Rot-Rot-Grün Lafontaine stellt Bedingungen an Gabriel

Wenn es um Machtoptionen für seine Partei geht, dann nimmt Ex-Linken-Chef Lafontaine kein Blatt vor den Mund. Entsprechend deutlich fällt seine Reaktion auf die rot-rot-grünen Gedankenspiele von SPD-Chef Gabriel aus.

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Der Vorsitzende der Linken-Fraktion im saarländischen Landtag, Oskar Lafontaine: „Es besteht die Chance. Ein rot-rot-grüner Kandidat, der sich in der Bundesversammlung durchsetzt, wäre ein Signal.“ Quelle: dapd

Berlin Die SPD hat Oskar Lafontaine in schlechter Erinnerung. Im Streit mit Kanzler Gerhard Schröder schmiss der Saarländer 1999 den SPD-Vorsitz und das Amt des Bundesfinanzministers hin. Und galt seitdem bei den Sozialdemokraten als „Persona non grata“, als unerwünschte Person.

Besonders hart traf die SPD, dass Lafontaine nicht im politischen Nirwana verschwand, sondern vielmehr 2005 in der WASG eine neue politische Heimat fand und dieses neue Betätigungsfeld für ein fulminantes Comeback nutzte. Er war maßgeblich an der Fusion der WASG mit der ostdeutschen PDS zur gesamtdeutschen Linkspartei beteiligt. Die Sozialdemokraten leiden unter dieser Neugründung bis heute.

„Für die SPD ist es immer hart gewesen zu sehen, dass ihr ehemaliger Vorsitzender Oskar Lafontaine zusammen mit Gregor Gysi dazu beigetragen hat, dass es eine neue Partei links der Sozialdemokraten gibt, die stabil bei 8 bis 10 Prozent steht“, bringt der Linksfraktionsabgeordnete Stefan Liebich die Gemengelage im Gespräch mit dem Handelsblatt auf den Punkt. „Aber es gibt immer mehr Kräfte in der SPD“, fügt Liebich hinzu, „die sagen: Das akzeptieren wir nicht, das ist eure Vergangenheit, nicht unsere, wir wollen gerne über politische Optionen nachdenken“.

Tatsächlich scheint die Gelegenheit für rot-rot-grüne Gedankenspiele derzeit günstiger denn je. Nach der Rückzugsankündigung von Bundespräsident Joachim Gauck wittern Befürworter einer linken Alternative zur Großen Koalition Morgenluft. Selbst Lafontaine glaubt, dass eine Verständigung auf einen rot-rot-grünen Kandidaten als Gauck-Nachfolger nicht ohne Wirkung für die Bundestagswahl im Herbst 2017 wär. „Es besteht die Chance. Ein rot-rot-grüner Kandidat, der sich in der Bundesversammlung durchsetzt, wäre ein Signal“, sagte der saarländische Linksfraktionschef kürzlich. Allerdings müsse die SPD einen Vorschlag machen. „Sie hat hier die Schlüsselrolle.“

Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel ist sich der Rolle seiner Partei in dieser Frage durchaus bewusst und bleibt wohl auch deshalb mit Festlegungen vage. „Wir wissen nicht, ob die Mehrheiten so funktionieren“, sagte er jüngst. „Deswegen muss man erst mal reden. Es herrscht ja keine Zeitnot.“ Mit seiner Offenheit für Gespräche hat Gabriel eine erste Duftmarke gesetzt, die zweite folgte kurze Zeit später. Mit einem Gastbeitrag im „Spiegel“ stieß er eine Debatte über Rot-Rot-Grün an. Und lieferte damit zugleich Politstrategen, wie dem Linken-Vordenker Lafontaine, eine Steilvorlage für ihre Sicht auf Machtoptionen jenseits von Schwarz-Rot.


Lafontaines „wesentlichen Bausteine“ für eine progressive Politik

Gabriel versuchte die Debatte zwar gleich wieder einzufangen, doch da waren seine Worte schon in der Welt und wurden auf allen Ebenen hin- und herdisktuiert und -interpretiert. „Deutschland braucht jetzt ein Bündnis aller progressiven Kräfte“, hatte SPD-Chef Gabriel in seinem Beitrag mit Blick auf das schleichende Erstarken der Rechten und der AfD geschrieben.

Lafontaine nahm den Ball gerne auf. Gabriel würde er gerne beim Wort nehmen, wenn es denn einen Konsens darüber gäbe, was unter „progressiv“ zu verstehen sei. „Wer würde diesem Vorschlag nicht zustimmen? Aber die entscheidende Frage bleibt: Was ist progressiv?“, schreibt Lafontaine auf seine Facebook-Seite. Dann erläuterte er seine Vorstellungen – und spart dabei nicht mit harter Kritik an der SPD.

„In den letzten Jahren gab es nur - leider auch unter Beteiligung der SPD - eine regressive (zurückschreitende) Politik“, schreibt der Linken-Politiker. So sei nicht nur die Demokratie durch eine zunehmende Vermögenskonzentration und internationale Verträge, etwa die Vereinbarungen zu den Freihandelsabkommen Ceta und TTIP, „ausgehöhlt“ worden. Auch der Sozialstaat sei „schrittweise abgebaut“ worden. „Die europäische Einigung erlitt durch Merkels Alleingänge einen schweren Rückschlag und die Ausdehnung der Nato bis an die Grenzen Russlands machte die erfolgreiche Ost- und Entspannungspolitik Willy Brandts zunichte“, konstatiert Lafontaine.

Aus seinem Befund leitet Lafontaine dann seine „wesentlichen Bausteine“ für eine progressive Politik ab:

• Der Aushöhlung der Demokratie muss durch einen Abbau der Vermögenskonzentration und einen Ausbau der betrieblichen Mitbestimmung (Belegschaftsbeteiligung) entgegengewirkt werden.
• Der Sozialstaat muss wieder aufgebaut werden. Man könnte mit der Rente beginnen. (Wiederherstellung des Niveaus von 53 Prozent und Rücknahme aller Kürzungsfaktoren)
• Deutschland muss Vorschläge zu einer Neuordnung der europäischen Finanzverfassung machen, die den einzelnen Mitgliedsstaaten demokratische Entscheidungsspielräume zurückgibt. Die jetzige Finanzverfassung Europas lässt zu, dass die demokratisch nicht legitimierte Europäische Zentralbank (EZB) mit einem Knopfdruck (siehe Griechenland) die Demokratie beenden kann.
• Progressiv wäre es, an die besten Traditionen einer eigenständigen europäischen Außenpolitik anzuknüpfen, wie sie für Frankreich Charles de Gaulle und für Deutschland Willy Brandt entwickelt haben.


Lafontaine zu Merkels Rüstungs-Plan: „Hat diese Dame sie noch alle?“

Die jüngsten Russland-Äußerungen von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sind denn auch ganz nach dem Geschmack Lafontaines. Steinmeier hatte am Wochenende davor gewarnt, „durch lautes Säbelrasseln und Kriegsgeheul die Lage weiter anzuheizen“. Beim Koalitionspartner Union löste er damit heftige Kritik aus.

Lafontaine erklärte zu dem Thema in eine weiteren Facebook-Eintrag: „Wenn Steinmeier und mit ihm die SPD-Führung nicht nur verbal, sondern tatsächlich wieder an diese erfolgreiche Politik des Friedensnobelpreisträgers (Willy Brandt) anknüpfen würde, dann wäre dies ein erster Schritt zu einer friedlichen deutschen Außenpolitik.“

Brandt habe gewusst, dass es ohne die ehemalige UdSSR keinen Frieden in Europa geben würde. Und Helmut Schmidt habe in dieser Tradition gesagt: „Für den Frieden in der Welt geht von Russland heute viel weniger Gefahr aus, als etwa von Amerika.“ „Und in der Tat“, so Lafontaine: „Putin hat – soweit man weiß – nicht vor, Truppen in Kanada oder Mexiko zu stationieren und von weiteren Raketenbasen in Kuba ist auch nichts bekannt.“

Erfreut haben dürfte Lafontaine wohl auch die Reaktion der Sozialdemokraten auf den Vorstoß von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die deutschen Militärausgaben massiv zu erhöhen. Nach den deutsch-polnischen Regierungskonsultationen bekannte sie sich ausdrücklich zu dem Nato-Ziel, zwei Prozent für Verteidigung auszugeben. Angesichts neuer Bedrohungen könne dieses Ziel „auf mittlere und längere Sicht nicht nur auf dem Papier stehen“, sagte die CDU-Chefin. Deutschland liegt derzeit bei 1,2 Prozent. Um das Zwei-Prozent-Ziel zu erreichen, müsste Deutschland mehr als 60 Milliarden Euro für Verteidigung ausgeben. Die SPD lehnt deutlich höhere Rüstungsausgaben ab.

Lafontaine fand auf seine Facebook-Seite heftige Worte zu Merkels Rüstungs-Plan: „Hat diese Dame sie noch alle?“, fragte er. Und er wies darauf hin, dass die Nato-Staaten 13mal so viel für Rüstung ausgäben (905 Milliarden Dollar) wie Russland (66,4 Milliarden Dollar). Die Aussage Merkels, wonach Deutschland und die USA bei den Ausgaben für Verteidigung annähern müssten, konterte der Ex-Linken Chef mit dem Hinweis, dass sich die Verteidigungsausgaben der USA auf 596 Milliarden Dollar beliefen und diese vor allem dazu dienten, die „imperialen Ziele“ der Vereinigten Staaten durchzusetzen.

Merkel habe daher „nichts verstanden“ und sei „zu einer eigenständigen deutschen Außenpolitik nicht fähig“. Der seit Jahren geforderte Kurswechsel in der Politik beginne aber damit, „dass Deutschland und Europa sich auf ihre eigenen Interessen besinnen und eine selbständige Außenpolitik machen“. Mit Merkel gehe das nicht.

Und mit der SPD?

Fakt ist, dass es in der Hand der Sozialdemokraten liegt, sich zu bewegen und Kurswechsel zu ermöglichen. Auch in der Koalitionsfrage. Denn bei der SPD sind Zorn und Frust groß, dass die Genossen zwar mit Mindestlohn, Renten oder Frauenquote der Großen Koalition den Stempel aufdrückten, die Wähler es der Partei in den Umfragen aber nicht danken. Als Reaktion auf den Sturzflug unter 20 Prozent und zur Stabilisierung seines Vorsitzes hat Gabriel zwar augenscheinlich damit begonnen, die SPD stärker nach links auszurichten und von der Union abzugrenzen. Doch was das konkret bedeutet, ist bis dato eher wolkig.

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