Richtungsweisender Parteitag der FDP Lindner kann es nicht

One-Man-Show der FDP: Parteichef Christian Lindner. Quelle: imago images

Die FDP braucht einen personellen Neustart. Parteichef Christian Lindner ist eine One-Man-Show, die sich überlebt hat. Er repräsentiert die Liberalen auch inhaltlich nicht mehr. Ein Gastbeitrag.

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Gibt es einen Ausweg aus dem liberalen Geistertheater? Angesichts der politisch dramatischen Umstände für die FDP ist vor wenigen Wochen zurecht ein Kopf an der Spitze der Partei gerollt. Allerdings der falsche. Christian Lindner schickte Linda Teuteberg von dannen. An ihrer Stelle ist auf dem Parteitag an diesem Wochenende Volker Wissing zum neuen Generalsekretär gekürt worden.

Das umgekehrte Manöver wäre für Lindner und die FDP sinnvoller gewesen. So sinnvoll wie Volker Wissing, den Wirtschaftsminister in Rheinland-Pfalz, gleich als Parteichef zu installieren.

Wissing steht im Gegensatz zu Lindner rhetorisch und sachpolitisch auf sehr solidem Grund. Und er hat im Gegensatz zu Lindner exekutive Erfahrung. Schwer vorstellbar, dass er sich aus Schlagzeilen- und Aufmerksamkeitslust zu thematischem Irrlichtern verleiten lässt. Selbst in ausgiebigen, hart geführten TV-Interviews gelingt es Wissing, das inhaltliche Angebot der FDP glaubwürdig zu verkörpern. Im Unterschied zu Lindner wirkt er dabei nicht wie ein ewiger Lehrling, sondern wie ein schlagfertiger und gedanklich souveräner Profi.

Einen Wechsel an der FDP-Spitze noch in diesem Jahr vorzunehmen, ist gewiss nicht ohne Risiko. Aber eine Ablösung Lindners könnte aus vier Gründen schlachtentscheidend sein.

Erstens scharrt die FDP bedenklich nahe an der Fünf-Prozent-Marke herum. Ihre politische Existenz steht auf dem Spiel.

Zweitens braucht die Partei rechtzeitig genug vor den Bundestagswahlen im Herbst 2021 einen personellen Neustart. Zum Glück für die FDP ist Lindner nicht mehr alternativlos.

Drittens nimmt – bei den Wählern, aber wohl auch innerhalb der Partei – dem ebenso selbstverliebten wie Ikarus-haften Sonnengott der Partei niemand mehr den lange überfälligen Übergang zu einem echten Team-Ansatz ab.

Und viertens braucht es an der Spitze der FDP jemanden, der das wirtschaftsliberal-bürgerliche Element mit Regierungs- und Praxiserfahrung darstellen kann. Dies gilt umso mehr, als die CDU/CSU hochgradig lobbyistisch und sozialstaatlich verkrustet ist. Volker Wissing hat im Gegensatz zu Lindner den Vorteil, dass er nicht nur scharfsinnig und scharfzüngig ist, sondern auch souverän wirkt. Als Parteivorsitzender hätte er bei Bedarf seinen eigenen Generalsekretär geben – und Linda Teuteberg im Amt der Generalsekretärin behalten können. Denn dass sich die FDP nicht noch intensiver in ihrem Image als Westmännerverein mittleren Alters verfangen sollte, liegt auf der Hand.

Nach den effekthaschenden Lindner-Jahren ist aber vor allem eine stetig verfolgte programmatische Debatte dringend notwendig. Und Teuteberg bietet, woran es der FDP mangelt. Sie ist jung, aus Ostdeutschland, gedanklich sehr versiert – und im Unterschied zu ihrer Amtsvorgängerin im Amt der Generalsekretärin alles andere als eine „Quotenfrau“.

Lindners Kritik an ihr – es sei ihr nicht gelungen, in der Öffentlichkeit genügend durchzudringen – ist auch insofern lächerlich, als Lindner sein eigenes Amt als Parteivorsitzender immer als das eines rhetorischen Gassenhauers verstanden hat. Wenn Teuteberg in dieser Hinsicht erfolgreich gewesen wäre, wäre Lindner eifersüchtig geworden und hätte auf das Primat des Parteivorsitzenden gepocht, den Glanz der öffentlichen Aufmerksamkeit einzuheimsen.

Überhaupt ist unter Lindners Ägide das Liberale in der praktischen Politik zunehmend zum Reden von Freiheitsberaubung verkommen, ob beim Thema Corona-Beschränkungen oder Tempolimit. Damit hechelte der FDP-Vorsitzende wahlweise der AfD und der CSU hinterher. Das Wort „orientierungslos“ ist noch eine sehr milde Form der Beschreibung dieser Irrungen und Wirrungen.

Auch der Versuch Lindners, die schwachen Umfrageresultate einfach weg zu reden, überzeugt nicht. In Coronazeiten schlage nun mal die Stunde der Exekutive, da könne man nichts machen, meint Lindner. Die weiterhin starken Umfrageergebnisse der Grünen widerlegen ihn. Es ist nichts anderes als eine faule – und schlechte – Ausrede, um seinen eigenen mangelnden Erfolg zu kaschieren. Und dass in einer solchen Situation Maßnahmen wie der vor kurzem erfolgte Relaunch der Personality-Webseite seiner Partei wirklich aus ihrem existenzbedrohenden Umfrageloch heraushelfen werden, darf ernsthaft bezweifelt werden.

Lindner hat sich mit der Wiederbelebung der FDP in den Jahren 2013 bis 2017 gewiss große Verdienste erworben. Doch der pure Aktionismus, den er seitdem an den Tag legt, droht seine stolze Wiederaufbauleistung rückwirkend ungeschehen zu machen. Lindner wirkt oft wie ein Werbemanager, der einen Politiker mimt. Die FDP braucht einen echten Liberalen an ihrer Spitze, keinen Marketingliberalen.


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Dies gilt umso mehr, als Lindner die FDP in eine strategische Sackgasse in der Bundespolitik geführt hat. Im Rückblick betrachtet, hat sich die FDP am 19. November 2017 mit Lindners Ausstieg aus den Jamaika-Verhandlungen womöglich sogar auf einen tragischen Todesmarsch begeben. Die damalige Machtoption ist heute unwahrscheinlich: Es ist kein Szenario absehbar, in dem CDU/CSU und Grüne nicht genügend Stimmen für eine Regierungsmehrheit erringen. Die FDP wird schlicht nicht mehr gebraucht.

Und eine „Ampel-Koalition“ als Juniorpartner von Grünen und SPD ist keine Option, die von den verbliebenen FDP-Wählern goutiert würde. Geschweige denn, dass der Partei zugetraut würde, in einer solchen Koalition personell und fachpolitisch zu bestehen.

Unter diesen Vorzeichen reduziert sich die politische Bedeutung der Liberalen im nächsten Jahr im Wesentlichen auf die Frage, ob sie die Fünf-Prozent-Hürde überspringen wird. Gelingt der FDP dies, ist der politische Nettoeffekt, dass ein grün-rot-rotes Bündnis seinerseits mehr Stimmen erreichen müsste, um eine Regierungsmehrheit zu bilden.

Was nach purer Wahlmechanik klingt, ist in Wahrheit eine eminent politische Frage. Denn selbst wenn der Wiedereinzug ins Parlament gelänge, so wäre die FDP-Fraktion doch mit einem rapiden Abstieg ihres Status konfrontiert. Im aktuellen Bundestag verfügt die FDP nicht nur über einen höheren Stimmenanteil als die Linke, sondern auch als die Grünen. Ihre Stellung als führende nicht angebräunte Oppositionspartei sichert der FDP bis heute eine relativ prominente Präsenz in den Medien, gerade auch in den TV-Nachrichten. Wer mit knapp über fünf Prozent nur noch das hinterste Rad am Oppositionswagen ist, verkommt zur politischen Randerscheinung.



Die düsteren Perspektiven dürften allmählich auch in immer mehr Köpfen von FDP-Bundestagsabgeordneten herumspuken. Sie drohen – trotz zunehmenden Engagements, teils hohen Ansehens und steigender politischer Präsenz – auch ganz persönlich in der politischen Bedeutungslosigkeit zu versinken. Katja Sudings vor kurzem angekündigter Rückzug sowohl aus dem Bundestag als auch der Politik überhaupt ist für diese harsche neue Realität ein erstes klares Signal.

Wenn also nicht noch ein politisches Wunder geschieht, dürfte der 19. November 2017 vielen der zumeist noch jungen FDP-Abgeordneten im Rückblick immer deutlicher als schicksalhafter Tag erscheinen, an dem – jenseits der potenziellen Beteiligung an Landesregierungen – ihre politischen Karrierechancen und Mitregierungsmöglichkeiten negativ besiegelt wurden. Dieser Unmut muss sich über kurz oder lang in Zorn entladen. In Zorn gegen Lindner, den Karrierebeendiger.

Trotz allem hat die FDP noch Chancen. Es gibt nicht mehr die stabilen Wählerschichten wie früher, der Wechselwille ist ausgeprägt. Insofern kann man nicht ausschließen, dass eine FDP unter neuer und vor allem sachpolitisch glaubwürdiger Führung sich in Richtung zehn Prozent bewegen könnte. Das Potenzial ist da.

Insofern kommt dem Parteitag eine viel größere Bedeutung zu, als einen Personalwechsel im Amt des Generalsekretärs zu ratifizieren. Wenn Lindner an der Spitze bleibt, könnte dies im Rückblick als der Tag angesehen werden, an dem sich die FDP einsargt.

Christian Lindner sollte erkennen, dass er als politischer Aktivposten nicht mehr zieht. Dass er ein Negativum für die Partei ist. Er hat den Vorzug, dass er noch jung ist. Er sollte vor allem sich selbst, aber auch seiner Partei die Chance verleihen, einen Karrierewechsel zu unternehmen. Marketing- und Vertriebstalente wie er werden in Unternehmen durchaus gebraucht.

Mehr zum Thema: FDP-Chef Lindner kritisiert im Interview den allzuständigen Rettungsstaat und ringt mit dem anti-liberalen Zeitgeist.

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