen noch undenkbar erschien, kann kurze Zeit später ein Akt der Vernunft sein.
Noch lehnt Merkel etwa vehement ab, was CDU-Innenpolitiker Armin Schuster vorschlägt. Der frühere Bundespolizist will möglichst viele Schengen-Staaten Grenzkontrollen einführen lassen, damit nur noch die reinkommen, die aufgrund besonderer humanitärer Gründe nicht zurückgewiesen werden können. „Wir können offene Grenzen in Europa nur retten, wenn wir sie jetzt für eine gewisse Zeit sichern“, sagt Schuster.
Merkel fürchtet aber dann einen „Kaskadeneffekt“, weil alle Länder sich abriegelten und selbst akut verfolgte Flüchtlinge keine Chance mehr hätten. Dann werde Europa erneut zur Festung. Es dauere Monate, die lange deutsche Grenze mit einem Zaun zu sichern – und in dieser Zeit kämen besonders viele Flüchtlinge.
Freilich kommen auch jetzt nach wie vor sehr viele. In den ersten elf Tagen dieses Jahres dokumentierte die Bundespolizei an der Grenze fast 2500 Flüchtlinge pro Tag, trotz Schnee und Eiseskälte. „Ich kann rechnen“, sagte Kanzlerin Merkel gerade vor CSU-Abgeordneten. „Das ist noch zu viel.“