Rot-Rot-Grün Grüne bremsen Linksbündnis-Träume der SPD

Die SPD müsse ein Linksbündnis anstreben, fordert die Parteilinke. Doch die Grünen stellen dafür Bedingungen, die derzeit kaum erfüllbar sind.

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Die SPD-Linke will ein Linksbündnis aus SPD, Linken und Grünen als Machtoption für de nächste Bundestagswahl. Quelle: dpa

Berlin Dem Bundesvorsitzenden der SPD-Jugendorganisation (Jusos), Kevin Kühnert, kann es gar nicht schnell genug gehen. Sobald die Linke im Juni ihre Parteispitze neu bestimmt habe, werde es „höchste Zeit“, dass SPD, Linkspartei und Grüne beginnen auf Ebene der Vorstände miteinander ins Gespräch zu kommen – über Einendes, wie auch über Trennendes, schrieb Kühnert in einem Gastbeitrag für das Handelsblatt.

Kühnerts Vorstoß ist verständlich. Bei der Bundestagswahl wurden die großen Parteien, insbesondere die SPD abgestraft – mit einem historisch schlechten Ergebnis von 20,5 Prozent. Die Rechtspopulisten von der AfD schafften es hingegen gleich zweistellig ins Parlament und haben jetzt sogar die Oppositionsführerschaft inne.

Das schmerzt die Sozialdemokraten in doppelter Hinsicht. Zum einen ist nun amtlich, was sich schon im Wahlkampf abgezeichnet hatte: ein Linksbündnis ist von einer Mehrheit weit entfernt. Und zum anderen trat mit der Bundestagswahl ein, was alle etablierten Parteien unbedingt verhindern wollten: ein Rechtsruck à la AfD.

Deshalb wagt Kühnert auch schon einen Blick auf die nächsten Wahlen – und gibt als Losung aus: „Wer die Alternative von rechts verhindern will, wird dem Veränderungshunger in unserer Gesellschaft eine inhaltlich begründete Alternative von links entgegenstellen müssen.“ Doch so einfach ist es nicht.

Die Grünen treten bereits auf die Bremse. So stellt der Sprecher des grünen Realo-Flügels, Dieter Janecek, Bedingungen für eine linke Machtoption, die derzeit aber wohl kaum erfüllbar sind.

„Eine moderne führungsstarke Linke müsste sich nicht nur in der Sozialpolitik neu erfinden, sondern sich ohne Wenn und Aber zu einem starken Europa bekennen, ihr Verhältnis zum Freihandel klären und bereit sein, ökologisch radikal zu denken“, sagte Janecek dem Handelsblatt.

„Hingegen scheint europafreundliche Politik heute eher mit Teilen der Union als den Linken machbar, und die SPD scheint in der neuen Regierung Ökologie aus ihrem Sprachschatz gestrichen zu haben.“

Die Sozialdemokraten sind ohnehin in einer schwierigen Lage. Zwar haben sie gerade erste mit Andrea Nahles eine neue Parteivorsitzende gewählt. Doch die Bundestagsfraktionschefin erhielt nur zwei Drittel der Delegiertenstimmen – ein deutlicher Hinweis für die Zerrissenheit der Partei. Sowas kommt beim Wähler nicht gut an. Die SPD steckt denn auch schon länger in einem Umfragetief fest.

Um die Partei für Wähler attraktiv zu machen, braucht sie eine Machtperspektive. Im Moment ist das im Bund nur eine: ein Bündnis mit der Union. Und das haben viele SPD-Anhänger mehr als satt. Rot-Rot-Grün ist in Umfragen derzeit aber weit von einer Mehrheit entfernt.

Die Linke drängelt dennoch und hofft auf einen Linksruck der SPD unter Nahles. Die neue Parteichefin werde das Steuer nicht herumreißen können, „solange sich die SPD an Merkel und Seehofer kettet“, meinte kürzlich Linksfraktionschef Dietmar Bartsch.

„Mit Nahles' Ursprung aus der sozialdemokratischen Parteilinken und ihrem Bekenntnis zu Mitte-Links verbinden nicht wenige innerhalb und außerhalb der SPD ein kleines Fünkchen Hoffnung auf die Resozialdemokratisierung der SPD.“ Es sei Nahles' Verantwortung, das Mitte-Links-Lager im Bund als Option für den Tag X nicht aufzugeben.

Auch die Vorsitzende der Linken in der SPD, Hilde Mattheis, hält es für wichtig, Rot-Rot-Grün als Reformprojekt nicht ad acta zu legen. „Wir brauchen für 2021 ein alternatives Politikprojekt, das die Linken in der Gesellschaft sammelt und vereint“, sagte die Bundestagsabgeordnete dem Handelsblatt. Diese Alternative sei möglich, weil die Schnittmengen zwischen den drei Parteien am größten seien.

„Die SPD muss ein solches Bündnis anstreben“, betonte Mattheis. Es reiche dabei nicht, den Öffnungsbeschluss vom Leipziger Parteitag zu respektieren. Es müssten jetzt auch „klare Botschaften“ gesetzt werden.

„Ich fand es immer bedauerlich, dass wir die rot-rot-grüne Bundestagsmehrheit in der vergangenen Legislaturperiode nicht besser genutzt haben“, sagte Mattheis. „Damit haben wir die Chance auf einen grundlegenden Politikwechsel verpasst.“

Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Sven-Christian Kindler, der dem linken Flügel seiner Partei angehört, plädiert dafür, die Gesprächskreise aus der letzten Wahlperiode fortzusetzen. „Es ist schlecht für die Demokratie, wenn die Union dauerhaft das Abo aufs Kanzleramt hat und es keine demokratische Alternative dazu gibt“, sagte Kindler dem Handelsblatt.

Wichtig sei es daher zu analysieren, warum es keine parlamentarische Mehrheit für Rot-Grün-Rot gebe, obwohl viele progressive Ideen und Konzepte in der Gesellschaft weiterhin eine breite Mehrheit hätten.

„Warum führen gesellschaftliche Mehrheiten für mehr soziale Gerechtigkeit, eine weltoffene Gesellschaft, Klimaschutz und Frieden nicht zu Mehrheiten für Parteien links der Mitte im Bundestag?“, fragte Kindler.

Wie Kühnert warb er deshalb dafür, über Gemeinsamkeiten und klare Unterschiede zu reden. „Das ist auch wichtig für die kommenden Landtagswahlen in den nächsten Jahren, wo Rot-Grün-Rot eine Option ist“, sagte der Grünen-Politiker.

Einen grundlegenden Fehler sieht indes Juso-Chef Kühnert darin, dass der Mitte-Links-Block seit Jahren „in einer kannibalistischen Form der Selbstbeschäftigung“ gefangen sei.

Der Wille zur wechselseitigen Abgrenzung scheine stärker ausgeprägt zu sein, als der unbedingte Wille, die gesellschaftlichen Verhältnisse zu verändern. Wer aber Rot-Rot-Grün zu einer ernsthaften Bündnisoption machen wolle, müsse wieder „die Meinungsführerschaft in unserer Gesellschaft anstreben“.

Dazu müsste die SPD jedoch wohl zunächst mit sich selbst ins Reine kommen. Danach sieht es derzeit nicht aus, wie die Debatte um die Haushaltspläne von Finanzminister Olaf Scholz (SPD) zeigt. So hält es die SPD-Linke Mattheis für falsch, ab 2020 die öffentlichen Investitionen zurückzufahren. „Der aktuelle Haushaltsentwurf entspricht nicht meinem Politikverständnis“, sagte die Bundestagsabgeordnete. „Die Schuldenbremse beziehungsweise die schwarze Null ist nicht etwas, was wir anstreben sollten.“ Hier gebe es noch „Diskussionsbedarf in der SPD“.

Mattheis wies auf den „enormen Investitionsstau“ in Deutschland hin. „Deshalb finde ich es ärgerlich, dass jetzt die schwarze Null im Vordergrund steht.“ Es müsse vielmehr darum gehen, in öffentliche Infrastruktur zu investieren – in Schulen, Krankenhäuser oder den Breitbandausbau.

Auch in der Steuerpolitik mahnte Mattheis Handlungsbedarf an, um, wie sie sagte, die Verteilungsfrage zu klären. „Wir müssen über eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes genauso reden, wie über eine Reform der Erbschaftsteuer und die Wiedereinführung einer Vermögensteuer“, sagte die SPD-Politikerin.

Das sei kein Selbstzweck, sondern müsse immer dem gesellschaftlichen Zusammenhalt dienen. „Deshalb ist es auch wichtig, Investitionen nicht zu drosseln, sondern eher zu forcieren.“

Mattheis forderte überdies einen höheren Mindestlohn. Das Thema habe Scholz selbst initiiert. „Er selbst sprach von einem Mindeststundenlohn von 12 Euro, da bin ich sofort auf seiner Seite“, sagte sie und mahnte: „Wir sollten die Anhebung des Mindestlohns im Interesse der Beschäftigten schnellstmöglich auf den Weg bringen.“

Das alles dürften Forderungen sein, die in einem Linksbündnis wohl relativ einfach durchzusetzen wären. Wenn es denn eines gäbe. Doch aus den bisherigen Gesprächen zwischen SPD, Linken und Grünen in diversen Formaten seien keine gesellschaftlichen Mehrheiten entstanden, gibt der Grünen-Politiker Janecek zu bedenken. „Die politische Realität 2018 ist ein vollzogener Rechtsruck, den man sich mit der Formulierung eines virtuellen Linksbündnisses nicht einfach wegwünschen kann.“

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