




Herr Jungblut, die EU berät heute Strategien gegen Jugendarbeitslosigkeit. Auch in Deutschland liegt die Arbeitslosenquote von Jugendlichen trotz Wirtschaftsboom bei 7,6 Prozent. Wieso?
Michael Jungblut: Jedes Jahr verlassen bis zu 60.000 Jugendliche ohne Abschluss die Schule. Dazu kommen noch bis zu 50.000 mit schlechten oder sehr mäßigen Noten - und die haben schlechte Chancen auf einen Ausbildungsvertrag.
Ist das deutsche Bildungssystem Schuld?
Auch. Der Unterricht ist in den vergangenen Jahren nicht besser geworden. Viele Bundesländer schraubten stattdessen die Anforderungen eher nach unten, damit möglichst viele mit einem Abschlusszeugnis von der Schule gehen können.

Warum?
Viele Arbeitgeber achten nur auf die Schulnoten und sortieren die Bewerbungen dieser vermeintlichen Schulversager direkt aus. Das ist sicherlich ein Fehler. Außerdem haben wir viele junge Menschen, die eine Ausbildung anfangen, sie aber wieder abbrechen: 20 Prozent hören vor dem Ende der Lehre wieder auf, weil sie zum Beispiel feststellen, dass sie den falschen Beruf haben, der nicht ihre Erwartungen erfüllt. Das sind nochmal 100.000. Bei den Studierenden sieht das ähnlich aus. Da stimmt irgendetwas nicht – und das muss verbessert werden.
Zur Person
Michael Jungblut ist Journalist und hat bis 2002 die Sendung WISO im ZDF moderiert. Seit 2007 gibt er ein Magazin für Geld, Steuern und Recht raus. Er sitzt außerdem in der Jury des Deichmann-Förderpreises für Integration. In seinem neuen Buch „Keiner muss draussen bleiben. 44 Erfolgsmodelle gegen Jugendarbeitslosigkeit“ hat sich Michael Jungblut auf die Suche nach Alternativen jenseits der eingefahrenen Wege des Bildungsbetriebs gemacht.
Und wie?
Die Berufsorientierung sollte früher beginnen, so dass die Jugendlichen über die Schule einen realen Kontakt zur Berufswelt bekommen. Oder indem sie Praktika machen - und zwar solche, die auch von den Firmen ernstgenommen werden. Das sollte eben keines sein, bei dem die Jugendlichen nur sinnlos beschäftigt werden oder still in einer Ecke sitzen. Sie sollen echte Aufgaben und vielleicht sogar ein bisschen Verantwortung bekommen. Erst dann stellen sie vielleicht fest, dass sie an Berufen Spaß haben, an die sie früher vielleicht gar nicht gedacht haben. Oder dass der Wunsch – angeregt vom Fernsehen und schönen Filmen - Gerichtsmedizinerin zu werden, in Wirklichkeit gar nicht so hübsch ist wie gedacht.
Was muss die Politik tun?
Die politischen Rahmenbedingungen sind gar nicht so wichtig. Es kommt mehr auf die private Initiative von Eltern, Lehrern und Unternehmen an. Immer wenn Dinge staatlich verordnet werden, funktionieren sie nur mäßig oder es fehlt das Geld. Engagierte Schulen bekommen für gute Ideen oft nichts extra.
Was macht die EU gegen Jugendarbeitslosigkeit?
Für die sogenannte Jugendgarantie sind sechs Milliarden Euro bis zum Jahr 2020 einplant. Auf diese EU-Gelder können die Staaten zurückgreifen, um Menschen unter 25 Jahren innerhalb von vier Monaten zu einer Arbeit, einer Ausbildungsstelle oder einem Praktikum zu verhelfen. Die EU-Kommission setzt sich dafür ein, dass vorgesehene Fördergelder schneller zum Einsatz kommen und schon in den kommenden beiden Jahren verwendet werden. Allerdings steht die endgültige Einigung auf den Finanzrahmen 2014 bis 2020 der Union noch aus.
Schon 2012 hatten die EU-Staats- und Regierungschefs beschlossen, das Kapital der Hausbank der EU um 10 Milliarden Euro aufzustocken, um sie schlagkräftiger zu machen. EIB-Präsident Werner Hoyer hat nun im Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit eine Vorfinanzierung von EU-Initiativen angeboten. „Wir sollten überlegen, das vorzufinanzieren, um rasch Wirkung zu erzielen“, sagte Hoyer der „Welt am Sonntag“.
Die EU verstärkt ihren Kampf gegen die gefährliche Kreditklemme für Mittelständler in südeuropäischen Krisenländern. EU-Kommission und Europäische Investitionsbank (EIB) wollen dafür EU-Töpfe wie Regionalförderung und Forschungsrahmenprogramm mit Geldern der EIB kombinieren, um mehr Bürgschaften zu vergeben.
Wie kommt es dazu, dass die Praktika eher schlecht sind?
Das fängt mit den Schulen an, die verpflichtet sind, berufliche Orientierung zu geben: Betriebe werden besichtigt, wo zwar vieles gezeigt wird. Aber die meisten Schüler interessiert das nicht, weil sie gar nicht in diesem Berufsfeld arbeiten möchten. Bei Praktika haben wir ein ähnliches Phänomen: Statt die Chance zu sehen, Leute für dieses Berufsfeld zu begeistern und zu motivieren, werden sie in die Ecke gestellt. Aber es gibt auch positive Beispiele, die es schaffen, den jungen Menschen klarzumachen, dass Lernen einen Sinn hat. Gerade Schulverweigerer sehen den aber oft nicht.
An welche positiven Beispiele denken Sie?
In Stuttgart gibt es in einer Schule mit einem Migrationshintergrund von 80 Prozent ein sogenanntes Peer-Programm: Den Schülern, deren Eltern kaum Lesen und Schreiben können, werden Menschen zur Seite gestellt, die es zu etwas gebracht haben. Das Besondere an dem Programm: Die Menschen kommen aus dem gleichen Kulturkreis. Sie nehmen die Schüler an die Hand und sind Vorbild für sie: „Mach es wie wir. Wir sind im Beruf, wir sind integriert. Wir verdienen und wir haben Spaß am Leben.“