Rheinland-Pfalz Dauer-Ministerpräsident Kurt Beck ignoriert Affären und Konkurrenten

Kein Skandal ist groß genug, um Ministerpräsident Kurt Beck auf dem Weg zu seiner vierten Wiederwahl zu stoppen. Mit stoischer Ruhe ignoriert er Affären wie Konkurrenten - und hat damit Erfolg. Eine Annäherung an einen Politikertypus aus längst vergangenen Zeiten.

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Der Ministerpräsident des Quelle: dpa

Mitten im Satz bricht Arnd Spitzlei ab, plötzlich ist keine Zeit mehr für Smalltalk. Er kehrt seinen Gesprächspartnern den Rücken zu, schaut raus auf die Straße. Ein Lächeln huscht über sein Gesicht, das sich zu einem breiten Grinsen auswächst, je klarer ihm wird, wer da kommt. Ohne noch ein Wort zu sagen, läuft er hinaus ins Sonnenlicht.

Eben noch hat Spitzlei, Geschäftsführer der Görres-Druckerei in Koblenz, einem kleinen Pulk von Journalisten erzählt, wie schwer er es gerade hat gegen die Konkurrenz aus dem Internet. Wie wichtig die Fusion mit der Raiffeisen-Druckerei aus Neuwied ist, um das Überleben seines Betriebs zu sichern. Das alles zählt jetzt nicht mehr. Jetzt kommt Kurt Beck.

In drei Wochen wird in Rheinland-Pfalz gewählt. Obwohl die Umfragen der SPD einen Verlust der absoluten Mehrheit vorhersagen, kann von einer Wechselstimmung im Land keine Rede sein. Seit 17 Jahren regiert Beck schon, und obwohl diverse Skandale der vergangenen Monate ihn ein paar Prozente kosten mögen, ist seine Beliebtheit ungebrochen. Beck ist ein Dinosaurier, der den politischen Geist einer von Bonn aus regierten Westrepublik ins Internet-Zeitalter gerettet hat. Einer Republik, in der die Politiker Erfolg hatten, in deren Umgebung sich kein Widerspruch regte – und die ein offenes Ohr für die Menschen hatten.

Trotz Skandalen: Beck bleibt beliebt

Dabei gab es in den zurückliegenden Monaten Affären genug, um ein halbes Kabinett ums Amt zu bringen. Der Justizminister geriet unter Beschuss, weil er den SPD-Wunschkandidaten zum Präsidenten eines Oberlandesgerichts machte und einen kompetenteren, aber parteilosen Bewerber ausbootete. Das Bundesverwaltungsgericht bescheinigte dem Minister einen Bruch des Grundgesetzes, doch Beck hält seinem Mann die Stange.

In Becks Heimatort Bad Bergzabern liefen die Kosten für ein Infrastrukturprojekt aus dem Ruder, Beck hatte seine Finger mit im Spiel, das Innenministerium sponserte das Projekt großzügig und verzichtete auf die vorgeschriebene Prüfung. Ein Unternehmer und Parteifreund von Beck profitierte. Politische Konsequenzen: keine. Für die größten Schlagzeilen sorgte der Nürburgring, wo das Land inzwischen rund 400 Millionen Euro an Steuergeldern verbraten hat. Mit dem Rücktritt von Finanzminister Ingolf Deubel sollte das Thema abgehakt werden — doch ständig tauchen neue Details auf, die das unternehmerische Versagen der von Beck gestützten Strippenzieher um Wirtschaftsminister Hendrik Hering dokumentieren.

Arnd Spitzlei jedoch strahlt, wenn er den ehemaligen Gewerkschaftsfunktionär Beck sieht. Spitzlei ist Unternehmer, nicht gerade typische SPD-Klientel, doch in Rheinland-Pfalz ist das nicht ungewöhnlich. „Alles in allem sind wir schon zufrieden mit der zupackenden Art der Landesregierung“, sagt Horst Schneider, Unternehmensberater aus Mainz und Vorsitzender des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft (BVMW) im Land.

Spitzlei hat von genau dieser Art profitiert. Der Betrieb war am Randes des Bankrotts, die 47 Mitarbeiter hatten die Entlassung vor Augen. Die Landesregierung hat dann die Voraussetzungen für die Fusion geschaffen mit der Druckerei der Raffeisen-Banken. Dauerauftrag für den Druck der Volksbank-Broschüren im ganzen Bundesland heißt das, ein sichereres Geschäft. Und so strahlt Spitzlei nicht ohne Grund.

Politik ohne Bart. Um Julia Quelle: dpa

Beck regiert das ganze Land mit dem Verständnis eines Ortsbürgermeisters. Wo ein konkretes Problem ist, da muss die Politik Abhilfe schaffen. Oder wie Beck das in seiner Autobiografie beschreibt: „Bei denen, die mit Vorliebe Grundsatzpapiere schreiben, muss ich mich entschuldigen – ich lese sie wirklich nicht gerne.“ Ob es darum geht, für das Lieblingsziel der Ausflügler im südpfälzischen Klingenmünster, die Burg Landeck, einen Spazierweg instand zu setzen, oder ob im nahen Albersweiler der Kanal versandet – kein Einzelfall ist Beck unwichtig.

„Er ist ein Arbeitstier, kämpft sich in Details rein und kümmert sich auch um Kleinigkeiten“, sagt Herbert Mertin, Chef der oppositionellen FDP-Fraktion, die bis 2006 zusammen mit der SPD regiert hatte. Jahrelang hat diese Methode, Politik zu machen, in dem kleinen Bundesland mit seinen kaum drei Millionen Wahlberechtigten erstaunlich gut geklappt. Bis heute sind ihm viele dankbar, dass Beck mit seiner Liebe zum Konkreten nach dem Abzug des Großteils der amerikanischen Streitkräfte Mitte der Neunzigerjahre Lösungen für die leeren Kasernen gesucht hat. Man könnte meinen, dass diese zupackende Art nun zum Problem würde. „Ich glaube ihm nicht, dass er über die Geschehnisse am Nürburgring nur kursorisch informiert war“, sagt Mertin, „das passt so gar nicht zu ihm, der sonst alles selbst in die Hand nimmt.“ Doch am Gescholtenen perlen sämtliche Affären ab. In seinen Wahlkampfreden erwähnt Beck sie nur beiläufig.

Kein schlechtes Wort

Wer ihn bei seinen Touren durchs Land beobachtet, wird vielmehr Zeuge eines Personenkultes, der nur deshalb kaum als solcher zu erkennen ist, weil Beck selbst so gar nichts von einer Lichtgestalt hat. Selbst die Opposition richtet ihren Wahlkampf nach drei erfolglosen Anläufen weitgehend an seiner Person aus. „Politik ohne Bart“ prangt neben der CDU-Spitzenkandidatin Julia Klöckner auf den Plakaten. Der Landesvater ist so präsent, dass die Opposition ihre einzige Chance darin sieht, sein Image zu beschädigen.

Genau damit macht sie ihn zusätzlich stark. Denn obwohl Beck durchaus ein aufbrausendes Temperament nachgesagt wird: Angriffe der Opposition lächelt er weg. Selbst als er bei der Basiskonferenz zum Wahlkampfauftakt allein mit seinen eigenen Leuten ist, nimmt Beck über die politischen Gegner kein schlechtes Wort in den Mund, über seine Konkurrentin Klöckner sagt er bloß: „Ich kenne die Frau nicht.“ Bei vielen Veranstaltungen spricht er nicht einmal Klöckners Namen aus. Beck gibt den Kümmerer und Versöhner, demonstriert Ruhe und Souveränität — und die Opposition strampelt sich derweil aufgeregt an ihm ab.

„Er hat eine dicke Elefantenhaut“, sagt Eveline Lemke, Spitzenkandidatin der Grünen, die auf ein Comeback im Landtag hofft und nach der Wahl mit Beck möglicherweise eine Koalition bilden muss. „Die Partei hält dicht, da dringt kein Streit nach draußen. Kurt Beck schweigt zu seinen Fehlern, verweist auf seine Erfolge — und den Rest sitzt er einfach aus.“

Das funktioniert, obwohl sein wirtschaftspolitischer Kurs zuletzt wenig Leuchttürme, aber umso mehr Luftschlösser produziert hat. Die Ära Kurt Beck steht neben erstaunlichen Erfolgen in der Sozialpolitik zunehmend für mieses Management. Beck ist der Mann der kostenlosen Kindergärten und gebührenfreien Universitäten, aber auch der Geldverbrenner vom Nürburgring oder dem Flughafen Hahn, dem Schlosshotel in Bad Bergzabern oder dem Fritz-Walter-Stadion in Kaiserslautern. Es gibt kaum ein Großprojekt, bei dem nicht am Ende der Steuerzahler geradestehen musste. Der Landesrechnungshof befürchtet gar den Verlust der finanziellen Handlungsfähigkeit, wenn das Land seine Neuverschuldung nicht radikal senkt.

Die politische Kreditwürdigkeit von Kurt Beck, dessen Abstecher nach Berlin als SPD-Vorsitzender ein schnelles und unrühmliches Ende fand, ist beim rheinland-pfälzischen Wahlvolk trotz aller Skandale hoch. In Umfragen liegt Beck klar vor seiner Herausforderin Klöckner. Deren Partei macht dem Dinosaurier das Überleben denkbar einfach. Der lange Zeit als chaotisch geltende CDU-Landesverband wurde nach dem Neustart mit Klöckner von seiner eigenen Vergangenheit eingeholt. Es kam heraus, dass ein früherer Fraktionsgeschäftsführer für den Wahlkampf der Partei 2006 illegal Fraktionsgelder verwendet hatte. Außerdem bezahlte er mit der Fraktionskreditkarte in Mainzer und Berliner Bordellen.

Bild vom Landesvater hat sich festgesetzt

Die Vorfälle sind älter, der Schaden ist weitaus geringer als bei den SPD-Affären. Doch aus Sicht der Wähler entscheidend könnte das Motiv sein, das sie dahinter vermuten: Vorteilsnahme, Intrige. Bei Beck hingegen gilt: „Jeden Fehler hat er in der Überzeugung gemacht, damit das Beste für sein Land zu tun.“ So formuliert es ein lang gedienter SPD-Mann aus Becks pfälzischer Heimat. Trotz Abnutzungserscheinungen hat sich in zwei Jahrzehnten Beck das Bild vom Landesvater festgesetzt, der das Beste für jeden einzelnen Bürger des Landes will. Ob er dabei auch immer das Beste tut, scheint für seine Wähler gar nicht von Bedeutung zu sein.

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