
Staatsoberhaupt Joachim Gauck war der Schnellste. Um 11.27 Uhr meldete dpa am 31. Januar den Tod Richard von Weizsäckers. Schon 16 Minuten später versandte das Bundespräsidialamt Gaucks Kondolenzschreiben an die Witwe des Amtsvorgängers. Das Geheimnis der Geschwindigkeit: In Staatskanzleien wie Redaktionen liegen fertig formulierte Briefe und Nachrufe bereit, die sofort veröffentlicht werden können. Persönlich trat Gauck drei Stunden später sichtlich bewegt vor die Presse.
Beim AfD-Parteitag in Bremen bat der Tagungspräsident nicht viel später um eine Schweigeminute. Eine Mischung von betroffenem Raunen und genervtem Seufzen zog durch die Halle. Ein Gutteil der Parteimitglieder sieht den früheren Präsidenten eher als Volksverräter denn als Friedensstifter. Sie kreiden ihm seine Rede vor dem Deutschen Bundestag vom 8. Mai 1985 an, in der er – zum 40. Jahrestag des Kriegsendes – aufräumte mit dem Begriff der Kapitulation und den Frühlingstag im Jahr 1945 zum „Tag der Befreiung“ erklärte.





Diese Rede ist Weizsäckers Vermächtnis, seine größte Leistung für Deutschland. Denn sein zweiter Paukenschlag – der ihm heute in all den Nachrufen als moralpolitische Großtat zugeschrieben wird – hält dieser Einschätzung nicht stand. Der deutsche Parteienstaat sei „machtversessen auf den Wahlsieg und machtvergessen bei der Wahrnehmung der inhaltlichen und konzeptionellen politischen Führungsaufgabe“, hatte von Weizsäcker kritisiert. Das Ansehen der Parteien hat sich von dieser höchsten Rüge nie wieder erholt.
Leider war ihm dieser Missstand erst nach seiner Wiederwahl aufgefallen, also zu Beginn seiner zweiten Amtszeit, nach der für jeden Bundespräsidenten weder eine dritte Runde (verfassungsrechtlich verboten) noch eine andere Verwendung (unschicklich) möglich ist. Mit der späten Schelte machte er sich Helmut Kohl endgültig zum Feind, der ihn einst in die Politik geholt hatte.





Tatsächlich hatte Weizsäcker seit seinem Ausstieg beim Chemie- und Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim ausschließlich in Mandaten und Posten gelebt, die ihm der Parteienstaat beschert hatte. Vom Bundestagsabgeordneten über das Amt des Regierenden Bürgermeisters von Berlin bis zum Staatsoberhaupt. Kohls Hintersassen schimpften den Adligen mit der Gabe zur getragenen Rede danach gern „Richard von Weihwasser“ – und schlimmer.
Dabei ist unbestritten: Richard von Weizsäcker hatte eine Aura wie nur wenige Politiker. Selbst wenn man skeptisch sein Büro betrat, konnte der kluge, stilvolle und liebenswürdige alte Herr den Gast binnen kurzer Zeit für sich gewinnen und beeindrucken. Auf dem Heimweg fragte man sich dann, wie ihm das nur wieder gelungen war.
Am Mittwoch findet nun die offizielle Totenfeier im Berliner Dom statt. Für den heutigen Herrn im Schloss Bellevue ist es der erste Trauerakt für einen Staatsmann-Kollegen. Zum Start seiner Amtszeit hatten Redenschreiber und Mitarbeiter des Protokolls darüber sinniert, dass Gauck im schlechtesten Fall eine ganze Reihe von Staatsbegräbnissen begleiten müsste: Neben von Weizsäcker sahen sie mit Sorge auf Altbundespräsident Walter Scheel, 95 Jahre, die Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt, 96, und Helmut Kohl, 84, sowie den früheren Außenminister Hans-Dietrich Genscher, 87. „Und Christian Wulff“, warf ein Zyniker in die Runde. Das jüngste Staatsoberhaupt aller Zeiten galt nach Rücktritt und familiärer Trennung vielen als gefährdet. Diese Etappe ist zum Glück überwunden.