Zu deutlich wollte Robert Habeck die Kritik an seinem Gastgeber nicht ausfallen lassen, als er vor dem Weißen Haus vor die Presse trat. Dass die USA mit der Verabschiedung des Inflation Reduction Acts (IRA) ein „Programm für den industriellen Wiederaufbau“ nach einer Phase von Rezession und Inflation beschlossen hätten, sei „hoch willkommen“, so Deutschlands Wirtschaftsminister. Allerdings fänden sich in dem Gesetz auch „einige Passagen“, die problematisch seien und einseitig amerikanische Firmen bevorzugten. „Darüber wird zu sprechen sein.“
Gesprochen wird darüber tatsächlich schon lange. Denn auch wenn Habeck in Washington die Verärgerung in Europa über Teile des IRA nicht zu laut widergeben wollte: Der Schock über das Gesetz sitzt tief. Schließlich beinhaltet es unter anderem Investitionen in Höhe von 369 Milliarden Dollar in Maßnahmen, die den Klimaschutz in der größten Volkswirtschaft der Welt vorantreiben sollen. Teile des Geldes sollen etwa den Erwerb von Elektroautos und den Bau moderner Batterien subventionieren. Allerdings nur, wenn sie zum großen Teil in den USA produziert werden oder ihre Bauteile zum überwiegenden Teil aus Nordamerika kommen.
In Europa stieß das Paket deshalb bereits bei seiner Verabschiedung im August auf Kritik. Die Sorge ist groß, dass angesichts der üppigen Subventionen Investitionen in saubere Energie zunehmend aus Europa in die USA abwandern könnten. Auch fühlen sich europäische Automobilkonzerne benachteiligt. Mancher sieht in den Subventionen gar einen Verstoß gegen die Regeln der Welthandelsorganisation (WTO). Doch an einem verschärften Handelskonflikt mit Washington hat in Europa wohl niemand ein ernsthaftes Interesse.
Deshalb läuft seit Monaten ein Feilschen um die Details des IRA. Seit Oktober soll eine Task Force die wichtigsten Streitpunkte zwischen den Partnern ausräumen. Und tatsächlich zeichnen sich bereits einige Kompromisse ab. Geleaste E-Autos etwa sollen in den Genuss der Subvention kommen, selbst wenn sie nicht die Anforderung an amerikanische Bauteile erfüllen. Und geleaste Autos machen derzeit fast 80 Prozent des US-E-Auto-Marktes aus. Die Einigung war damit ein großer Fortschritt im Interesse der europäischen Konzerne.
Trotzdem: Gigantische Änderungen am IRA sind kaum mehr möglich. Das Gesetz ist bereits seit dem 1. Januar offiziell in Kraft und im Kongress gibt es keine Mehrheit für Abwandlungen. Doch wie die Administration es genau ausgestalten wird, ist noch in der Schwebe. Die finalen Richtlinien sollen im März veröffentlicht werden. Die Zeit drängt also für die Europäer, wenn sie noch etwas erreichen wollen. Der Besuch von Habeck, der am Dienstag von seinem französischen Amtskollegen Bruno Le Maire begleitet wird, soll nun noch einmal unterstreichen, wie wichtig den Europäern das Thema ist.
Zumindest vordergründig zeigte sich die Biden-Administration konziliant. Bereits am Montag durfte Habeck seine Bedenken bei Energieministerin Jennifer Granholm anbringen. Am Dienstag stehen dann Termine unter anderem bei Finanzministerin Janet Yellen und Handelsministerin Gina Raimondo auf dem Programm. Auch im Weißen Haus werden die europäischen Minister vorstellig werden, beim Nationalen Sicherheitsrat und bei Bidens scheidendem Wirtschaftsberater Brian Deese. Auch Außenminister Antony Blinken wird sich mit Habeck treffen. Einige der wichtigsten Türen in Washington stehen dem Vizekanzler also offen.
Das hat Gründe. Biden will seine Verbündeten nicht unnötig vor den Kopf stoßen. Schließlich will der Präsident die großen Krisen des Planeten am liebsten gemeinsam mit den Europäern angehen – sei es der Krieg in der Ukraine, der Kampf gegen den Klimawandel oder die zunehmende Konfrontation mit China. Allerdings: Gerade in Handelsfragen hat sich Biden in den bisherigen zwei Jahren seiner Amtszeit nur wenig vom protektionistischen Kurs seines Vorgängers Donald Trump entfernt.
Das hängt vor allem mit innenpolitischen Überlegungen zusammen. Der Präsident hat registriert, wie es Trump gelungen ist, mit Tiraden gegen Freihandel einen Teil der traditionell demokratischen Wählerschaft im Mittleren Westen zu den Republikanern herüberzuziehen. Das soll nicht noch einmal passieren. Deshalb setzt Biden auf Slogans wie „Buy American“. Beim Abbau von Handelsbarrieren zwischen den USA und Europa sind Washington und Brüssel bislang kaum vorwärtsgekommen. Nicht einmal die Strafzölle auf europäisches Aluminium und Stahl, die Trump trotz lautstarker Proteste verhängt hatte, wurden vollständig zurückgenommen.
Und der Trade-and-Technology Council (TTC), in dem Vertreter beider Seiten seit 2021 über gemeinsame Schritte abstimmen wollen, blieb bislang auch hinter den Erwartungen zurück. Und auch bei den Besprächen über den IRA dämpfte das Weiße Haus noch am Montag die Erwartungen. Man müsse sich für nichts entschuldigen, saget Bidens Wirtschaftsberater Deese vor der US-Presse. Man habe viel mehr Grund, stolz auf das Gesetz zu sein. „Es ist das Richtige für unser Land. Es ist das Richtige für unsere Produktionsbasis für saubere Energie. Es ist das Richtige für die amerikanischen Arbeitnehmer“, betonte Deese. „Und der Präsident ist ziemlich stolz auf diesen Ansatz.“
Entmutigen lassen wollte Habeck sich von diesen Tönen allerdings nicht. Deutschland und Europa seien daran interessiert, „dass Amerika entschieden und klar vorangeht, was den Aufbau einer grünen Industrie angeht“, entgegnete der Minister. Dann warb er für eine engere Abstimmung zwischen den beiden Wirtschaftsräumen. Vereinheitlichte Standards und Normierungen könnten etwa im Bereich der grünen Industrien „gemeinsame Märkte schaffen“, erläuterte Habeck. Er wolle das nicht gleich ein Freihandelsabkommen nennen – doch schon durch kleine Schritte könnten die Wirtschaftsräume enger zusammenrücken. „Das scheint mir keine Raketenwissenschaft zu sein“, kommentierte der Minister vor dem Weißen Haus.
Einen Partner braucht man dafür allerdings schon.
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